Arbeitgeber haben nicht selten das Gefühl, dass Betriebsräte bei der Ausübung ihres Amtes Narrenfreiheit genießen. Streitigkeiten über den Umfang der Freistellung von der Arbeitsleistung oder die Erforderlichkeit von Schulungen sind typische Anlässe für einen solchen Eindruck. Doch nun hat das BAG jüngst sogar bei einer eindeutigen Pflichtverletzung eines Betriebsratsmitgliedes dessen Amtsenthebung abgelehnt. Begründung: Die Pflichtverletzung stammt aus der vorherigen Amtsperiode! Diese Entscheidung scheint die Narrenfreiheit zu bestätigen. Doch der Arbeitgeber ist – auch hier – nicht wehrlos.
Keine Amtsenthebung wegen Pflichtverletzungen aus vorangegangener Amtsperiode
Der Arbeitgeber kann gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beim Arbeitsgericht den Ausschluss eines Mitgliedes aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrates wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Die Pflichtverletzung muss objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend sein. In dem vom BAG nun entschiedenen Fall (BAG v. 27. Juli 2016 – 7 ABR 14/15) hatte die Arbeitgeberin ein Amtsenthebungsverfahren gegen ein Betriebsratsmitglied eingeleitet, welches vertrauliche Informationen innerhalb der Belegschaft über eine geplante Veräußerung der Arbeitgeberin verbreitet hatte. Eine solche Verletzung der Verschwiegenheitspflicht stellt ohne weiteres eine grobe Pflichtverletzung dar.
Schon zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung war der Betriebsrat indes neu gewählt worden. Das betreffende Betriebsratsmitglied gehörte diesem Betriebsrat abermalig an. Dies war aber der entscheidende Knackpunkt: Denn nunmehr stellt das BAG ausdrücklich klar: Pflichtverletzungen, die während einer vorangegangenen Amtszeit des Betriebsrates begangen wurden, können den Ausschluss eines Mitgliedes aus dem neu gewählten Betriebsrat nicht rechtfertigen. Dies gelte auch dann, wenn Personenidentität in dem neuen und alten Betriebsratsgremium besteht. Unbeachtlich sei zudem, ob die Pflichtverletzung aus einer vorangegangenen Amtszeit Auswirkungen auf die neue Amtszeit haben könne. Das Gesetz unterscheide strikt zwischen dem „neuen“ und dem „alten“ Betriebsrat.
Ab wann wird das Amtsenthebungsverfahren sinnlos?
Die Entscheidung des BAG kommt nicht völlig unerwartet. Bereits vor langer Zeit hatte das BAG die Rechtsfrage einmal in gleicher Weise entschieden (vgl. BAG v. 29. April 1969 – 1 ABR 19/68). Insofern schreibt das BAG nunmehr lediglich seine unbefriedigende Rechtsprechung fort. Gleichwohl hatte man aufgrund des Zeitablaufs auf eine abweichende Entscheidung hoffen dürfen.
Nun scheint sich die Amtszeit des Betriebsrates in zwei Phasen zu teilen: Eine erste Phase mit der Möglichkeit einer Amtsenthebung bei groben Pflichtverletzungen und einer zweiten Phase, in der angesichts des zeitraubenden Instanzenzuges eine Amtsenthebung de facto nicht mehr rechtskräftig durchgesetzt werden kann. Die Zweiteilung erfolgt dabei durchaus etwa in der Mitte. Denn die Durchführung eines Beschlussverfahrens durch (mindestens) zwei Instanzen kann ohne weiteres zwei Jahre in Anspruch nehmen.
Die Durchführung eines Amtsenthebungsverfahrens in der zweiten Hälft der Amtsperiode wird dadurch allerdings nicht sinnlos. Je nach Art und Schwere der Pflichtverletzung ist nicht immer mit einer Ausschöpfung des Instanzenzuges zu rechnen. Zudem wird auch eine erstinstanzliche Entscheidung über eine Amtsenthebung Aufmerksamkeit in der Betriebsöffentlichkeit erzielen und die Wahlchancen des Betroffenen sicherlich schmälern. Insoweit ist die Einleitung eines solchen Amtsenthebungsverfahrens stets auch unter taktischen Erwägungen zu überlegen. Erst in der letzten Phase der Amtsperiode wird die Einleitung des Verfahrens wohl gänzlich obsolet.
Verbleibende Handlungsoptionen für den Arbeitgeber
Das BAG sieht offenbar selbst Bedeutung und Reichweite seiner Entscheidung und betont daher ausdrücklich alternative Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers: So werden die Erhebung einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO über die Unrechtmäßigkeit des Verhaltens des Betriebsrates sowie ein Strafantrag gemäß § 120 BetrVG als Optionen genannt. Ein strafbares Verhalten dürfte jedoch nur in seltenen Fällen vorliegen, sodass sich diese Option auf überschaubare Fallgestaltungen beschränkt. Und das Ergebnis einer Feststellungsklage wird in der Praxis kaum durchgreifende Wirkung erzielen, zumal der Erfolg einer solchen Klage auch ungewiss ist. Der Senat hat erst jüngst ausgeführt, dass besondere Anforderungen an die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage zu richten sind und ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis betroffen sein muss (vgl. BAG v. 27. Mai 2015 – 7 ABR 24/13). Dies ist nach einer Neuwahl des Betriebsrates sicherlich zweifelhaft.
Damit stellt sich die Frage nach einem wirksameren Mittel, etwa einem Unterlassungsanspruch gegen den Betriebsrat oder seine Mitglieder. Diese Möglichkeit hat das BAG dem Arbeitgeber indes nach seiner neueren Rechtsprechung ebenfalls aus der Hand genommen, denn es soll generell keinen Unterlassungsanspruch mehr gegen den Betriebsrat geben (vgl. BAG v. 17. März 2010 – 7 ABR 95/08 sowie den Beitrag in diesem Blog vom 3. November 2016).
Es bleibt aber ein wichtiger Hinweis des BAG. Es stellt klar, dass Pflichtverletzungen aus der vergangenen Amtsperiode im Rahmen der Interessenabwägung anlässlich einer neuen Pflichtverletzung zu berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund wäre die Anerkennung einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung – quasi als milderes Mittel zur Ausschließung – konsequent. Aber auch in diesem Zusammenhang vertritt die Rechtsprechung indes überwiegend eine ablehnende Haltung (vgl. BAG v. 5. Dezember 1975 – 1 AZR 94/74; LAG Düsseldorf v. 23. Februar 1993 – 8 TaBV 245/92). Ungeachtet dessen dürfte dem Arbeitgeber aber die Möglichkeit verbleiben, das betriebsverfassungsrechtliche Verhalten durch einen (schriftlichen) rechtlichen Hinweis an den Betriebsrat zu dokumentieren. Auf diese Weise wird der Arbeitgeber Pflichtverletzungen nachweisbar für die Zukunft nutzbar machen können – etwa im Rahmen eines Amtsenthebungsverfahrens anlässlich einer neuen Pflichtverletzung.
Das Amtsenthebungsverfahren wird in der zweiten Phase der Amtszeit für den Arbeitgeber zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Die Erfolgsaussichten hängen von der Auslastung der Arbeitsgerichte und der Geschwindigkeit der Bearbeitung ab. Dies ist unbefriedigend und wohl eine Aufgabe für den Gesetzgeber. Bis auf weiteres sind Arbeitgeber gut beraten, die zeitlichen Aspekte eines Amtsenthebungsverfahrens sorgfältig in ihre Betrachtung einzubeziehen und ggf. auf ein solches Verfahren zugunsten einer betriebsverfassungsrechtlichen Rüge zu verzichten. Durch dieses Hilfsinstrument wird einer temporären Narrenfreiheit der Betriebsräte entgegengewirkt.