Nach § 3 BetrAVG ist es Arbeitgebern und Arbeitnehmern untersagt, Versorgungsanwartschaften und laufende Leistungen der betrieblichen Altersversorgung vorzeitig zu kapitalisieren und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses „en bloc“ als Abfindung an den Arbeitnehmer auszuzahlen. Ob und inwieweit dieses Abfindungsverbot zwingend auch für Organe einer Kapitalgesellschaft (insbesondere GmbH-Geschäftsführer) gilt, war durch die Rechtsprechung bislang nur in Ansätzen geklärt. Eine neue Entscheidung des BGH vom 23.5.2017 (Az. II ZR 6/16) sorgt nun für (etwas) mehr Rechtssicherheit, lässt aber auch einige praktisch bedeutsame Rechtsfragen offen.
Die Entscheidung des BGH
Der BGH hatte über die Klage des ehemaligen (Gesellschafter-)Geschäftsführers einer GmbH zu entscheiden. Der Kläger hielt zuletzt 35 % der Gesellschaftsanteile, der einzige weitere Geschäftsführer weitere 5 %. Die übrigen Anteile befanden sich in den Händen Dritter.
Nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis im Jahr 2011 bezog der Kläger zunächst eine laufende Altersrente. Nach der entsprechenden Versorgungszusage war der Gesellschaft das Recht eingeräumt, die Altersrente in eine Kapitalabfindung umzuwandeln. Im Jahr 2013 beschloss die Gesellschafterversammlung, von diesem Recht Gebrauch zu machen.
Der gegen diesen Beschluss gerichteten Anfechtungsklage gab das LG Kiel statt, das OLG Schleswig-Holstein wies die Klage in der Berufungsinstanz ab. Der BGH bestätigte die Entscheidung des OLG im Ergebnis.
Das BetrAVG finde zwar auf den Kläger Anwendung. § 3 BetrAVG stehe der Umwandlung der Rentenzahlung in eine Abfindung aber nicht entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob – wie das OLG in der Vorinstanz angenommen hatte – die Vorschrift den Fall gar nicht erfasse, dass eine Versorgungszusage von Anfang an das Recht zur Kapitalisierung enthalte.
Entscheidend sei, dass in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG den Mitgliedern von Organen einer Kapitalgesellschaft die Disposition über das Betriebsrentengesetz in gleichem Umfang gestattet sei, wie dies für die Tarifvertragsparteien gelte. Die Regelung über das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG sei daher jedenfalls wirksam von den Parteien abbedungen und stehe der Kapitalisierung der Rente und damit der Abfindung des Geschäftsführers nicht entgegen.
Sinn und Zweck des Abfindungsverbots
Ausgangspunkt der Entscheidung des BGH ist die Regelung des § 3 BetrAVG. Das dort geregelte Abfindungsverbot dient dem Erhalt von Anwartschaften und Versorgungsleistungen der betrieblichen Altersversorgung. Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist es demnach grundsätzlich untersagt, erworbene Ansprüche des Arbeitnehmers auf Versorgungsleistungen durch vorzeitige Kapitalisierung und Auszahlung, z.B. als Abfindung im Rahmen eines Aufhebungsvertrags oder -vergleichs, zu schmälern. Insbesondere soll dem Arbeitnehmer eine Verwendung dieser Mittel für andere Zwecke als seine Altersversorgung unmöglich gemacht werden. Die Vorschrift dient damit nicht zuletzt dem Schutz des Arbeitnehmers „vor sich selbst“ (BAG v. 21.3.2000 – 3 AZR 127/99).
Geltung des Abfindungsverbots auch für Organmitglieder
Das BetrAVG – und damit das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG – gilt gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG auch für Nicht-Arbeitnehmer und damit grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH, wenn diesen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung „aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagt worden sind“.
An diesem Kausalzusammenhang zwischen Tätigkeit und Versorgungszusage fehlt es bei geschäftsführenden Mehrheitsgesellschaftern, denn soweit diesen eine Versorgungszusage erteilt wird, geschieht dies nicht „aus Anlass der Tätigkeit“, sondern wegen ihrer Gesellschafterstellung.
