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Kündigung, verhaltensbedingt

Beleidigungen gegenüber dem Arbeitgeber – ein Lehrstück

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Beleidigung

Das LAG Schleswig-Holstein hat in seiner Entscheidung vom 24. Januar 2017 eine Kündigung wegen Beleidigung der Geschäftsführung als gerechtfertigt angesehen. Das für sich betrachtet verdiente kein besondere Erwähnung. Aufmerksamkeit verdient das Urteil dennoch, da das LAG schon fast lehrbuchartig alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalles erörtert, und mit einer häufigen Fehlvorstellung ausräumt: Auch nach „Emmely“ kann das angesparte „Vertrauenskapital“ bei langjähriger Betriebszugehörigkeit durch eine einzige Handlung restlos aufgebraucht sein.

Der Fall: „Umgangston auf dem Bau“?

Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kündigung 62 Jahre alt und seit 23 Jahren bei der Beklagten, einem familiengeführten Unternehmen im Bereich der Gas- und Wasserinstallation, in einem Kleinbetrieb beschäftigt. Am Abend des 15. Februar 2016 kam es zu einer hitzigen Unterredung zwischen dem Kläger und dem „Familienoberhaupt“ (früherer Geschäftsführer und Vater der zwei jetzigen Geschäftsführer). Ausgangspunkt des Gesprächs waren fachliche Fragen zu Bauteilen, die auf einer Baustelle verwendet werden sollten. Der ehemalige Geschäftsführer sagte dem Kläger dabei (wohl) sinngemäß, er könne sich die fehlenden Teile „schnitzen“ und als ehemaliger Seemann kenne er sicher genug Knoten, um die Teile zu befestigen. Als der Kläger das Büro verlies, kommentierte dies einer der ebenfalls anwesenden Geschäftsführer sinngemäß mit „Kinderkram“ bzw. „Sind wir im Kindergarten?

Am nächsten Morgen suchte der Kläger erneut das Gespräch mit dem Geschäftsführer, um sich über das vorangegangene Gespräch sowie eine Abmahnung aus dem November 2015 zu beschweren. Beide Seiten waren gereizt und angespannt. Der Kläger äußerte, dass sich der ehemalige Geschäftsführer wie ein „Arsch verhalten“ habe und sein Sohn diesbezüglich „ihm den Rang ablaufe“. Auf die Aufforderung des Klägers „ihn dann halt zu kündigen“, sagte der Geschäftsführer: „Damit wir dann als soziale Arschlöcher dastehen“. Der Kläger erwiderte darauf, dass die Firma dies bereits sowieso schon sei.

Nachdem keine Entschuldigung des Klägers erfolgte, sprach die Beklagte drei Tage später die außerordentliche Kündigung aus. Sowohl das Arbeitsgericht Neumünster als auch das LAG Schleswig-Holstein (vom 24. Januar 20173 Sa 244/16) wiesen die Kündigungsschutzklage als unbegründet ab.


Die Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein hat nach ausführlicher Abwägung des zugrundeliegenden Sachverhalts die Kündigung bestätigt. Es hat einleitend nochmals klargestellt:

  • Eine grobe Beleidigung des Arbeitgebers kann einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen.
  • In jedem Einzelfall muss sehr genau geprüft werden, welche Umstände der Beleidigung zu Grunde lagen und wie die widerstrebenden Interessen zu gewichten sind. Insbesondere auf die strafrechtliche Bewertung kommt es dabei nicht an, denn es ist streng zwischen der repressiven Sanktion und der präventiven Kündigung zu differenzieren.

Ausgehend von diesem Dogma hat das LAG in seine Bewertung einbezogen, wie es zur Beleidigung kam: handelte der Arbeitnehmer im Affekt, wurde er gar vom Arbeitgeber provoziert, und wie war der betriebs- und branchenübliche Umgangston? Darauf aufbauend hat das Gericht überlegt, ob es wieder zu einer solchen Situation kommen könnte und wie hoch die Wiederholungsgefahr einzuschätzen war. Diese Abwägung ging zu Lasten des Arbeitnehmers aus.

