open search
close
Abmahnung

Vorweggenommene Abmahnung – so kann es gehen

Print Friendly, PDF & Email
Vorweggenommene Abmahnung

Will der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen wegen einer bestimmten Pflichtverletzung kündigen, so ist dies in der Regel nur möglich, wenn er gegenüber dem Arbeitnehmer zuvor eine Abmahnung nach einem vorangegangen gleichartigen Verstoß ausgesprochen hat. Das Instrument der vorweggenommenen Abmahnung ist ein Mittel, um dieses Erfordernis zu beseitigen. Zu der Frage, wann eine vorweggenommene Abmahnung mit diesem Effekt eingesetzt werden kann, hat sich jüngst das LAG Schleswig-Holstein (Urt. v. 29.06.2017 – 5 Sa 5/17) geäußert.

Was ist eine vorweggenommene Abmahnung?

Im Unterschied zu einer sonstigen Abmahnung wird eine vorweggenommene Abmahnung nicht als Reaktion auf eine vorangegangene Pflichtverletzung eines Arbeitnehmers ausgesprochen. Eine vorweggenommene Abmahnung ist ein Hinweis des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, dass er ein bestimmtes näher bezeichnetes Verhalten nicht duldet und für den Fall des Verstoßes die Kündigung des Arbeitsverhältnisses androht. Dieser Hinweis kann durch Aushang am „Schwarzen Brett“, im Intranet, durch Rundschreiben oder im Arbeitsvertrag angebracht werden.

Durch die Rechtsprechung ist bisher nicht eindeutig geklärt, wann eine vorweggenommene Abmahnung ausreicht, um eine verhaltensbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers ohne eine vorherige Abmahnung in einem vergleichbaren Fall zu rechtfertigen. (vgl. LAG Düsseldorf, Urt. v. 15.08.2012 – 12 Sa 697/12) Hier gibt das Urteil das LAG Schleswig-Holstein Hinweise.


Was war passiert?

Das LAG Schleswig-Holstein hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Arbeitnehmer gegen das Verbot verstieß, Dienstfahrzeuge für private Fahrten einzusetzen. Zu Beginn seiner Tätigkeit im April 2014 hatte er eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, in der unter anderem stand:

„Ich bin darüber belehrt worden, dass ein Verstoß gegen diese Anordnung arbeitsrechtliche Folgen (Ermahnung/Abmahnung/ Kündigung/o.a.) haben wird.“

Im April 2016 veranlasste der Arbeitnehmer, dass ein Mitarbeiter anlässlich einer dienstlich veranlassten Fahrt mit einem Dienstfahrzeug das private Sakko des Arbeitnehmers aus einer Reinigung abholte. Im Mai 2016 ließ sich der Arbeitnehmer von einem Auszubildenden mit einem Dienstfahrzeug von zuhause zur Dienststelle fahren und auch wieder zurückbringen.

Die Arbeitgeberin hatte den Arbeitnehmer aufgrund dieser Verstöße – ohne zuvor eine Abmahnung ihm gegenüber ausgesprochen zu haben – außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt.

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein

Das LAG Schleswig-Holstein sah in der Privatnutzung des Dienstfahrzeugs Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten, die an sich zur außerordentlichen Kündigung, und damit erst Recht zur ordentlichen Kündigung, berechtigten. Das Gericht hielt die Kündigungen aber dennoch für unwirksam, da der Arbeitnehmer zunächst hätte abgemahnt werden müssen.

Eine verhaltensbedingte Kündigung kann in der Regel erst ausgesprochen werden, nachdem der Betroffene einschlägig abgemahnt wurde, weil eine Kündigung – ebenso wie eine Abmahnung – keine Strafe für ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers ist, sondern eine präventive Maßnahme, um vergleichbare Verstöße zu verhindern. Aus diesem Grund ist für den Ausspruch einer Kündigung eine negative Prognose erforderlich, also die berechtigte Erwartung, dass der Arbeitnehmer erneut in vergleichbarer Weise gegen seine Pflichten verstoßen wird.

Bei einer Pflichtverletzung, die auf steuerbarem Verhalten beruht, begründet die Wiederholung einer solchen nach Ausspruch einer konkreten Abmahnung in der Regel die negative Prognose, sodass eine Kündigung im Anschluss möglich ist.

Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise konkrete Leistungs- oder Verhaltensmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfalle seien Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Mit der Abmahnung soll der Arbeitnehmer an die ordnungsgemäße Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten erinnert (Hinweisfunktion) und vor Konsequenzen bei weiterem Fehlverhalten gewarnt werden (Warnfunktion).

