Arbeitgeber sind stets auf der Suche, Mitarbeiter im Interesse des Unternehmenserfolgs zu besonderen Leistungen anzuspornen. So finden sich in der Arbeitswelt kaum noch Vergütungsmodelle, die nicht zumindest einen kleinen variablen Vergütungsanteil enthalten. In Abhängigkeit von der jeweiligen Branche machen variable Vergütungsbestandteile nicht selten einen Anteil von bis zu 50 % der Gesamtvergütung aus.
Solange der Mitarbeiter den Erwartungen entspricht, profitieren beide Vertragsparteien von dieser Vergütungsstruktur. Ist der Mitarbeiter besonders erfolgreich, so erhält er – oft auch Dank besonderer Multiplikatoren – weit über das vereinbarte variable Zielgehalt hinausgehende Vergütungszahlungen. Der Arbeitgeber erhält zudem eine besonders werthaltige Arbeitsleistung. Wie ist aber mit Fällen umzugehen, in denen der Mitarbeiter aufgrund einer längeren Erkrankung zur Leistungserbringung gar nicht in der Lage ist?
Gesetzliche Regelungen – und regelungsfreie Graubereiche
Für den Zeitraum der krankheitsbedingten Entgeltfortzahlungspflicht enthält § 4a EFzG eine Kürzungsmöglichkeit für Sondervergütungen. Auch für Umsatzprovisionen i.S.d. HGB gibt es besondere Regelungen. Zu diesen Fallkonstellationen gibt es eine Reihe von grundlegenden Urteilen und Literaturkommentaren. Weitgehend unbeachtet, im Detail völlig ungeregelt und umstritten ist hingegen das Schicksal der variablen zielorientierten Leistungsvergütung für Zeiträume, in denen die Entgeltfortzahlungspflicht nach sechs Wochen erloschen ist.
Leistungsvergütung in diesem Sinne ist die Vergütung, die der Mitarbeiter für das Erreichen vorgegebener oder vereinbarter Ziele – vielfach kombiniert mit Akzeleratoren und besonderen Zielgewichtungen – für eine definierte Referenzperiode erhält. Gesetzlich geregelt ist in § 3 Abs. 1 S. 1 EFzG lediglich, dass die Entgeltfortzahlungspflicht für einen Zeitraum bis zu sechs Wochen besteht. Gesicherte Erkenntnis ist daher, dass nach Ablauf dieses Zeitraums auch kein gesetzlicher Anspruch auf eine variable Vergütung mehr existiert (LAG Hamm, Urteil vom 27. Mai 2010 – 15 Sa 166/10). Was bedeutet das für die variable Vergütung, die meist für einen Referenzzeitraum von einem Geschäftsjahr vereinbart wird?
Von nichts kommt nichts?
Arbeitgeber könnten sich auf den Standpunkt stellen, dass eine Anpassung der variablen Vergütung nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums gar nicht erforderlich ist. Wer nicht arbeitet, kann auch seine Ziele nicht erreichen und enthält dementsprechend eine reduzierte oder gar keine variable Vergütung. Das Problem würde so mehr oder weniger den Mechanismen des Marktes überlassen.
Jenseits der Frage nach einer „fairen“, gerechten Lösung steht dem jedoch entgegen, dass der Mitarbeiter hat Anspruch auf realistische und erreichbare Ziele hat (BAG, Urteil vom 12. Mai 2010 – 10 AZR 390/09). Ziele sind nötigenfalls in der laufenden Referenzperiode anzupassen. Kann der Mitarbeiter Ziele nicht erreichen, resultiert daraus nicht nur im Zweifel eine Demotivation, sondern es stellt sich auch die Frage, ob hierdurch nicht eine Klage gerade herausgefordert wird.
Auch die Kontrollüberlegung führt zu einem schrägen Ergebnis: Wenn ein Mitarbeiter trotz längerer Erkrankung seine Ziele – z.B. durch besonders lukrative oder mehr oder weniger zufällige Abschlüsse – erreicht oder sogar übererfüllt, erhält er typischerweise dennoch mindestens die volle variable Vergütung (kraft Vereinbarung), und der Arbeitgeber profitiert von der vollen Zielerreichung.