Fehlende Entschuldigung – fehlende Einsicht

Für das LAG Schleswig-Holstein war es insoweit ausdrücklich von Bedeutung, dass sich der Arbeitnehmer bis zum Kündigungsschutzprozess nicht bei den Geschäftsführern entschuldigte. Dieses Nachtatverhalten sah es als Indiz fehlender Einsicht. Bei einem so uneinsichtigen Arbeitnehmer liege das Risiko höher, dass es zu neuen Verfehlungen komme.

„Emmely“ und „Vertrauenskapital“ – kein K.O.-Kriterium

Insbesondere nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Sachen „Emmely“ wurde durch die Instanzen nachhaltig die Frage diskutiert, ob das BAG damit Arbeitnehmern mit langer Betriebszugehörigkeit gleichsam einen Freischuss für auch schwere Pflichtverletzungen zubilligen wollte. Auch wenn mittlerweile klar ist, dass dies so nicht gemeint war, hält sich nachhaltig bei manchen der Irrglaube, genügend Betriebszugehörigkeit schaffe so viel „Vertrauenskapital“, dass eine einzige Abhebung (Pflichtverletzung) den Kontostand nicht in die roten Zahlen schnellen lassen könne.

Auch das LAG befasst sich natürlich im Rahmen der Interessenabwägung mit der Betriebszugehörigkeit . War der Arbeitnehmer bereits wie hier 23 Jahre in dem Unternehmen tätig und hatte sich zuvor noch nie im Ton vergriffen, kann das dafür sprechen, dass es sich um einen einmaligen Vorfall unter besonderen Bedingungen handelte. Das LAG behandelt diesen Faktor richtigerweise jedoch als einen Faktor unter vielen im Rahmen einer Gesamtabwägung, und nicht als K.O.-Kriterium in die eine oder andere Richtung.

Besonderheiten des Kleinbetriebs

Das LAG sah im vorliegenden Fall insbesondere durch die Struktur der Beklagten „erschwerende“ Gründe zu Lasten des Arbeitnehmers gegeben, weshalb die Betriebszugehörigkeit allein den Kläger nicht retten konnte:

Die Kündigungsfrist ist mit sieben Monaten zum Monatsende äußerst lang, mit der Folge, dass die Geschäftsführer der Beklagten ebenso wie deren Vater und deren im Betrieb tätige Mutter täglich mit dem Nachhall, „soziale Arschlöcher zu sein“, und mit der Uneinsichtigkeit des Klägers konfrontiert gewesen wären. Zu berücksichtigen war ferner, dass es sich um einen kleinen Familienbetrieb handelt, in dem sich die agierenden Personen nicht ausweichen können und in dem man viel mehr emotionale Nähe hat, als in einem Großbetrieb. Die hohe und nachhaltige Betroffenheit der vier im Betrieb arbeitenden Mitglieder der Geschäftsführerfamilie wurde durch die in jeder Hinsicht sachlichen Schilderungen der beiden Geschäftsführer in der Berufungsverhandlung ganz besonders deutlich

 

Freie Meinungsäußerung?

Schließlich wog das LAG Schleswig-Holstein noch ab, ob das Recht auf freie Meinungsäußerung die Aussage rechtfertige. Es verneint dies aber, da weder eine zehn Jahre zurückliegende, nicht aufrecht erhaltene Kündigung noch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen acht Jahre zuvor den Ausdruck „soziale Arschlöcher“ rechtfertigen könne.

Zusammenfassung

Im Ergebnis reiht sich das Urteil – bei aller Einzelfallbetrachtung – nahtlos in die bestehende Rechtsprechung ein. Grobe Beleidigungen sind und bleiben „an und für sich“ ein außerordentlicher Kündigungsgrund; Arbeitnehmer, die meinen, aufgrund langer Betriebszugehörigkeit gleichsam einen „Freischuss“ zu haben, bewegen sich vor Gericht auf sehr dünnem Eis.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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