In der Beitragsreihe „Folgen eines Brexit“ finden Sie eine Übersicht dazu, welche Änderungen sich aus Sicht des Vereinigten Königreiches in verschiedenen für die Personalarbeit relevanten Bereichen ergeben könnten. Wir haben hierzu mehrere Beiträge unserer ius laboris-Allianzkanzlei Lewis Silkin angesichts der enormen praktischen Relevanz für international agierende Unternehmen ins Deutsche übersetzt. In Teil 4 der Serie befasst sich Jonathan Carr, Partner bei Lewis Silkin, mit den Folgen für die Regelungen zum Betriebsübergang (TUPE) nach dem „Brexit“-Votum.
Die Briten haben mehrheitlich für den EU-Austritt gestimmt. Seitdem wird intensiv über die Zukunft des Arbeitsrechts diskutiert, das fortan nicht mehr an die zugrundeliegenden EU-Richtlinien gebunden sein wird. Zwar erfreuen sich viele der von der EU übernommenen Arbeitnehmerrechte weitreichender Unterstützung und es ist zu erwarten, dass sie größtenteils unverändert beibehalten werden. Doch wie sieht es mit den weniger beliebten Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerrechte beim Betriebsübergang (Transfer of Undertaking (Protection of Employment) Regulations; TUPE) von 2006 aus?
Regelungen im Vereinigten Königreiche zum TUPE
Die TUPE-Bestimmungen wurden 1981 zur Umsetzung der EU-Richtlinie zu erworbenen Rechten eingeführt. Linke wie konservative Regierungen haben sich in den letzten Jahren gleichermaßen mit ihnen auseinandergesetzt, um für mehr Sicherheit bei Auslagerungsprozessen zu sorgen (2006) und die Gesetze arbeitgeberfreundlicher zu gestalten (2014). Es ist außerdem hervorzuheben, dass TUPE einer der Fälle ist, in denen die Briten sogar über die Vorgaben der EU hinausgegangen sind. Einige dieser Sonderregelungen wurden im Jahr 2014 jedoch wiederum reformiert (insbesondere was die Beschränkung von Änderungen der Beschäftigungsbedingungen betrifft). Dennoch bleibt das Konzept der veränderten Dienstleistungserbringung (service provision change; SPC) eine genuin britische Erweiterung der von der EU aufgestellten Mindestanforderungen.
Aus für die EU-TUPE-Regelungen?
Stehen die TUPE-Bestimmungen nun also vor dem endgültigen Aus? Wie beim Brexit üblich, ist auch diese Frage noch nicht entschieden. Die Ausgangsfrage könnte lauten: „Wozu all der Aufwand?“ Zwar besteht eindeutig die Möglichkeit, dass sämtliche EU-bezogenen Gesetze vollständig zurückgenommen werden in der Hoffnung, so ein unternehmerfreundlicheres Umfeld in Großbritannien zu schaffen. Beim Verfassen dieses Artikels deutete die besorgte und nachdenkliche Stimmung im Land jedoch eher nicht darauf hin, dass Veränderungen schlicht um der Veränderung willen umgesetzt würden.
Für eine umfassende Zurücknahme der TUPE-Bestimmungen spräche hingegen der Wunsch, ausländische Investitionen in britische Unternehmen anzuregen. Einer der Eckpfeiler des Regelwerks ist das Prinzip des automatischen Übergangs, das Arbeitsplätze im Falle eines Unternehmenstransfers schützt. Ohne TUPE, so ist nun zu hören, wären angeschlagene Firmen für ausländische Investoren attraktiver, die nicht mehr gezwungen wären, auch sämtliche Mitarbeiter zu übernehmen. Es gibt jedoch nur wenige Belege dafür, dass TUPE potenzielle Käufer abschreckt, denn schon jetzt können überzählige Beschäftigte ohne große Probleme entlassen werden. Zudem ist eine wachsende Zahl an Arbeitslosen auch nicht wirklich im Sinne der derzeitigen Regierung.
