Ist ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt, ist fraglich, ob weiterhin ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Beruht die Arbeitsunfähigkeit auf derselben Erkrankung, ist die Frage zu verneinen. Beruht die Arbeitsunfähigkeit hingegen auf mehreren unabhängigen Erkrankungen, die jeweils nach Abklingen der vorherigen eintreten, ist die Frage zu bejahen. Unklarheit herrschte, wenn nicht geklärt werden konnte, wann die jeweilige Arbeitsunfähigkeit eintrat. Das Bundesarbeitsgericht entschied jüngst (Urteil v. 25.05.2016 – 5 AZR 318/15), dass sich die Ungewissheit zu Lasten des Arbeitnehmers auswirkt.
Was war geschehen?
Dem Bundesarbeitsgericht (BAG) lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem der Arbeitnehmer zunächst wegen eines Rückenleidens von seinem Hausarzt für sechs Wochen bis einschließlich Sonntag, den 20.10., arbeitsunfähig krankgeschrieben worden war. Am 17.10. suchte der Arbeitnehmer den Arzt erneut auf, nun wegen zunehmender Schulterbeschwerden, die von den Rückenbeschwerden unabhängig und nicht auf ein gemeinsames Grundleiden zurückzuführen waren. Der Arzt stellte an diesem Tag keine zusätzliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Am Montag, dem 21.10., attestierte er dem Arbeitnehmer Arbeitsunfähigkeit wegen der Schulterschmerzen für zunächst zwei Wochen.
Der Arbeitnehmer behauptete, er sei erst ab dem 21.10. wegen der Schulterbeschwerden arbeitsunfähig gewesen. Zwar habe er zuvor zunehmende Schmerzen in der Schulter gehabt, die Arbeitsunfähigkeit sei aber dadurch ausgelöst worden, dass er sich am 21.10. morgens an einem Türrahmen gestoßen habe. Die Arbeitgeberin hingegen machte geltend, der Arbeitnehmer sei bereits am 17.10. wegen der Schulterbeschwerden arbeitsunfähig gewesen. Die Frage konnte nicht aufgeklärt werden, da der Hausarzt des Arbeitnehmers keine Angaben zum exakten Beginn der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Schulterbeschwerden machen konnte.
Das BAG entschied daher, dass ab dem 21.10. kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestand, weil der Arbeitnehmer nicht nur für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher, sondern auch für deren Beginn und Ende beweispflichtig ist. Er habe aber nicht beweisen können, dass die zweite Arbeitsunfähigkeit erst nach der vorherigen Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit eingetreten war.
Grundsatz: Einheit des Verhinderungsfalls
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen. Für die anschließende Zeit der Arbeitsunfähigkeit besteht ein solcher Anspruch nicht.
Nach dem vom BAG entwickelten Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalles (erstmals BAG, Urteil v. 12.09.1967 – 1 AZR 367/66) ist es für den Ablauf dieser Sechs-Wochen-Frist irrelevant, ob zu der Erkrankung, die ursprünglich die Arbeitsunfähigkeit auslöste, noch weitere Erkrankungen hinzukommen, weil die Frist – wie es auch aus dem Wortlaut der Norm hervorgeht – nicht an die (einzelne) Krankheit, sondern an die Arbeitsverhinderung anknüpft. Verlängert sich der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit also durch die hinzutretende Erkrankung, führt dies nicht dazu, dass ein neuer Zeitraum der Entgeltfortzahlung beginnt.
Ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht beim Auftreten einer neuen Erkrankung nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ausschließlich, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in dem Zeitpunkt, in dem die zweite Erkrankung zur erneuten Arbeitsverhinderung führte, bereits beendet war. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer entweder zwischen den beiden Fehlzeiträumen tatsächlich gearbeitet hat oder zumindest arbeitsfähig war, wenn auch nur für wenige außerhalb seiner Arbeitszeit liegende Stunden.
Beweislast des Arbeitnehmers für Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit
Der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist folglich keine vom Arbeitgeber einzuwendende Ausnahme vom Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG, sondern eine Voraussetzung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn nach einem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit eine neuerliche Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer anderen Erkrankung auftritt. Daher umfasst die Beweislast des Arbeitsnehmers für die gemäß § 3 Abs. 1 EFZG anspruchsbegründenden Tatsachen neben der Arbeitsunfähigkeit an sich auch deren Beginn und Ende.
Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist in erster Linie anhand der entsprechenden ärztlichen Bescheinigung festzustellen. Da in der Bescheinigung vom Arzt nur ein Kalendertag als Ende der Arbeitsunfähigkeit angegeben wird, nicht aber ein genauer Zeitpunkt, muss die Bescheinigung hinsichtlich des genauen Zeitpunktes des Endes der Arbeitsunfähigkeit ausgelegt werden. Diese Auslegung kann im Einzelfall entscheidend sein, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Arbeitsfähigkeit von wenigen Stunden genügt, um einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch zu begründen. Hinsichtlich dieser Auslegung hat das BAG mit der vorliegenden Entscheidung seine Rechtsprechung geändert. Bisher nahm es an, dass mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in der Regel die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der üblichen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers an diesem Kalendertag bescheinigt wird (BAG, Urteil v. 12.07.1989 – 5 AZR 377/88). Nunmehr rückt das Gericht ausdrücklich von dieser Auffassung ab und geht davon aus, dass die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit im Zweifel bis zum Ende des angegebenen Kalendertages gilt. Ob dieser Tag für den Arbeitnehmer ein Arbeitstag oder ein freier Tag ist, sei irrelevant.
Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitnehmer daher anhand seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zunächst darlegen, dass er aufgrund der ersten Erkrankung bis zum 20.10. arbeitsunfähig war und ab dem 21.10 aufgrund einer anderen Krankheit nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Der Arbeitgeber hat allerdings mit Hinweis auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls unter Vorbringen gewichtiger Indizien bestritten, dass die Arbeitsunfähigkeit infolge der Schulterbeschwerden erst nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Rückenbeschwerden eingetreten sei. Da der Arbeitnehmer beweisbelastet ist, war er nun in der Pflicht, mit Hilfe des Arztes als Zeugen, den von ihm behaupteten Zeitablauf zu beweisen. Da dem Arbeitnehmer dies nicht gelang, entschied das Gericht zu seinen Lasten.
Fazit
Das BAG urteilte überzeugend, dass die nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls anspruchsbegründende Tatsache, dass die zweite Arbeitsunfähigkeit erst nach Beendigung der ersten auftrat, vom Arbeitnehmer zu beweisen ist. Daher lohnt es sich für Arbeitgeber, wenn sich ein Arbeitnehmer direkt im Anschluss an eine sechswöchige Arbeitsunfähigkeit erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank meldet, nach Indizien dafür zu forschen, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht unterbrochen war. Sollte er solche finden, kann er weitere Entgeltfortzahlungsleistungen ablehnen. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, seine zwischenzeitliche Arbeitsfähigkeit zu beweisen.