Auch in der Insolvenz unterliegen Unternehmen, die eine Betriebsänderung durchführen wollen, der Sozialplanpflicht. Jedoch sieht die Insolvenzordnung für Sozialpläne in der Insolvenz insolvenzspezifische Sonderregelungen insbesondere mit Blick auf die Höhe des zulässigen Sozialplanvolumens vor. So dürfen Abfindungsleistungen in einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Sozialplan gemäß § 123 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 InsO zweieinhalb Bruttomonatsgehälter pro abfindungsberechtigtem Arbeitnehmer (absolute Obergrenze) und ein Drittel der Teilungsmasse (relative Obergrenze) nicht überschreiten.
Absolute Obergrenze, § 123 Abs. 1 InsO
Die Höhe des für die Berechnung der absoluten Obergrenze des § 123 Abs. 1 InsO maßgeblichen Bruttomonatsverdienstes ist in Anlehnung an § 10 Abs. 3 KSchG zu ermitteln. Danach gilt als Monatsverdienst, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit im letzten Monat seines Anstellungsverhältnisses an Geld und Sachbezügen zusteht.
Ein Überschreiten der absoluten Obergrenze führt nach ganz herrschender Meinung in der insolvenzrechtlichen Fachliteratur zur Gesamtnichtigkeit des Sozialplans und nicht nur zu einer anteiligen Kürzung der Sozialplanforderungen auf das rechtlich zulässige Volumen. Allerdings können die Parteien für den Fall des Überschreitens der absoluten Obergrenze Nachbesserungsklauseln vereinbaren. Auch können sie sich im Sozialplan auf die Formulierung beschränken, es gelte die Obergrenze des § 123 Abs. 1 InsO und ansonsten ein Punktesystem vorsehen, wonach die Abfindungsforderungen des einzelnen Arbeitnehmers in Relation zum Gesamtvolumen des Sozialplans zu ermitteln sind.
Die absolute Obergrenze ist nicht in Bezug auf den einzelnen Arbeitnehmer, sondern auf die Gesamtheit der abfindungsberechtigten Arbeitnehmer zu bestimmen. Einzelne Arbeitnehmer, die einer besonderen „sozialen Härte“ ausgesetzt sind, können so auch höhere Sozialplanleistungen erhalten, sofern nur die Obergrenze mit Blick auf die Gesamtheit der abfindungsberechtigten Arbeitnehmer nicht überschritten wird.
Relative Obergrenze, § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO
Die relative Obergrenze des § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO (ein Drittel der Teilungsmasse) wird bestimmt, indem zunächst die Kosten für das Insolvenzverfahren (§ 54 InsO) und sodann mögliche Aussonderungen (§§ 47 ff. InsO), Absonderungen (§§ 49 f. InsO) und Aufrechnungsbeträge (§§ 94 ff. InsO) von der Insolvenzmasse abgezogen werden. Die so ermittelte Teilungsmasse, dividiert durch den Faktor drei, bildet die Obergrenze für alle Sozialplanforderungen gegen das insolvente Unternehmen. Ein Überschreiten der relativen Obergrenze führt allerdings nicht zur Gesamtnichtigkeit des Sozialplans. Vielmehr sind die einzelnen Sozialplanforderungen gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 InsO anteilig zu kürzen.
Sofern in einem Unternehmen mehrere Sozialpläne nebeneinander bestehen, sind bei Abschluss eines neuen Sozialplans in der Insolvenz ggfs. zuvor aufgestellte Sozialpläne anteilig zu kürzen, wenn erst durch Abschluss des neuen Sozialplans die relative Obergrenze des § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO überschritten wird.
Anwendbarkeit auf freiwillige Sozialpläne
Nach seinem Wortlaut erfasst § 123 InsO zunächst nur Sozialpläne, die gemäß §§ 112 ff. BetrVG erzwingbar sind. Im insolvenzrechtlichen Schrifttum ist umstritten, ob § 123 InsO auch auf freiwillige Sozialpläne i.S.v. § 88 BetrVG anwendbar ist. Überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, § 123 InsO erfasse auch freiwillige Sozialpläne. Denn wenn schon erzwingbare Sozialpläne zum Zwecke der Erhaltung der Insolvenzmasse volumenmäßig zu begrenzen seien, müsse dies erst recht für freiwillige Sozialpläne gelten. Denn ansonsten würde der durch § 123 InsO vorgesehene Schutz der übrigen Massegläubiger ausgehöhlt.
Anwendbarkeit auf Tarifsozialpläne
Ebenfalls nicht abschließend geklärt ist die Anwendbarkeit des § 123 InsO auf Tarifsozialpläne. Nach wohl herrschender Auffassung in der insolvenzrechtlichen Fachliteratur dürften die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 123 InsO auf Tarifsozialpläne jedoch erfüllt sein. Da Tarifsozialpläne bei Erlass der Insolvenzordnung noch keine praktische Relevanz hatten, ist nämlich von einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzgebers auszugehen. Auch besteht, wie bei einem gemäß §§ 112 ff. BetrVG erzwingbaren Sozialplan die Gefahr, dass durch zu hohe Sozialplanforderungen die Insolvenzmasse aufgezehrt würde. Insofern würde das vom Gesetzgeber geschaffene insolvenzrechtliche Verteilungssystem konterkariert, wenn tariflich vereinbarte Abfindungen die Grenzen des § 123 InsO überschreiten könnten. Der mit einer analogen Anwendung des § 123 InsO auf Tarifsozialpläne verbundene Eingriff in die Tarifautonomie dürfte daher regelmäßig durch den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der übrigen Masse- und Insolvenzgläubiger (Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG) gerechtfertigt sein.
Widerruf „insolvenznaher“ Sozialpläne, § 124 InsO
Sozialpläne, die innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen worden sind, können gemäß § 124 InsO vom Insolvenzverwalter oder vom Betriebsrat widerrufen werden, mit der Folge, dass die Mitbestimmungspflicht der Betriebsänderung wiederauflebt und ein neuer Sozialplan unter Beachtung der Obergrenzen des § 123 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 InsO abgeschlossen werden muss. Dabei wird der Insolvenzverwalter genau überlegen müssen, ob es zum Zwecke der Erhaltung der Insolvenzmasse tatsächlich günstiger ist, den „insolvenznah“ abgeschlossenen Sozialplan zu widerrufen, der zwar ein höheres Abfindungsvolumen vorsieht, aber anders als ein nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossener Sozialplan keine Masseverbindlichkeiten begründet.
Mögliche Verwirkung des Widerrufsrechts
Grundsätzlich kann der Widerruf eines „insolvenznahen“ Sozialplanes zeitlich unbegrenzt erklärt werden. Ausnahmsweise kann das Recht zum Widerruf allerdings verwirkt sein. Dies insbesondere dann, wenn seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ein Jahr vergangen (sog. Zeitmoment) und gleichzeitig ein besonderer Vertrauenstatbestand gesetzt worden ist (wie etwa im Fall des LAG Köln v. 17.10.2002, 5 (4) TaBV 44/02 die ausdrückliche Erklärung des Insolvenzverwalters, der vor Insolvenzeröffnung abgeschlossene Sozialplan werde „angenommen“, sog. Umstandsmoment).