Neben einer Vielzahl von praxisrelevanten Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Novellierung des AÜG zum 01.04.2017 einen neuen Paragraphen an anderer Stelle eingefügt: § 611a BGB. Damit ist erstmals der Arbeitsvertrag als eigener Vertragstyp gesetzlich geregelt. Hierdurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Transparenz verbessert und eine erhöhte Rechtssicherheit geboten werden. Der „Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“ soll besser bekämpft werden können, so der Gesetzgeber, wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Abgrenzung zwischen einer selbständigen Tätigkeit auf Grund eines Werkvertrages sowie einer abhängigen Beschäftigung (als überlassener Arbeitnehmer) hergibt. Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird?
Gesetzeswortlaut
§ 611a Arbeitsvertrag
Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
Gesetzesbegründung
§ 611a BGB soll nach dem Willen des Gesetzgebers missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes durch vermeintlich selbständige Tätigkeiten verhindern und die Rechtssicherheit der Verträge erhöhen. Zu diesem Zweck werden die von dem BAG entwickelten Abgrenzungskriterien schlagwortartig als Gesetzestext wiedergegeben. Exemplarisch zeigt sich dies an S. 2-4 (je weiter das Direktionsrecht reicht, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses). Durch die in S. 5 angelegte Gesamtbetrachtung soll den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung getragen werden. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BAG soll auch die tatsächliche Durchführung des Vertrages, nicht die „Papierform“, maßgeblich bleiben (S. 6).
Mit der Einfügung von § 611a BGB soll damit anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzlich niedergelegt werden, wer Arbeitnehmer ist. Dabei entsteht – glaubt man dem Gesetzgeber – für die Wirtschaft kein Erfüllungsaufwand, da die Übernahme der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG die Rechtslage in Deutschland unverändert lasse.
Bewertung
Der Arbeitsvertrag ist nunmehr erstmals gesetzlich geregelt. Wurde früher zur Abgrenzung des Arbeitsvertrags zu anderen Vertragstypen auf § 84 Abs. 1 S. 2 HGB als gesetzlichen Anker zurückgegriffen, besteht nunmehr eine eigenständige Gesetzesgrundlage.
Mit Vorsicht ist hierbei jedoch die Bezugnahme auf die Ausübung des Weisungsrechts zu genießen. Denn auch der Werkbesteller kann dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Dies ist ausdrücklich in § 645 Abs. 1 S. 1 BGB geregelt. Ebenso sind zeitliche Vorgaben häufig notwendige Bestandteile der zu erfüllenden Aufgaben. Sie führen daher auch nach der Rechtsprechung des BAG nicht zwingend zu Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Das unreflektierte Abstellen auf die Ausübung des Weisungsrechts ist daher nicht zielführend.
Um den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht zu werden, ist stattdessen im Einklang mit der Rechtsprechung auf die „Eigenart der jeweiligen Tätigkeit“ abzustellen. Ebenso ist eine „Gesamtbetrachtung aller Umstände“ vorzunehmen. § 611a BGB enthält somit gerade keine Blaupause für die Bestimmung eines Arbeitsvertrags. Die Abgrenzung ist vielmehr stets anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Ob hierdurch die gewünschte Rechtssicherheit tatsächlich erzielt wird, darf bezweifelt werden.
Schließlich bestehen begründete Zweifel, ob die Regelung bereits in hinreichender Weise europarechtliche Entwicklungen berücksichtigt hat. Dort, wo ein unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff (und damit eine unionsrechtskonforme Auslegung) maßgeblich ist, ist der neue § 611a BGB lückenhaft (siehe nur EuGH vom 10. September 2015 – C-47/14 – Holterman Ferho Exploitatie; vom 9. Juli 2015 – C-229/14 – Balkaya [zu Geschäftsführern als Arbeitnehmer auch unser vorangehender Beitrag]; vom 11. November 2010 – C-232/09– Danosa). Dem Praktiker bietet sich auch insoweit keine neue Erkenntnisquelle.
Fazit
§ 611a BGB führt zu keiner Änderung der Rechtslage. Die vom Gesetzgeber gewünschte Rechtssicherheit wird hierdurch nicht erreicht, da die Beurteilung stets vom Einzelfall abhängt. Sie bringt insbesondere für die mit der Materie vertrauten Rechtsanwender keinen Mehrwert, da die nunmehr geregelten Abgrenzungskriterien der Rechtsprechung des BAG entsprechen und bekannt sind. Insofern wird das eigentliche Ziel nicht erreicht. Dessen ungeachtet muss man den Gesetzgeber aber auch loben: Er hat zumindest nichts verschlimmert.