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Arbeitsvertrag Weisungsrecht

Versetzung: unbillig und doch verbindlich?

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Weisung

Arbeitsverträge enthalten oft Versetzungsklauseln. Danach behält sich der Arbeitgeber vor, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit bzw. einen anderen Arbeitsort zuzuweisen. In Formularverträgen müssen derartige Klauseln bestimmten Anforderungen genügen, um rechtswirksam zu sein. Jede Versetzung muss zudem billigem Ermessen entsprechen. Was gilt, wenn die Versetzung im Einzelfall unbillig ist, etwa aufgrund des Inhalts der neuen Tätigkeit oder der größeren Entfernung zwischen Wohnsitz und neuer Arbeitsstätte? Muss der Arbeitnehmer einer unbilligen Versetzungsanordnung zunächst einmal Folge leisten, bis die Rechtswirksamkeit gerichtlich geklärt ist? In einer spektakulären neuen Entscheidung hat nun der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die hierzu ergangene Rechtsprechung des 5. Senats in Frage gestellt.

Direktionsrecht des Arbeitgebers

Im Arbeitsvertrag sind Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung regelmäßig nur allgemein umschrieben. Die konkreten Arbeitsaufgaben sowie die Art und Weise ihrer Erledigung muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gesondert vorgeben und dergestalt den vertraglichen Rahmen ausfüllen. Hierzu ist der Arbeitgeber kraft seines Direktionsrechts berechtigt. In den Grenzen, die durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge und Gesetz vorgegeben sind, darf er die Arbeitsbedingungen festlegen. Allerdings kann der Arbeitgeber hierbei nicht nach Belieben verfahren, vielmehr muss seine Weisung billigem Ermessen entsprechen (§ 106 Satz 1 Gewerbeordnung). Beispielsweise kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer regelmäßig keine unterwertige Tätigkeit mit geringerer Vergütung zuweisen. Es muss jeweils eine Interessenabwägung durchgeführt werden. Bei einer Versetzung hat daher eine Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der Zuweisung der neuen Tätigkeit bzw. des neuen Arbeitsortes und dem Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen stattzufinden.


Vielfach haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedliche Auffassungen über die Berechtigung einer Arbeitgeberweisung. In dieser Situation stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer einer als unbillig empfundenen Weisung zunächst Folge leisten muss, bis die Rechtmäßigkeit der Weisung gerichtlich geklärt ist. Diese Auffassung hat in der Tat der 5. Senat des BAG vertreten (Urt. v. 22.02.2012 – 5 AZR 249/11). Konsequenz dieser Auffassung ist, dass der Arbeitnehmer bei Nichtbefolgung einer Weisung arbeitsrechtliche Sanktionen vom Verlust seines Vergütungsanspruchs über eine Abmahnung bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses riskiert, selbst wenn im Nachhinein die Unbilligkeit und damit Unverbindlichkeit der Weisung gerichtlich festgestellt wird. Dass dieses Ergebnis aus Arbeitnehmersicht unbefriedigend ist, liegt auf der Hand. Der hieran geäußerten verbreiteten Kritik hat sich nun auch der 10. Senat des BAG angeschlossen. Er vertritt – abweichend vom 5. Senat – die Auffassung, ein Arbeitnehmer müsse einer unbilligen Weisung nicht – auch nicht vorläufig – folgen (Beschl. v. 14.06.2017 – 10 AZR 330/16).

Unverbindlichkeit einer unbilligen Versetzungsanordnung

Was war geschehen? Geklagt hatte ein Immobilienkaufmann, welcher vom beklagten Unternehmen befristet von Dortmund nach Berlin versetzt worden war, nachdem mehrere Mitarbeiter seines Teams gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden eine weitere Zusammenarbeit mit dem als unkooperativ und unkollegial bezeichneten Arbeitskollegen abgelehnt hatten. Der Arbeitnehmer leistete der Versetzungsanordnung nicht Folge. Nachdem zwei Abmahnungen fruchtlos geblieben waren, kündigte der Arbeitgeber fristlos. Mit seiner Klage begehrte der Immobilienkaufmann Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzung, Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte und Fortzahlung der Vergütung für die Zeit nach Ausspruch der Kündigung.

