Das BAG hat mit zwei jüngeren Urteilen ein klares Zeichen gesetzt: Eine Videoüberwachung von Arbeitnehmern, die einer erheblichen Pflichtverletzung verdächtig sind, ist und bleibt zulässig, wenn andere Mittel nicht erfolgversprechend sind. Und: Die so erlangten Daten können regelmäßig auch prozessual verwertet werden, um eine Kündigung zu stützen.
Diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten waren in der jüngeren Vergangenheit des Öfteren in Zweifel gezogen worden. Wir zeigen die jüngsten Entwicklungen.
Videoaufnahmen – eine (eigentlich) sichere Bank im Prozess
Kündigungsschutzverfahren, in denen zum Nachweis der Pflichtverletzung auf Videoaufnahmen zurückgegriffen wird, führen erfahrungsgemäß zu Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Erhebung und Verwertung der Aufnahmen.
Es gehört hier schon fast zum Standard-Werkzeugkasten eines Arbeitnehmervertreters, die Unzulässigkeit der Datenverarbeitung bzw. deren prozessualer Berücksichtigung zu reklamieren. Ob dahinter ein valider rechtlicher Ansatz steht oder nur der Risikofaktor für den Arbeitgeber erhöht und seine Vergleichsbereitschaft beeinflusst werden soll, kann dahinstehen.
Der Hintergrund für dieses Vorgehen ist denkbar einfach: Die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und den Verwertungsinteressen des Arbeitgebers wurde durch die Gerichte – vorsichtig ausgedrückt – sehr individuell vorgenommen.
Auch eine auf den ersten Blick eindeutige Videoaufnahme konnte daher im Einzelfall (selbst bei unbestrittenem Sachvortrag zu dem Vorfall) keine Gewähr dafür bieten, dass die Kündigung „hält“. Nicht gerade vereinfacht wurden diese Diskussionen dadurch, dass der Wortlaut des § 32 BDSG Anlass zu diversen Auslegungsstreitigkeiten gab.
Videoüberwachung in allen Verdachtsfällen?
Unklar war die Rechtslage, wenn nicht Straftaten, sondern „nur“ erhebliche Pflichtverletzungen in Rede standen. Aus Sicht des Arbeitgebers eine Selbstverständlichkeit: Auch der Verdacht hinsichtlich solcher Pflichtverletzungen muss die Kündigung – und eine entsprechende Videoüberwachung – tragen können. Diese Auffassung fand jedoch unmittelbar im Wortlaut des § 32 BDSG keine Stütze.
Spätestens seit der letztjährigen Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 20.07.2016 – 4 Sa 61/15) hatten die Gegner dieser Ansicht aber starken Zulauf erhalten. Das LAG meinte nämlich, der gesetzliche Wortlaut, der erhebliche Pflichtverletzungen nicht erwähnte, sei abschließend und dürfe von Gerichten nicht ausgefüllt werden – hier sei der Gesetzgeber zuständig.
Das BAG (Urt. v. 22.09.2016 – 2 AZR 848/15) hielt es zu Recht für angezeigt, hierauf möglichst schnell zu reagieren. Im Rahmen einer Entscheidung, für die diese Frage eigentlich gar keine Rolle spielte, stellte das BAG klar: Das LAG hatte zu kurz gegriffen. § 32 BDSG decke bei verfassungskonformer Auslegung des – so wörtlich – „verunglückt“[en] Wortlauts von § 32 BDSG sowohl Ermittlungen bei einem konkreten Anfangsverdacht hinsichtlich begangener Straftaten als auch hinsichtlich gravierender Pflichtverletzungen.
Praxistipp: Der Arbeitgeber darf weiterhin sowohl im Fall des Verdachtes bezüglich erheblicher Pflichtverletzungen als auch von Straftaten zu den im Einzelfall erforderlichen Überwachungsmaßnahmen greifen. Er muss vor dem Einsatz einer Videoüberwachung regelmäßig andere Kontrollmaßnahmen andenken, sofern (!) diese gleich geeignet sind. Die Umsetzung einer Videoüberwachung muss „minimalinvasiv“ erfolgen (z.B. durch Einsatz von Kameras mit festem Aufnahmewinkel, Begrenzung der Speicherungsdauer von Aufnahmen etc.).
