„Manches, was alle wissen, wird erst dann ein Skandal, wenn einer es sagt.“ Wie viel Wahres in diesem Sprichwort liegt, zeigt sich immer wieder, wenn Arbeitnehmer an die Öffentlichkeit treten und die bei ihrem Arbeitgeber vorhandenen Missstände publik machen. Das Phänomen des Whistleblowings muss für Unternehmen indes kein rotes Tuch sein. Können die Mitarbeiter unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität etwaige Gesetzes- oder Compliance-Verstöße unternehmensintern anzeigen, profitiert auch der Arbeitgeber von einem solchen Whistleblowing. Denn entsprechende Hinweise ermöglichen dem Unternehmen, den angezeigten Missständen frühzeitig – und gegebenenfalls „geräuschlos“ – abzuhelfen. Die Bereitschaft der Mitarbeiter, Compliance- oder Gesetzesverstöße anzuzeigen, wird dabei in der Regel am Größten sein, wenn sie ihre Identität nicht preisgeben müssen. Der Umgang mit anonymen Hinweisen kann für den Arbeitgeber indes durchaus eine Herausforderung darstellen.
Das moralische Dilemma des Whistleblowers
Stellt ein Mitarbeiter in seinem Arbeitsumfeld Compliance- oder Gesetzesverstöße fest, bestehen oftmals Hemmungen, dem Vorgesetzten oder gar der Geschäftsleitung diese Missstände anzuzeigen. Zu groß ist die Sorge davor, nicht ernst genommen zu werden und stattdessen womöglich bei Kollegen und Vorgesetzten als „Nestbeschmutzer“ dazustehen oder im schlimmsten Fall sogar arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die Lösung für dieses Dilemma bietet die Einführung eines Hinweisgebersystems, das den Mitarbeitern im Rahmen eines vorgegebenen Verfahrens die Erteilung von Hinweisen unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglicht. Derartige Systeme haben sich in der Praxis als wichtiger Bestandteil einer funktionierenden Compliance-Struktur erwiesen.
Die Ausgestaltung solcher Systeme ist vielfältig. Vom „Hinweisbriefkasten“ vor dem Betriebsratsbüro über eine „Whistleblower-Hotline“ bis hin zur Einschaltung einer außerhalb der Unternehmensorganisation stehenden Ombudsperson kommen in der Praxis diverse Systeme zum Einsatz.
Eine wichtige Weichenstellung für die Einführung und Ausgestaltung des jeweiligen Systems ist die Entscheidung des Arbeitgebers, ob er anonyme Hinweise zulässt oder von den Mitarbeitern erwartet, dass sie ihre Identität preisgeben.
Die Büchse der Pandora
Ermöglicht das System den Hinweisgebern die vollständige Anonymität, sinkt damit sicherlich die Hemmschwelle der Mitarbeiter, Missstände anzuzeigen. Dies kann indes Fluch und Segen zugleich sein. Denn mit der Zulassung anonymer Hinweise öffnet der Arbeitgeber möglicherweise die Büchse der Pandora und riskiert eine Flut böswilliger Meldungen. Die Gefahr des potentiellen Missbrauchs anonymer Hinweise ist nicht von der Hand zu weisen. Im Schutze der Anonymität sind schnell Vorwürfe gegen unliebsame Kollegen oder Vorgesetzte erhoben, ohne dass der „Denunziant“ Konsequenzen bei etwaigen falschen Anschuldigungen zu befürchten hätte. Und selbst bei einem noch so unbegründeten Vorwurf gilt: Irgendetwas droht hängen zu bleiben.
Anonymität als Hindernis bei der Sachverhaltsaufklärung
Doch auch bei redlichen Hinweisgebern kann deren Anonymität für den Arbeitgeber zum Problem werden. Die Aufklärung des angezeigten Sachverhalts ist erheblich erschwert, wenn keine Nachfragen beim anonymen Hinweisgeber möglich sind, die aber u.U. notwendig sind, um die Vorwürfe zu plausibilisieren bzw. zu substantiieren. Diese Problematik kann indes bei der Ausgestaltung des Systems berücksichtigt werden. Verschiedene Anbieter stellen Unternehmen bereits internetbasierte Kommunikationsplattformen zur Verfügung, die den vollständig anonymen Dialog zwischen Hinweisgeber und Hinweisempfänger gewährleisten.
Und täglich grüßt der Datenschutz…
Bei der Ausgestaltung und Nutzung des Hinweisgebersystems hat der Arbeitgeber stets auch ein besonderes Augenmerk auf den Datenschutz zu richten. Bleibt der Hinweisgeber anonym, sind seine personenbezogenen Daten zwar nicht betroffen. Da sich die Hinweise indes regelmäßig auf andere Mitarbeiter beziehen, geht die Nutzung des Hinweisgebersystems in der Regel mit der Erhebung- und Verarbeitung personenbezogener Daten einher. Der Umgang mit den personenbezogenen Daten der „angeschwärzten“ Mitarbeiter muss sich dabei an den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes, insbesondere an § 32 Abs. 1 BDSG messen lassen.
Mitbestimmung
Bei der Ausgestaltung des Hinweisgebersystems ist in der Regel auch der Betriebsrat zu beteiligen. Werden den Mitarbeitern verbindliche Vorgaben dazu gemacht, wie Meldungen über Missstände im Unternehmen zu erfolgen haben, betrifft dies ihr Ordnungsverhalten und begründet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Hinweisgebersysteme sind überdies gerade darauf angelegt, durch die Erhebung und Auswertung von Informationen Erkenntnisse über ein mögliches regelwidriges Verhalten der Arbeitnehmer zu gewinnen. Sie sind daher oftmals dazu geeignet, das Verhalten der Arbeitnehmer zu kontrollieren. Kommen IT-basierte Hinweisgebersysteme zum Einsatz, wird daher in der Regel auch der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG erfüllt sein.
Fazit
Anonyme Hinweise sollte der Arbeitgeber ernst nehmen. Anderenfalls läuft er Gefahr, dass sich ein Mitarbeiter nicht anders zu helfen weiß, als mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen und damit möglicherweise einen Skandal mit verheerenden Folgen für das Unternehmen auszulösen. Um anonyme Hinweise in geordnete Bahnen zu lenken, bietet sich die Verwendung eines Hinweisgebersystems an. Dessen Einführung und Ausgestaltung sollte dabei unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher wie auch betriebsverfassungsrechtlicher Aspekte wohl überlegt sein. Daher empfiehlt sich, ggf. auf externe Unterstützung und Best-Practice-Ansätze zurückzugreifen.
Lesen Sie ergänzend hierzu auch den Beitrag von Reinhard: „Whistleblowing – Gut gemeint, aber schlecht gemacht?“, bereits veröffentlicht auf diesem Blog.