Umstritten ist, inwieweit dies auch für geschäftsführende Minderheitsgesellschafter gilt. Jedenfalls dann, wenn diese gemeinsam mit anderen geschäftsführenden Minderheitsgesellschaftern mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile auf sich vereinen und daher bestimmenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen können, sollen auch sie vom Geltungsbereich des BetrAVG ausgeschlossen sein. Lediglich unerhebliche Beteiligungen sind in einem solchen Fall unschädlich, wobei die genaue Grenze der Erheblichkeit durch die Rechtsprechung nicht geklärt und in der Literatur umstritten ist. Sie dürfte bei etwa 10 % der Gesellschaftsanteile liegen.
Diese Arithmetik wendet auch der BGH in seiner Entscheidung vom 23.5.2017 an und setzt dementsprechend die Anwendbarkeit des BetrAVG gedanklich voraus. Etwas Begründungsaufwand wäre insoweit allerdings wünschenswert gewesen, zumal das BAG im Fall besonderer Leistungen an Gesellschafter wiederholt die Rechtsnatur der Leistung als Altersversorgung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG und damit die Anwendbarkeit des Betriebsrentengesetzes unabhängig von der Regelung des § 17 BetrAVG in Frage gestellt hat („Unternehmerlohn“ ist keine Zahlung „aus Anlass“ des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG, vgl. BAG v. 19.1.2010 – 3 AZR 660/09 und 3 AZR 42/08 vom selben Tag).
Abweichungen vom Abfindungsverbot
Angreifbar ist auch die Begründung des BGH, weshalb von den Vorschriften des Betriebsrentengesetzes zum Nachteil von Organmitgliedern in gleichem Umfang abgewichen werden können soll, wie dies durch tarifvertragliche Regelungen der Fall ist.
Insoweit verweist das Gericht auf die fehlende Schutzbedürftigkeit der Organmitglieder und die Notwendigkeit, das Schutzniveau demjenigen der Arbeitnehmer anzugleichen. Ohne tiefergehende Begründung beruft sich der BGH diesbezüglich auf die vermeintlich gleich lautende Rechtsprechung des BAG. Konkret zitiert er dessen Entscheidung vom 21.4.2009 (3 AZR 285/07). Dort bejahte das BAG zwar tatsächlich die Möglichkeit, auch zu Ungunsten von Organmitgliedern in den Grenzen der Tarifdispositivität von den Vorschriften des BetrAVG abzuweichen. Die Entscheidung hatte jedoch eine Regelung zum Gegenstand, durch die von der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG abgewichen werden sollte. In der Literatur ist daher durchaus umstritten, inwieweit diese (auch im Übrigen teils kontrovers diskutierte) Rechtsprechung auf § 3 BetrAVG übertragbar ist.
Folgen für die Praxis
Nach der Entscheidung des BGH kann die Wirksamkeit eines Kapitalisierungsrechts in der Versorgungszusage eines Organmitglieds künftig jedenfalls nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden. Trotz aller Kritik an ihrer eher knappen Begründung schafft die Entscheidung des BGH damit ein für die Praxis erfreuliches Maß an Rechtssicherheit.
Unklar ist jedoch, ob und inwieweit die Entscheidung auf den Fall übertragen werden kann, dass eine Kapitalisierung der Altersversorgung von Organmitgliedern nicht von vornherein in der Versorgungszusage vorgesehen war, sondern erst nachträglich vereinbart wird (etwa im Rahmen von Verhandlungen über die Beendigung des Anstellungsverhältnisses). Höchstrichterlich nicht geklärt ist auch die – vom BGH ausdrücklich offen gelassene – Frage, ob § 3 BetrAVG überhaupt Anwendung findet, wenn die Kapitalisierungsmöglichkeit von Anfang an in der Versorgungszusage vorgesehen war. Letzteres kann insbesondere für die Gestaltung von Versorgungszusagen an Arbeitnehmer von großer Bedeutung sein. Die Diskussion bleibt mithin spannend.