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BEM Kündigung, allgemein

Kündigung bei Krankheit: BEM richtig umsetzen

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BEM

Mag das Bundesarbeitsgericht auch unablässig das Gegenteil betonen: Eine krankheitsbedingte Kündigung, welche ohne vorheriges betriebliches Eingliederungsmanagement („BEM“) ausgesprochen wird, ist durch eine stetige Verschärfung der Anforderungen in der Rechtsprechung nahezu aussichtslos geworden. Die Praxis muss sich hierauf einstellen. Selbst ein abgeschlossenes BEM-Verfahren schützt aber nicht in jedem Fall, wenn es die Anforderungen der Rechtsprechung im Detail nicht erfüllt. Wir zeigen die wichtigsten Fallstricke auf.

Wie sieht das „idealtypische“ BEM aus?

Das BAG vertritt den Ansatz, es handele sich bei dem BEM um einen „unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess„, dessen Verlauf und Ergebnis sich nach den Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalles zu richten hat und der den Beteiligten jeden denkbaren Spielraum belässt. Ziel ist es, krankheitsbedingte Fehlzeiten zukünftig zu verhindern oder zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis so zu sichern. Der Gesetzgeber schreibt weder bestimmte Mittel vor, die immer zu prüfen sind, noch schließt er solche Mittel generell aus. Um sicherzustellen, dass alle in Betracht kommenden Mittel geprüft werden, sollen alle in Betracht kommenden Personen und Stellen beteiligt werden, die ihren Sachverstand einbringen können.

Konkret: Wer ist zu beteiligen?

Der Arbeitgeber muss sich in Vorbereitung auf das BEM, jedoch auch in dessen Verlauf Gedanken darüber machen, welche Beteiligten er hinzuzuziehen hat. Wichtig ist, dass jede Beteiligung nur mit Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers möglich ist. Auch ein Betriebsrat, der im Gesetz als zwingend zu beteiligen vorgesehen ist, kann nicht an BEM-Gesprächen teilnehmen, wenn der Mitarbeiter insoweit seine Zustimmung verweigert. Denkbar ist jedoch eine Vielzahl weiterer Beteiligter, seien es Ärzte (Haus-, Fach- oder Betriebsärzte), Behörden (insbesondere Integrationsamt und/oder Integrationsfachdienst, Sozialversicherungsträger, Bundesagentur für Arbeit) oder sonstige Stellen (z.B. Suchthilfe). Welche Personen hinzugezogen werden müssen, um rechtssicher agieren zu können, richtet sich nach den Erkenntnissen des Arbeitgebers vor dem bzw. im BEM-Gespräch.


BEM während der Arbeitsunfähigkeit?

Häufig stehen Arbeitgeber schon eingangs eines BEM vor dem Problem, dass der Arbeitnehmer seine Mitwirkung unter Berufung auf eine bestehende Arbeitsunfähigkeit verweigert. Hierfür gibt es jedoch keinen sachlichen Grund: Die Befreiung von der Pflicht zur Arbeitsleistung hat nichts mit der Frage zu tun, ob der Arbeitnehmer zu einem Gespräch hinsichtlich der Vermeidung zukünftiger Fehlzeiten erscheinen kann – solange ihn die Erkrankung nicht tatsächlich am Erscheinen hindert. Eine Ausnahme von der „BEM-Obliegenheit“ bei Krankheit kennt das SGB IX nicht. In solchen Fällen sollte der Arbeitnehmer daher nochmals zur Teilnahme aufgefordert und eine Frist zur Erklärung gesetzt werden. Wie häufig der Arbeitgeber hier aber auffordern muss, um am Ende das BEM als abgelehnt behandeln zu dürfen, ist derzeit noch mit großer Rechtsunsicherheit behaftet.

Was ist inhaltlich zu prüfen?

Die Beteiligten am BEM-Gespräch müssen alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehende Anpassungs- und Änderungsmöglichkeiten bedenken und die von den Teilnehmern eingebrachten Vorschläge sachlich erörtern. Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Offenkundig nicht gangbare Vorschläge können abgelehnt werden, insbesondere, wenn sie – wie so oft – nur der Verzögerung des Verfahrens dienen. Wichtig ist in solchen Fällen eine saubere Dokumentation der Ablehnung und des Ablehnungsgrundes im Gesprächsprotokoll.

