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Weisungsrecht

Unbillige Weisung – aber trotzdem verbindlich?

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Weisung

Ein Arbeitnehmer darf sich über eine unbillige Weisung seines Arbeitgebers nicht einfach hinwegsetzen. Wünscht er eine Überprüfung der Weisung, kann er die Gerichte für Arbeitssachen anrufen, muss aber die Weisung dennoch einstweilen befolgen. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt nun das Landesarbeitsgericht Hamm in Frage und schafft damit Unsicherheit im Umgang mit Arbeitgeberweisungen.

Was hat das LAG Hamm entschieden?

In einem jüngeren Fall (Urteil vom 17. März 2016 – 17 Sa 1660/15) stritten die Parteien u.a. über die Wirksamkeit einer Versetzung. Das Berufungsgericht entschied: Die Weisung der beklagten Arbeitgeberin, der Kläger solle sechs Monate lang in einem „Archiv-Projekt“ tätig werden, sei unbillig. Die Interessen des Arbeitnehmers an der Fortführung seiner ursprünglichen Tätigkeit überwögen. Entgegen der Rechtsprechung des BAG sei der Kläger darüber hinaus nicht verpflichtet gewesen, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung durch ein Arbeitsgericht die unbillige Weisung zu befolgen, da er sich in angemessener Zeit auf ihre Unbilligkeit berufen habe. Das Gesetz gebe vor, dass die unbillig entscheidende Vertragspartei (hier also der Arbeitgeber) an die eigene Erklärung gebunden bleibe.

Der Arbeitnehmer als Empfänger der Entscheidung könne die unbillige Leistungsbestimmung gegen sich gelten lassen oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich feststellen lassen. Daraus erwachse nur die Pflicht, sich in irgendeiner Form auf die Unbilligkeit zu berufen, nicht aber die Pflicht zu einer gerichtlichen Geltendmachung. Die Annahme einer vorläufigen Verbindlichkeit führe weiter zu einer nicht hinnehmbaren Risikoverteilung. Ein Arbeitnehmer, der unbillige Weisungen nicht beachtet, liefe Gefahr, wegen Arbeitsverweigerung gekündigt zu werden. Auch gerate er in Schuldnerverzug mit der Folge, dass ihm keine Vergütungsansprüche zustünden. Das sei nicht hinnehmbar.


Umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers  

Die Rechtsprechung betont in Bezug auf die Reichweite des Direktionsrechts bislang grundsätzlich die Rechtsposition des Arbeitgebers als Dienstherr. Dieser hat ohne abschließende (kollektiv)vertragliche Regelung im Rahmen seines Weisungsrechts weitreichende Befugnisse. Er kann beispielsweise die Lage der Arbeitszeit festlegen, Schichtarbeit, Sonntagsarbeit oder Nachtarbeit einführen.

Selbst wenn arbeitsvertraglich ein bestimmter Arbeitsort festgelegt ist, kann durch einen wirksamen Versetzungsvorbehalt das Direktionsrechts des Arbeitgebers bestehen bleiben. Auch die Art und Weise der zu leistenden Arbeit wie die Einhaltung einer bestimmten Kleiderordnung oder die Übernahme von Nebentätigkeiten kann durch den Arbeitgeber einseitig bestimmt werden.

Schranken des Weisungsrechts

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers gilt indes nicht schrankenlos. Gesetzes- oder sittenwidrige Weisungen bzw. solche die gegen einen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder den Arbeitsvertrag verstoßen, sind nichtig. Sie müssen durch den Arbeitnehmer nicht befolgt werden. So ist beispielsweise eine Weisung rechtswidrig, einen Dienstwagen entgegen der Verkehrssicherheitsvorschriften zu benutzen oder die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten zu überschreiten.

Darüber hinaus müssen Weisungen des Arbeitgebers „billigem Ermessen“ entsprechen. Das bedeutet, dass im konkreten Einzelfall die persönlichen Interessen des Arbeitnehmers die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers nicht überwiegen dürfen. Das BAG ist der Ansicht, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Weisung nicht hinwegsetzen darf, sondern die Weisung zunächst befolgen und zur Klärung ein Gericht anrufen muss (Urteil vom 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11).

Was bedeutet die Entscheidung daher für die Praxis?

Die Entscheidung des BAG, nach der sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Weisung nicht hinwegsetzen dürfe, ist in der Literatur auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen. Sie war jedoch für die Praxis ein eindeutiger Orientierungspunkt. Die Entscheidung schafft neue Rechtsunklarheit hinsichtlich der Frage, ob ein Arbeitnehmer einer Weisung vorläufig nachzukommen hat. Unklar ist weiter, welche betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung trotz Streit über die Wirksamkeit der Weisung gelten soll und welche Maßstäbe für die Frage des Vorliegens von Annahmeverzug anzuwenden sind.

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob das BAG in der gegen das Urteil des LAG Hamm eingelegten Revision (Az. 10 AZR 330/16) seine Position beibehalten oder eine neue Richtung einschlagen wird – falls es überhaupt zu einer Entscheidung kommt. Bis dahin ändert sich formal erst einmal nichts.

Allerdings sollten Arbeitgeber proaktiv insbesondere solche Sachverhaltskonstellationen in ihren Unternehmen überprüfen, in welchen Weisungen auf dem Ausgang einer komplexen Interessenabwägung aufsetzen. In diesen Fällen sollte bereits jetzt vorsorglich mit einer flankierenden Änderungskündigung agiert werden, um unnötige Risiken zu vermeiden.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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