Eine vorweggenommene Abmahnung erfüllt die Hinweis- und die Warnfunktion nicht in gleicher Weise und kann in der Regel auch keine negative Prognose stützen (so neben dem LAG Schleswig-Holstein, aaO., auch das LAG Düsseldorf, aaO.) Der Verstoß gegen eine vorweggenommene Abmahnung kann allerdings nach Ansicht des LAG Schleswig-Holstein eine negative Prognose begründen, wenn „der Arbeitgeber diese bereits in Ansehung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung ausspricht, sodass die dann tatsächlich zeitnah folgende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aus Sicht eines besonnenen Arbeitgebers als beharrliche Arbeitsverweigerung angesehen werden muss.“ Die Verpflichtungserklärung, die zum Zeitpunkt des Pflichtverstoßes bereits zwei Jahre alt war, sei daher keine vorweggenommene Abmahnung, die eine konkrete Abmahnung entbehrlich machen konnte.

Eine vorweggenommene Abmahnung mit einer solchen Wirkung hätte laut Gericht vorgelegen, wenn der Arbeitgeber beispielsweise durch den Auszubildenden einen Tag zuvor von der geplanten Privatnutzung des Dienstfahrzeuges durch den Arbeitnehmer erfahren hätte und diesen unverzüglich nochmals unter konkretem Hinweis auf den Inhalt der Verpflichtungserklärung verboten hätte, sich mit einem Dienstfahrzeug von zu Hause abholen zu lassen.

Fazit

Eine vorweggenommene Abmahnung ist daher nur in einem recht begrenzten Rahmen vom Arbeitgeber einsetzbar. Ihre Verwendung kann für den Arbeitgeber aber ein sehr hilfreiches Instrument sein, wenn von einer bevorstehenden Pflichtverletzung Kenntnis hat oder diese vermutet.

KLIEMT.Arbeitsrecht




Wir sind Deutsch­lands führende Spe­zi­al­kanz­lei für Arbeits­recht (bereits vier Mal vom JUVE-Handbuch als „Kanzlei des Jahres für Arbeitsrecht“ ausgezeichnet). Rund 90 erst­klas­sige Arbeits­rechts­exper­ten beraten Sie bundesweit von unseren Büros in Düs­sel­dorf, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg aus. Kompetent, persönlich und mit Blick für das Wesent­li­che. Schnell und effektiv sind wir auch bei komplexen und grenz­über­schrei­ten­den Projekten: Als einziges deutsches Mitglied von Ius Laboris, der weltweiten Allianz der führenden Arbeitsrechtskanzleien bieten wir eine erstklassige globale Rechtsberatung in allen HR-relevanten Bereichen.
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Ghosting – Was tun, wenn ein Arbeitnehmer „verschwindet“?

Ghosting, ein Begriff, der ursprünglich aus der Dating-Welt stammt, beschreibt das plötzliche Abtauchen einer Person ohne jegliche Erklärung. Dieses Verhalten kommt auch im Arbeitsverhältnis immer wieder vor. Wenn ein Mitarbeiter plötzlich nicht mehr zur Arbeit erscheint und alle Kontaktversuche ignoriert, stehen Arbeitgeber vor einigen Herausforderungen. Wichtige Aufgaben bleiben unerledigt und müssen kurzfristig umverteilt werden. Besonders herausfordernd an der Situation ist aber die Ungewissheit: Was ist…
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Politischer Content in sozialen Medien – Meinungsfreiheit vs. Rücksichtnahmepflicht

Im digitalen Zeitalter bieten die sozialen Medien nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Kommunikation. Veröffentlichter Content geht viral. Und immer häufiger belasten veröffentlichte oder geteilte Inhalte das Arbeitsverhältnis. Gleichwohl sind die Hürden für entsprechende Arbeitgeberkündigungen hoch. Immer häufiger rücken politische Äußerungen von Arbeitnehmern in den Fokus von Arbeitgebern. Ein prominentes Beispiel stellt etwa die Kündigung des Fußballbundesligisten Mainz 05 gegenüber dem Spieler, Anwar El Ghazi, wegen eines…
Individualarbeitsrecht Kündigung, allgemein Neueste Beiträge

Kündigung per Einwurfeinschreiben: Auf die „postübliche Einwurfzeit“ kommt es an

Bei der Zustellung eines Kündigungsschreibens sind Fehler besonders ärgerlich – kommen jedoch häufig vor. Gerade bei längeren Kündigungsfristen, z.B. zum Quartalsende, kann eine fehlerhafte Zustellung zu (vermeidbaren) Mehrkosten für den Arbeitgeber führen. In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht den Zugangszeitpunkt bei Kündigungen durch Einwurfeinschreiben weiter präzisiert. Zugang durch Einwurfeinschreiben Der Zugang eines Kündigungsschreibens durch Einwurfeinschreiben tritt ein, wenn das Schreiben in den Machtbereich des…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert