Frauen brauchen während einer Schwangerschaft sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung keine Arbeitsleistung zu erbringen und erhalten in dieser Zeit weiter ihren Arbeitslohn. Bei gesundheitlichen Gefährdungen für Mutter oder Kind innerhalb einer Schwangerschaft kann ein Arzt schon vorher ein Beschäftigungsverbot aussprechen; die werdende Mutter hat auch in diesem Fall Anspruch auf ihre bisherige Vergütung. Doch gilt letzteres auch dann, wenn eine Frau bereits ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses ein Beschäftigungsverbot erhält? Diesen Fall hatte kürzlich das LAG Berlin-Brandenburg zu entscheiden.
Was war Anlass für den Rechtsstreit?
Am 13.11.2015 schloss die damals schwangere, künftige Arbeitnehmerin einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber. Beginnen sollte das Arbeitsverhältnis am 01.01.2016. Mit Datum vom 14.12.2015 erteilte ein Arzt der Arbeitnehmerin sodann ein (für jede Tätigkeit geltendes) Beschäftigungsverbot. Dies teilte die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber am 20.12.2015 noch vor vereinbartem Arbeitsvertragsbeginn mit. Der Arbeitgeber zahlte der Arbeitnehmerin daraufhin keine Vergütung und berief sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis zu keinem Zeitpunkt in Vollzug gesetzt worden sei und deshalb keine Zahlungsansprüche bestünden.
Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 30.09.2016 – 9 Sa 917/16) entschied anders als die erste Instanz, dass auch bei Vorliegen eines Beschäftigungsverbots ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Entgelt nach § 11 Mutterschutzgesetz (MuSchG) besteht, denn:
- Der Anspruch nach § 11 MuSchG setzt keine vorherige tatsächliche Arbeitsleistung oder Entgeltansprüche für vorhergehende Zeiten voraus. Schon das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, welches bereits durch Abschluss des Arbeitsvertrags begründet wird, genügt.
- Der Arbeitnehmerin steht das regelmäßige Entgelt zu, das sie hypothetisch für die vereinbarte Arbeitszeit erzielt hätte. Das sonst heranzuziehende Referenzprinzip zur Ermittlung des Durchschnittsverdiensts kann hier – mangels Bestehen eines vorherigen Verdiensts – nicht herangezogen werden.
- Auf die Frage der Kenntnis der Arbeitnehmerin von der Schwangerschaft bei Abschluss des Arbeitsvertrags kommt es für das Bestehen des Anspruchs nicht an.
Keine Arbeit – kein Lohn?
Grundsätzlich gilt: Wer keine Arbeit leistet, erhält auch nicht die vereinbarte Vergütung. Davon gibt es im deutschen Arbeitsrecht zahlreiche Ausnahmen, so z.B. die Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder die Inanspruchnahme von Urlaub. Für den hier behandelten Fall ist eine unter § 11 MuSchG geregelte Ausnahme anzuwenden.
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses
Die erste Voraussetzung für einen Anspruch auf Vergütung gemäß § 11 MuSchG ist, dass die betroffene Frau unter den Geltungsbereich des MuSchG fällt. Das Gesetz gilt nach § 1 MuSchG schlicht für alle Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Das LAG führt richtig aus, dass es für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht darauf ankommt, ob tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wurde, sondern dass ein Arbeitsverhältnis bereits durch den bloßen Abschluss eines Arbeitsvertrags begründet wird.
Beschäftigungsverbote
Gemäß § 11 MuSchG muss für den Anspruch auf Lohnfortzahlung ein Beschäftigungsverbot vorliegen. Ein solches besteht für werdende Mütter in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung (wenn sie sich nicht ausdrücklich zur Arbeitsleistung bereit erklären) sowie (zwingend) acht Wochen nach der Entbindung. Soweit außerhalb dieser Zeiträume ein ärztliches Attest vorliegt, nach dem Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei einer Fortdauer der Beschäftigung gefährdet sind, besteht ebenfalls ein Beschäftigungsverbot.
Über diese Beschäftigungsverbote hinaus sieht das MuSchG weitere besondere Beschäftigungsverbote in §§ 4, 8 MuSchG vor. Diese beziehen sich auf die konkrete Art der Tätigkeit, vor denen Schwangere besonders geschützt werden müssen. So sind etwa Akkordarbeit oder Arbeiten verboten, bei denen sich Frauen häufig erheblich strecken oder beugen müssen.
Berechnung des Durchschnittsverdiensts
Nach § 11 MuSchG erhalten Frauen, wenn sie wegen eines Beschäftigungsverbots mit der Arbeit aussetzen müssen, grundsätzlich den Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen oder der letzten drei Monate weitergezahlt (sog. Referenzprinzip). Bei kürzerem Bestand des Arbeitsverhältnisses ist der entsprechend kürzere Zeitraum für die Berechnung der Vergütung heranzuziehen.
Dieser Grundsatz lässt sich auf hiesigen Fall aber nicht übertragen, denn die Arbeitnehmerin hatte bei ihrem Arbeitgeber mangels Arbeitsleistung überhaupt noch kein Arbeitsentgelt erzielt. Das LAG urteilte, dass in diesem Fall vom Referenzprinzip abweichend und vom Gesetz in dieser Form nicht vorgesehen, das regelmäßige Entgelt zu zahlen ist, das die Frau für die vereinbarte Arbeitszeit (hypothetisch) erzielt hätte. Aus der Unmöglichkeit der Anwendung des Referenzprinzips soll sich nach dem LAG jedenfalls keine Wartezeit für die Anwendbarkeit des MuSchG herleiten lassen. Insbesondere sollen nach dem Zweck des Gesetzes ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses jegliche Anreize für schwangere Frauen vermieden werden, aus wirtschaftlichen Erwägungen entgegen einer ärztlichen Anordnung unter eigener Gefährdung oder unter Gefährdung des Kindes zu arbeiten.
Kenntnis der Frau von der Schwangerschaft?
Ob die Frau bei Vertragsschluss Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte oder nicht, ist für das Vorliegen des Anspruchs unerheblich, so das LAG. Die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft muss eine Bewerberin im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung nicht wahrheitsgemäß beantworten (sog. „Recht zur Lüge“), sodass der Arbeitgeber hier auch nicht von sich aus aktiv werden und Nachforschungen etwa zum bisherigen Verlauf der Schwangerschaft anstellen kann. Eine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen „arglistiger Täuschung“ im Sinne des § 123 BGB scheidet deshalb aus, ebenso eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses, da gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG besonderer Kündigungsschutz besteht, obwohl mangels Erfüllung der Wartezeit im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG noch kein allgemeiner Kündigungsschutz vorliegt.
Fazit
Das LAG setzt die Tatbestandsvoraussetzungen des MuSchG konsequent um. Arbeitgeber, die die neue Mitarbeiterin bestenfalls im Bewerbungsgespräch zuletzt gesehen haben, werden dieser Rechtsprechung allerdings wenig Verständnis entgegenbringen, auch wenn Schwangere selbstredend eines besonderen Schutzes im Arbeitsleben bedürfen.