Gründe für ein Fortbestehen der TUPE-Regelungen
Darüber hinaus gibt es noch zwei spezifische Gründe, aus denen TUPE beibehalten werden könnte. Erstens bekam die Regierung 2014 die Möglichkeit, überflüssige Bestandteile der SPC-Bestimmungen (das sog. „Goldplating“) außer Kraft zu setzen, was sie jedoch unterließ. Die Zuständigen ließen sich schließlich von dem Vorteil der Kontinuität und Sicherheit überzeugen, für die die SPC-Regeln stehen (wenngleich mit Blick auf das aktuelle Fallrecht fraglich ist, wie viel dieser Sicherheit tatsächlich noch existiert). Arbeitgeber gehen bei der Angebotsabgabe normalerweise davon aus, dass Mitarbeiter beim Betriebsübergang mit übernommen werden. Wird diese Erwartung hintertrieben, kann das die wirtschaftlichen Turbulenzen in Großbritannien nur verschärfen. Geht es jedoch um Sicherheit und Stabilität, ist zumindest mittelfristig von einer Fortführung der TUPE-Bestimmungen auszugehen.
Die Gegenseite argumentiert, dass angesichts der durch den Brexit ohnehin schon verursachten Unsicherheit das durch eine TUPE-Rücknahme entstehende Risiko relativ gering sei. Ein entscheidender Faktor werden hier die politischen Auffassungen der zuständigen Politiker sein. Man muss kein Experte sein, um vorherzusagen, dass eine rechtsgerichtete Regierung nach einem Brexit unter erheblichem Druck stünde, stark zu deregulieren und zumindest den Eindruck eines unternehmerfreundlichen Klimas zu erzeugen. Eine eher linke Regierung würde dagegen die Arbeitnehmerrechte, für die TUPE steht, wohl beibehalten.
Wie allgemein im Arbeitsrecht sind auch die TUPE-Bestimmungen insofern verhältnismäßig unpolitisch, als sie sich der üblichen Opposition zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern widersetzen. Beispiel SPC: Würden die TUPE-Bestimmungen vollständig zurückgenommen, verlören nicht nur Arbeitnehmer einen wertvollen Schutz; auch unter den Arbeitgebern gäbe es Gewinner und Verlierer. Verliert ein Unternehmen etwa einen wichtigen Auftrag, für den bereits Hunderte Mitarbeiter abgestellt wurden, an einen Wettbewerber, stünde es ohne TUPE am Ende mit all diesen Mitarbeitern da und hätte beträchtliche Mehrkosten zu tragen.
Ein weiteres Argument, das für den Beibehalt der TUPE-Bestimmungen spricht, ist die noch immer unbeantwortete Frage, ob das Parlament diese überhaupt zurücknehmen könnte, selbst wenn es wollte. Viele Experten haben bereits darauf hingewiesen, dass der Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt auch von der Bedingung abhängt, dass Großbritannien sich an die wesentlichen Arbeitnehmerrechte der EU hält, um überall ähnliche Marktbedingungen zu gewährleisten. In diesem Fall hätten die Briten gar keine andere Wahl, als TUPE beizubehalten. Im Ringen um die Austrittsverhandlungen wären die Brexit-Befürworter wohl eher bereit, Kompromisse zu den emotional nur wenig aufgeladenen Arbeitnehmerrechten einzugehen, um dafür den entscheidenden Zugang zum Binnenmarkt und stärkere Kontrolle über die Einwanderung zu gewinnen, die politisch weitaus bedeutsamer ist.