Ratierliche Kürzung der Vergütung
Der faire und dogmatisch korrekte Ansatz liegt in der anteiligen Kürzung der variablen Zielvergütung in Abhängigkeit von den nicht vergütungspflichtigen Fehltagen bei gleichzeitiger Anpassung der Ziele, soweit letzteres erforderlich ist Dies mag bei zwei oder drei Fehltagen ohne Lohnfortzahlungspflicht kleinlich erscheinen, ergibt aber bei längeren Fehlzeiten von mehreren Monaten durchaus Sinn. Schließlich ist es dem Arbeitgeber auch überlassen, erst nach Ablauf eines von ihm definierten Zeitraums ohne Lohnfortzahlungspflicht die variable Vergütung zu kürzen.
Somit bleibt die Frage zu klären, inwiefern auch die vereinbarten oder vorgegebenen Ziele angepasst werden müssen. Wie bereits erwähnt, hat der Mitarbeiter Anspruch auf erreichbare Ziele. Fällt er aufgrund einer Erkrankung über einen längeren Zeitraum hinweg aus, so sind die Ziele ggf. nicht mehr erreichbar. Hier muss es daher eine differenzierte Antwort zur Anpassungspflicht in Abhängigkeit der konkreten Ziele geben:
- Handelt es sich um individuelle Ziele, die allein von der Leistung des Mitarbeiters abhängen, so hat der Mitarbeiter häufig einen Anpassungsanspruch, soweit erkennbar ist, dass er die Ziele in der Referenzperiode nicht mehr realistisch erreichen kann.
- Handelt es sich hingegen um Unternehmensziele, die auch ohne das Zutun des einzelnen Mitarbeiters erreicht werden können, so ist gewöhnlich keine Anpassungspflicht erkennbar.
- Bei Teamzielen wird darauf abzustellen sein, inwiefern die Teamziele trotz längerer Erkrankung eines einzelnen Teammitglieds noch erreichbar sind. Dabei sind die Zielart, die Größe des Teams und die konkrete Konstellation der Zusammenarbeit im Team ausschlaggebend. Zu beachten ist aber: Kommt man zu einer Anpassungspflicht für den erkrankten Mitarbeiter, so ergibt sich daraus regelmäßig auch eine Anpassungspflicht für die übrigen Teammitglieder.
Eine pauschale Aussage zu den Anpassungspflichten einzelner Zielarten ist daher nicht seriös zu treffen und bedarf zumindest der näheren Bewertung der Ausfallzeit, Branche und Zielart. So können weiche Ziele, wie etwa Kommunikationsverhalten oder Teamfähigkeit, völlig unabhängig von der Dauer der Fehlzeit erreicht werden.
Regelungsdefizite in der Praxis
Die wenigsten Arbeitgeber nutzen die vorhandenen gestalterischen Spielräume, obgleich nach wohl überwiegender Ansicht hierfür nicht einmal eine Vereinbarung notwendig ist. Variable Vergütungssysteme sind meist ziemlich komplex und werden daher gerne als „heilige Kuh“ betrachtet, die lieber nicht angefasst werden sollte. Die Kürzungsmöglichkeiten sind allerdings gut abstrakt darstellbar und sollten durchaus transparent geregelt werden. Schließlich können solche Regelungen auch der schnelleren Gesundung dienen.
Noch ein Argument spricht für die Kürzung: Auch die variable Vergütung wird nicht nur für einen Erfolgsfaktor, sondern auch für einen Zeitfaktor gezahlt. Denn der Mitarbeiter soll seine Ziele in der vereinbarten Arbeitszeit erreichen. Daher sollten Arbeitgeber die gestalterischen Spielräume – auch im Sinne des Betriebsfriedens und der Fairness gegenüber Kollegen – durchaus nutzen.