Das ArbG Karlsruhe (Urt. v. 27.04.2016 – 3 Ca 22/16) hat sich zur umstrittenen Frage geäußert, ob mit dem Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen der Altersgrenze im Sinne von § 41 S. 3 SGB VI zugleich eine Änderung der Arbeitsbedingungen vereinbart werden kann, ohne dass dies die Wirksamkeit des vereinbarten Beendigungszeitpunktes berührt. Das Gericht hat dieses mit einem klaren „Ja“ beantwortet, was aber noch keine Rechtssicherheit für die Praxis bedeutet.
Praktischer Bedarf an Beschäftigung über die Altersgrenze hinaus
In vielen Arbeits- oder Tarifverträgen finden sich Klauseln, nach denen das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze enden soll, siehe hierzu im Einzelnen den Beitrag von Julia Lampe. Rückt das Ende näher, sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber häufig daran interessiert, das Arbeitsverhältnis weiter fortzusetzen. Für den Arbeitgeber kann es wichtig sein, dass laufende Projekte in einer Hand zu Ende geführt werden oder die zu einem späteren Zeitpunkt beginnende Ersatzkraft eingearbeitet bzw. die Zeit bis zu deren Arbeitsbeginn überbrückt wird (so schon die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 18/1489, S. 25). Der Arbeitnehmer kann an weiterem Verdienst interessiert sein. § 41 S. 3 SGB VI ermöglicht hier das Hinausschieben des ursprünglichen Beendigungszeitpunktes über das Erreichen der Regelaltersgrenze. Oft besteht mit dem Verschieben des Beendigungszeitpunktes zugleich ein Bedarf an der Änderung sonstiger Arbeitsbedingungen (z. B. Arbeitszeitreduzierung). Der Einfachheit halber werden dann häufig alle gewünschten Änderungen in demselben Änderungsvertrag vorgenommen. Problematisch ist, ob in diesem Fall von einem (befristeten) „Hinausschieben“ gesprochen werden kann oder ob eine solche Vereinbarung unzulässig ist, mit der Konsequenz, dass ein unbefristetes, dem Kündigungsschutzgesetz unterfallendes Arbeitsverhältnis vorliegt. Die Rechtsprechung hatte bislang den Fall der gleichzeitigen Änderung anderer Arbeitsbedingungen nicht zu entscheiden. Das Urteil des ArbG Karlsruhe schafft nun einen ersten Anhaltspunkt, dass Vereinbarungen, die ein gleichzeitiges Hinausschieben der Altersgrenze und eine Änderung sonstiger Arbeitsbedingungen beinhalten, nach § 41 S. 3 SGB VI Bestand haben können.
Der Sachverhalt des Urteils in Kürze
Der ursprünglich zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag enthielt eine Klausel, wonach das Arbeitsverhältnis der Lehrkraft einer staatlichen Hochschule für Musik zum Ende des Semesters enden sollte, in dem der Arbeitnehmer sein 65. Lebensjahr vollendet. Im Februar 2014, drei Monate vor der Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers, vereinbarten die Parteien die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2015 und eine Verringerung der Arbeitszeit auf 50 Prozent. Im Juni 2015 vereinbarten die Parteien erneut eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, diesmal zum 29.02.2016. Nachdem die staatliche Hochschule eine weitere Verlängerung des Vertrages ablehnte, klagte der Arbeitnehmer auf Entfristung.
Die Entscheidungsgründe
Das ArbG Karlsruhe sah die Voraussetzungen des § 41 S. 3 SGB VI als gegeben an und kam zu dem Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 29.2.2016 geendet hat.
Zunächst führte das Gericht aus, dass zwischen den Parteien ursprünglich eine arbeitsvertragliche Vereinbarung bestand, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsah. Es sei unschädlich, dass das Arbeitsverhältnis zum Ende des Semesters enden sollte, in dem die Lehrkraft das 65. Lebensjahr vollendet und dieses nicht genau mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze zusammenfalle. Mit dem 65. Lebensjahr sei auf die damalige gesetzliche Regelaltersgrenze Bezug genommen worden. Zudem sei es „allgemein übliche Praxis“, bei Hochschullehrern aus Rücksicht auf die „Kontinuität der Lehre“ auf das Ende des Semesters zu rekurrieren. Der Bezug zur Regelaltersgrenze sei dennoch gegeben. Die Auslegung ergäbe entsprechend, dass eine Vereinbarung vorläge, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsehe.
