Häufig überraschend für Arbeitnehmer (und auch manchen Arbeitgeber) ist, dass auch das Arbeitsverhältnis von sogenannten „unkündbaren“ Arbeitnehmern nicht vollständig kündigungsfest ist. Präziser ist die Bezeichnung „ordentlich unkündbar“. In derartigen Fällen steht nämlich dem Arbeitgeber unter bestimmten Rahmenbedingungen die Möglichkeit offen, das Arbeitsverhältnis außerordentlich – aus wichtigem Grund – zu beenden. Hierbei ist eine sogenannte Auslauffrist zu gewähren, die sich im Regelfall an der hypothetischen Kündigungsfrist orientiert. Gilt das aber auch bei verhaltensbedingten Kündigungen von Unkündbaren? Eine neuere BAG-Entscheidung hat Rechtssicherheit gebracht.
In einem kürzlich veröffentlichten Urteil (BAG, Urteil v. 13.05.2015 – 2 AZR 531/14) hat das Gericht klargestellt, dass dieser allgemeine Grundsatz auch bei verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigungen greift. Dies wurde vereinzelt in Frage gestellt. Das Problem, auf den Punkt gebracht: Droht dem Arbeitgeber ein klassisches „Eigentor“, wenn er eine außerordentliche Kündigung ausspricht und damit zu erkennen gibt, dass ihm ein Zuwarten bis zum Auslaufen der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist – gleichzeitig aber durch die Gewährung einer Auslauffrist signalisiert, dass ihm die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers doch noch bis zum Ablauf der Frist zumutbar ist?
Die Entscheidung des BAG
Das BAG hat diesen Widerspruch – anders als die Vorinstanzen – nicht gesehen. Es hat vielmehr festgestellt, dass der Arbeitgeber in dieser Sonderkonstellation mit Gewährung einer „sozialen Auslauffrist“ nicht erkläre, in Wirklichkeit nur „ordentlich“ kündigen zu wollen. Eine solche Erklärung bestätige vielmehr, dass der Arbeitgeber ein – vermeintliches – Recht zur außerordentlichen Kündigung habe ausüben (und damit gerade nicht: aufgeben) wollen.
In dem vom BAG zu beurteilenden Fall ging es um die außerordentliche Kündigung einer über 40-jährigen Arbeitnehmerin, die seit mehr als 15 Jahren bei der Beklagten beschäftigt und daher gemäß § 34 Abs. 2 TVöD nur noch außerordentlich aus wichtigem Grund kündbar war. Von ihrer Arbeitgeberin wurde ihr vorgeworfen, ihrer Vorgesetzten eine Ohrfeige angedroht zu haben. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung unter Einhaltung einer „sozialen Auslauffrist“. Das BAG hat klargestellt, dass in Fällen, in denen die Erklärung des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer als nicht widersprüchlich aufgefasst werden kann, auch keine Bedenken gegen die Kombination von außerordentlicher Kündigung und Auslauffrist bestehen.
Ob der Verhaltensvorwurf der Arbeitgeberin zutrifft, wurde von den Vorinstanzen (LAG Baden-Württemberg, 25.06.2014 – 4 Sa 35/14; ArbG Stuttgart, 30.01.2014 – 10 Ca 1737/13) nicht aufgeklärt, da diese davon ausgingen, dass eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einer nach § 34 Abs. 2 TVÖD geschützten Arbeitnehmerin nicht in Betracht komme. Das BAG beurteilte diese Frage anders und verwies daher die Entscheidung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das LAG Baden-Württemberg zurück.
Bewertung der Entscheidung
Die Überlegungen des Gerichts überzeugen. Es muss dem Arbeitgeber in Ausnahmefällen möglich sein, einen Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz, den er nicht außerordentlich fristlos kündigen kann, verhaltensbedingt außerordentlich mit Auslauffrist zu kündigen. Andernfalls gälte in Konsequenz, dass er diesen gegebenenfalls bis zum Erreichen der Altersgrenze weiterbeschäftigen müsste, was für den Arbeitgeber gerade nach einem schweren Pflichtverstoß des Arbeitnehmers regelmäßig nicht darstellbar ist.
Zum Hintergrund: Praktische Relevanz von Unkündbarkeitsregelungen
Unkündbarkeitsregelungen können insbesondere im Zuge von Unternehmenskäufen und Restrukturierungen regelmäßig erhebliche Bedeutung entfalten. Noch relativ offensichtlich sind tarifliche Regelungen, die häufig an die Vollendung bestimmter Lebensalters- und Betriebszugehörigkeitsgrenzen anknüpfen, oder allgemeine Regelungen des Sonderkündigungsschutzes (z.B. für Betriebsratsmitglieder). Als weitaus problematischer erweisen sich aber Regelungen innerhalb von möglicherweise längst in Vergessenheit geratenen Interessenausgleichen und Sozialplänen, die bestimmte Beschäftigtengruppen schützen. Im Einzelfall können sich zusätzliche Herausforderungen daraus ergeben, dass solche Regelungen untechnisch bzw. unklar formuliert sind und der geschützte Personenkreis zunächst einmal identifiziert werden muss.
Gewährung von Auslauffristen
Will der Arbeitgeber eine Auslauffrist gewähren, ist zwischen zwei Fallgruppen zu differenzieren:
Fall 1: Ein Arbeitnehmer genießt Sonderkündigungsschutz, und es liegt ein Sachverhalt vor, der im Normalfall zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, hier aber gerade wegen des Sonderkündigungsschutzes eine außerordentliche Kündigung erhalten kann und muss. In diesem Bereich spielen sich regelmäßig die in der Rechtsprechung bereits seit Längerem anerkannten Fälle der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung ab; unklar war aber bis zur hiesigen Entscheidung des BAG, ob eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit einer „notwendigen“ Auslauffrist verbunden werden kann.
Fall 2: Im Falle einer außerordentlichen Kündigung will der Arbeitgeber aus eigenen Interessen oder aus sozialer Rücksichtnahme dem Arbeitnehmer trotz außerordentlicher Kündigung eine Auslauffrist auf freiwilliger Basis gewähren. Während die Länge der Auslauffrist durch den Arbeitgeber hier grundsätzlich nach freiem Belieben festgesetzt werden kann – eine Bindung an gesetzliche, tarifvertragliche oder arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen besteht unmittelbar nicht – hat es sich in der Praxis bewährt, jedenfalls nicht wesentlich von derartigen Fristen abzuweichen.
Zusammenfassung
Genauso, wie „unkündbar“ nicht wirklich bedeutet, dass keine Kündigung ausgesprochen werden könnte, ist auch der Begriff Auslauffrist also je nach Situation unterschiedlich zu verstehen. Ein Arbeitgeber, der mit (ordentlich) unkündbaren Arbeitnehmern konfrontiert ist, ist gut beraten, sich im Vorfeld detailliert mit den möglichen Handlungsoptionen auseinanderzusetzen, um nicht in einem eventuellen Gerichtsverfahren Schiffbruch zu erleiden.