Befinden sich die Briten in einer Verhandlungsposition, die es ihnen erlaubt, die von der EU vorgegebenen Arbeitnehmerrechte nach eigenem Ermessen aufzugeben, so würde sich die Reihenfolge der aufzuhebenden Gesetze wohl nach der politischen Hackordnung richten und die unbeliebtesten Bestimmungen wären sicherlich als erste dran. Die TUPE-Bestimmungen sind einem großen Teil der Briten kein Begriff und für die Wirtschaft so etwas wie eine Extrawurst. Das deutet darauf hin, dass sie keineswegs oberste Priorität hätten. Auch der Zustand des Arbeitsmarktes könnte eine Rolle spielen: Herrscht in vielen Branchen aufgrund der Einwanderungsreform Arbeitskräftemangel, dürften die Schreie nach einer Rücknahme der Betriebsübergangsregelungen leiser werden.
Größere Auslegungslegungfreiheit der nationalen Gerichte
Schließlich spielt auch die Frage eine Rolle, was mit dem umfangreichen Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geschehen würde, sollten die TUPE-Bestimmungen beibehalten, die britischen Gerichte aber nicht mehr an die Urteile des EuGH gebunden sein. Vermutlich dürften sich viele höhere Gerichte in ihrer Auslegung der TUPE-Regelungen freier fühlen, Arbeitsgerichte stünden aber ohne Zweifel weiterhin unter dem Einfluss der EuGH-Rechtsprechung – zumindest solange, bis sich ein neues, verbindliches Präzedenzrecht abzeichnet und neue Richtlinien gelten.
Ausblick und Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen
Die Zukunft lässt sich unmöglich vorherbestimmen, und doch vieles deutet darauf hin, dass die TUPE-Bestimmungen in der einen oder anderen Form beibehalten werden, selbst wenn es dabei zu einem gewissen Verwaltungsaufwand und einem Abbau der Arbeitnehmerrechte kommen könnte. Das führt uns zu der Frage, was Unternehmen tun können, um sich auf eine solch unsichere Zukunft – mit oder ohne TUPE – vorzubereiten. Derzeit scheint es, als herrsche zumindest keine allzu große Eile; es ist also davon auszugehen, dass TUPE in seiner momentanen Form zumindest noch einige Jahre in Kraft bleibt, womöglich auch darüber hinaus. Vorausschauende Unternehmen, insbesondere solche, die selber Unternehmensprozesse auslagern oder Outsourcing-Dienste anbieten, sollten dennoch Folgendes im Hinterkopf behalten:
- Bei der Angebotserstellung für neue Aufträge, die erst nach einem möglichen Brexit auszuführen sind, sollte man die Möglichkeit erwägen, dass die TUPE-Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt bereits außer Kraft gesetzt worden sein könnten. Bisherige Anbieter müssten dann neu planen oder Mitarbeiter entlassen. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Dienstleister für diesen Fall vorsorgen und Personalabbaukosten untereinander aufteilen.
- Dienstleister sollten ihre Unternehmensstruktur analysieren, um auch auf einen Wegfall des automatischen Arbeitnehmerübergangs bei Vertragsbeginn bzw. -ende vorbereitet zu sein. Größere Mengen an Personal (insbesondere unter unsicheren Arbeitsmarktbedingungen) kurzfristig einstellen und längere Phasen der Untätigkeit zwischen mehreren Aufträgen abfedern zu können, stellt eine große Herausforderung dar. Möglicherweise kommen kurzfristige Kündigungsregeln wieder in Mode oder Mitarbeiter werden umfassender fortgebildet, um sie vielseitiger einsetzbar zu machen.
- Schließlich sollten Unternehmen auch ihre bestehenden Dienstleistungsverträge unter die Lupe nehmen, insbesondere solche mit langer Restlaufzeit. Dabei sollten sie untersuchen, welche Konsequenzen eine TUPE-Rücknahme während dieser Laufzeit haben könnte. Die Ergebnisse solcher Analysen mögen nicht immer angenehm sein – zumindest bleibt so aber Zeit, um für diesen Fall entsprechende Vorkehrungen zu treffen.