Genügt „jede“ Qualität von Verdacht?
In einer weiteren Entscheidung (Urt. v. 20.10.2016, 2 AZR 395/15) äußerte sich das BAG dazu, welche Anforderungen an den Verdacht zu stellen sind, der eine Datenverarbeitung nach § 32 BDSG rechtfertigen kann. Auch hierzu gab es die aus Arbeitgebersicht begrüßenswerte Klarstellung, die auf Linie mit der bisherigen Anwendungspraxis liegt: Schon ein Anfangsverdacht kann eine Videoüberwachung von Arbeitnehmern zur Aufdeckung von Straftaten rechtfertigen.
Das BAG drückt dies wie folgt aus:
Ein „dringender“ Tatverdacht, der einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für die Begehung von Straftaten voraussetzte (…), ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. Diesem Verständnis entsprechen auch Sinn und Zweck der Regelung. Es geht darum, schwerwiegende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten aufgrund vager Anhaltspunkte oder bloßer Mutmaßungen auszuschließen.
Anders gesagt: Wenn Verdachtsmomente nicht gerade aus der Luft gegriffen oder vorgeschoben werden, dürfte sich nahezu immer die Eingangsschwelle zu § 32 BDSG argumentativ überwinden lassen.
Orientierungshilfe durch das BAG: Wann liegt „ausreichender“ Verdacht vor?
Ausreichende Verdachtsmomente (sogar im Sinne einer Verdachtskündigung) sah das BAG in dem von ihm entschiedenen Fall als sehr wahrscheinlich an. Hier war es im Ersatzteillager einer KFz-Vertragshändlerin zu regelmäßigem Warenschwund gekommen. Die Arbeitgeberin untersagte zunächst allen Mitarbeitern (mit Ausnahme der Lageristen) den Zutritt, was nichts am Verschwinden von Waren änderte. Daraufhin wurde mit Zustimmung der Lageristen eine Videoüberwachung im Lager installiert. Der Kläger, ein Mechaniker, wurde sodann dabei gefilmt, wie er das Lager betrat und Bremsklötze einsteckte. Das BAG verwies insoweit auf folgende Gesichtspunkte:
- Die Fehlbestände von leicht zu entfernenden Teilen im Ersatzteillager und deren Unaufklärbarkeit,
- Unerlaubter Aufenthalt in dem Raum durch einen insoweit unbefugten Arbeitnehmer
- Auf Heimlichkeit ausgelegtes Verhalten
Diese Gesichtspunkte deuteten nach der Lebenserfahrung auf Straftaten der dort tätigen Mitarbeiter hin. Ein solcher „einfacher“ Verdacht i.S. eines Anfangsverdachts ist jedenfalls zur Erfüllung der Voraussetzungen von § 32 BDSG ausreichend.
Verbot der Verwertung im Prozess?
Dürfen einmal erhobene Daten im Gerichtsverfahren verwertet werden? Das BAG bestätigte hierzu seine Rechtsprechung:
Einmal erhobene Daten dürfen regelmäßig im Prozess verwertet werden, sofern das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dem nicht im Einzelfall entgegensteht – ganz gleich, ob die Erhebung mitbestimmungskonform erfolgt ist. Die durch das Gericht definierten Ausnahmefälle belassen dem Arbeitgeber noch ein (verfassungsrechtlich unvermeidliches) Risiko, das im Vorfeld einer Kündigung stets bewertet werden sollte.
Lesen Sie mehr bei:
Bergwitz, Verdeckte Videoüberwachung von Arbeitnehmern, veröffentlicht auf diesem Blog.
Hoffmann-Remy, Gerichtsverwertbare Videoüberwachung im Betrieb nicht nur bei Straftaten, Der Betrieb 2017, 555 (DB-Link DB1228182 – erfordert Registrierung).