An dieser Stelle – welche Änderungsmöglichkeiten sind zu bedenken? – liegt der größte Risikofaktor für den Arbeitgeber. Die Anzahl der Gerichtsverfahren, die an dieser Stelle ihre Entscheidung fanden, ist beachtlich, weil der Arbeitgeber es unterlassen hatte, einen – nach Ansicht des Gerichts beachtlichen, nach Ansicht des Arbeitgebers vielleicht völlig fernliegenden – Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Hier hilft nur, mittels einer sorgfältig vorbereiteten Checkliste vorzugehen und sicherzustellen, dass zumindest die regelmäßig in der Rechtsprechung diskutierten, in der Praxis aber häufig vernachlässigten Punkte angesprochen und verfolgt oder verworfen werden.

Datenschutz – Risiko und Chance

Großes Augenmerk sollte bei dem BEM-Verfahren auch von Anfang an auf die datenschutzrechtliche Ausgestaltung gelegt werden. Da das BEM äußerst sensible Gesundheitsdaten (§ 3 Nr. 9 BDSG) betrifft, neigen viele der auch online leicht verfügbaren Muster hier zu dem Ansatz „viel hilft viel“. Die unkritische Übernahme zu weitgehender Datenschutzregelungen, die über das gesetzlich Erforderliche hinausgehen, führt aber häufig dazu, dass der Arbeitgeber im Prozess zusätzliche Risiken hinsichtlich der Frage zu gewärtigen hat, ob er sich überhaupt auf die im BEM-Verfahren erlangten Daten berufen darf. Hier wird von ihm die Quadratur des Kreises verlangt: Er muss (kündigungsschutzrechtlich) darlegen, dass er ein BEM durchgeführt hat und was dort mit welchem Ergebnis geprüft und besprochen wurde, wenn er die Kündigung rechtfertigen will – darf dies aber nach Ansicht einiger Instanzgerichte aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht. Um diese Diskussion von vorneherein zu unterbinden, heißt es: Augen auf bei der Gestaltung von Einwilligungserklärungen, BEM-Vereinbarungen und vergleichbaren Dokumenten.

Vorsicht bei der Gestaltung von Betriebsvereinbarungen

Schließlich sollte der Arbeitgeber, der eine Betriebsvereinbarung zum Thema BEM abschließen will, die ihm vorgelegten Entwürfe sorgsam prüfen. Häufig finden sich hier mehr oder weniger „versteckte“ Minenfelder für den Arbeitgeber: von Kündigungsverboten über Datenverwertungsverbote bis hin zur Schaffung eines „BEM-Teams“, welches geheim berät und dem Arbeitgeber nur mitteilt, es habe das Verfahren abgeschlossen. Der Inhalt des Verfahrens bleibt für den Arbeitgeber aber eine Black Box. Er kann dann seiner prozessualen Darlegungslast nur schwerlich genügen. Auch hier gilt also: sorgsame Gestaltung schlägt die „schnelle“ Erledigung eines für die betriebliche Praxis essentiellen mitbestimmungsrechtlichen Themas.

Mehr zu den Anforderungen des Bundesarbeitsgerichts an ein ordnungsgemäßes BEM – und weshalb diese in die falsche Richtung gehen – lesen Sie im aktuellen Beitrag von Hoffmann-Remy, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2016, S. 267 (online abrufbar via beck-online [€]).

Dr. Till Heimann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Till Heimann berät Arbeitgeber mit Fokus auf Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen (mit anschlie­ßen­der Integration), Umstruk­tu­rie­run­gen auf Unter­neh­mens- und Betriebsebene und Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Besondere Expertise besitzt Till Heimann darüber hinaus hinsichtlich der Beratung zu regulierter Vergütung (Banken/Kapitalanlagegesellschaften u.A. Institute), von Unternehmen der Technologiebranche sowie von Startups. Er besitzt langjährige Erfahrung in der Steuerung inter­na­tio­na­ler Projekte. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".
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