Der 5. Senat des BAG hätte die Klage abgewiesen. In einem vergleichbaren Fall hat er entschieden, dass eine unbillige Versetzungsanordnung des Arbeitgebers nicht nichtig, sondern nur unverbindlich ist. Der Arbeitnehmer dürfe sich daher über eine unbillige Ausübung des Direktionsrechts – sofern sie nicht aus anderen Gründen unwirksam ist – nicht hinwegsetzen, sondern müsse gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch die Gerichte für Arbeitssachen anrufen. Da der Arbeitnehmer diesen Weg nicht eingehalten hatte, hat der 5. Senat die seinerzeitige Klage auf Zahlung von Annahmeverzugslohn abgewiesen (Urt. v. 22.02.2012 – 5 AZR 249/11).

Anders jetzt der 10. Senat: Ausweislich seiner Pressemitteilung Nr. 25/17 möchte er die Auffassung vertreten, dass der Arbeitnehmer einer unbilligen Arbeitgeberweisung keine Folge leisten muss. Er hat daher beim 5. Senat gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz angefragt, ob er an seiner gegenteiligen Rechtsprechung festhalten möchte (Beschl. v. 14.06.2017 – 10 AZR 330/16). Bereits das in zweiter Instanz mit dem Fall befasste Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat dem 5. Senat des BAG die Gefolgschaft verweigert und der Klage des Immobilienkaufmanns stattgegeben. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, die Rechtsprechung des 5. Senats führe zu einer für den Arbeitnehmer untragbaren Risikoverlagerung, weil er auch eine unbillige Arbeitgeberweisung zunächst befolgen müsse, wenn er nicht riskieren wolle, seiner Vergütungsansprüche verlustig zu gehen oder gar gekündigt zu werden, selbst wenn im Nachhinein die Unbilligkeit der Weisung gerichtlich festgestellt wird. Dies widerspreche § 315 Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch, wonach die Leistungsbestimmung nur verbindlich ist, wenn sie der Billigkeit entspricht (Urt. v. 17.03.2016 – 17 Sa 1660/15).

Konsequenzen für die Praxis

Im vom 10. Senat entschiedenen Fall ging es vor allem um die Vergütungsansprüche. Der Kündigungsrechtsstreit wegen der ausgesprochenen fristlosen Kündigung ist noch beim für Kündigungen zuständigen 2. Senat des BAG anhängig (Az. 2 AZR 329/16). Damit bleibt zunächst weiter offen die zentrale Frage, ob die Nichtbefolgung einer unbilligen Arbeitgeberweisung eine fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung rechtfertigt. Das LAG Köln hat dies verneint (Urt. v. 28.08.2014 – 6 Sa 423/14). Wenn hierzu keine Einigung zwischen den Senaten des BAG erzielt werden kann, muss der Große Senat des BAG entscheiden (§ 45 Abs. 3 Satz 1 Arbeitsgerichtsgesetz). Bis zu einer endgültigen Klärung gilt daher: Arbeitnehmer sollten auch einer als unbillig empfundenen Arbeitgeberweisung vorsorglich Folge leisten, um arbeitsrechtliche Sanktionen zu vermeiden. Umgekehrt können sich Arbeitgeber nicht mehr darauf verlassen, dass ihre Weisungen in jedem Fall zunächst einmal zu befolgen sind und eine „Selbsthilfe“ des Arbeitnehmers zur Streichung der Vergütung oder gar zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

Dr. Christoph Bergwitz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Christoph Bergwitz unterstützt Arbeit­ge­ber ins­be­son­dere bei Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes, im Rahmen von Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie beim Schutz vor wett­be­werbs­wid­ri­gem Verhalten durch Arbeit­neh­mer. Darüber hinaus berät Christoph Bergwitz Füh­rungs­kräfte und Organ­mit­glie­der.
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