Sodann stellte das Gericht fest, dass die Fortsetzungsvereinbarung auch vor Vollendung des 65. Lebensjahres des Arbeitnehmers und damit noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses getroffen wurde, sodass ein Hinausschieben noch möglich sei. Eine erst danach geschlossene Vereinbarung kann nicht mehr auf § 41 S. 3 SGB VI gestützt werden.
Anschließend geht das ArbG Karlsruhe auf die grundlegende Problematik ein, ob von einem „Hinausschieben“ des vereinbarten Beendigungszeitpunktes im Sinne des § 41 S. 3 SGB VI noch gesprochen werden könne, wenn gleichzeitig mit dem Verschieben der Regelaltersgrenze die Arbeitsbedingungen geändert werden. Nach Ansicht des Gerichts ist dies der Fall. Es lehnt damit die in der Literatur stark vertretene Auffassung ab, wonach eine Parallele zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG zu ziehen sei. Entsprechend läge nach der Ansicht des ArbG Karlsruhe bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen kein Neuabschluss eines befristeten Vertrages vor, der eines sachlichen Grundes im Sinne von § 14 Abs. 1 TzBfG bedürfe. In überzeugender Weise stützt sich das ArbG Karlsruhe auf den Wortlaut des § 41 S. 3 SGB VI. Während § 41 S. 3 SGB VI auf das Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes des „Arbeitsverhältnisses“ abstelle, beziehe sich § 14 Abs. 2 TzBfG auf eine Verlängerung des „Arbeitsvertrages“. Weiterhin stellt das Gericht auf den Sinn und Zweck des § 41 S. 3 SGB VI ab, eine „Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben zum Renteneintritt“ zu ermöglichen. Gerade in dieser Situation bestünde „kein Anlass“ in dem Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes unter Reduzierung der Arbeitszeit den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu sehen, der zugleich einen Sachgrund für die Befristung verlange.
Abschließend stellt das ArbG Karlsruhe fest, dass § 41 S. 3 SGB VI mit dem Europarecht vereinbar sei (siehe zu den begründeten Zweifeln an der Europarechtskonformität den Beitrag von Oliver Vollstädt „‘Flexi-Rente‘ – bis dass der Tod uns scheidet…“).
Ausblick und Praxishinweis
Es bleibt abzuwarten, ob und ggf. wie sich das Bundesarbeitsgericht zu dieser Rechtsfrage positioniert. Möglicherweise hat das Gericht bald die Gelegenheit dazu. Zwar haben sich die Parteien im Berufungsverfahren über die Entscheidung des ArbG Karlsruhe vor dem LAG verglichen; unter dem Aktenzeichen 7 AZR 70/17 ist aber derzeit eine Revision in anderer Sache zu dieser Thematik anhängig: Während das ArbG Göttingen (unveröffentlichtes Urt. v. 13.01.2016 – 3 Ca 395/15 Ö) die Möglichkeit eines gleichzeitigen Hinausschiebens der Altersgrenze und eine Änderung der Arbeitsbedingungen nach § 41 S. 3 SGB VI nach dem Tatbestand des Berufungsurteils offenbar bejaht hat, ließ das LAG Niedersachsen (Urt. v. 29.11.2016 – 10 Sa 218/16) die Frage zu Recht offen. Sollte eine Entscheidung des BAG hierzu ergehen, werden wir hierzu in diesem Blog berichten.
Solange höchstrichterlich nicht verlässlich geklärt ist, ob das Hinausschieben des Beendigungszeitpunktes mit einer gleichzeitigen Änderung der Arbeitsbedingungen kombiniert werden darf, gilt: Auch wenn das ArbG Karlsruhe nun praxisfreundlich entschieden hat, sollten Arbeitgeber von einer solch kombinierten Vereinbarung unbedingt absehen. Andere Lösungen sind möglich.