Nicht erst, aber insbesondere seit #metoo stehen Fälle sexueller Belästigung im beruflichen Kontext im Schlaglicht der Öffentlichkeit. In der Rechtsprechung sind bislang hauptsächlich Fälle am Arbeitsplatz zwischen Männern und Frauen behandelt worden, mit einer begrüßenswert klaren Linie. Diese hat das BAG mit einer jüngeren Entscheidung fortgeführt und klargestellt: Jede Form von sexueller Belästigung unterfällt dem AGG – ohne Ansehung der Motivation.
„Andere Maßstäbe“ je nach Arbeitsumfeld?
In der (kündigungsrechtlichen) Rechtsprechung ist anerkannt, dass „raue Sitten“ in bestimmten Branchen durchaus bei der Bewertung eines Verhaltens zu berücksichtigen sein können. Entsprechend ist so manches Verhalten, das für einen neutralen Betrachter mit anderem soziokulturellem Hintergrund nur zutiefst befremdlich wirken kann, „auf dem Bau“, in einer Produktionshalle oder in einem Müllwerk als „nur“ befremdlicher Scherz oder üblicher, derber Umgangston bewertet worden. Inwieweit diese Rechtsprechung durch veränderte Anschauungen diese Differenzierung noch aufrechterhalten möchte, bleibt abzuwarten.
Der Fall
Auf ein derartiges Verständnis meinte sich auch der belästigende Arbeitnehmer und Kläger im vorliegenden Fall berufen zu können: Er arbeitete zusammen mit zwei im Betrieb der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmern an der Verpackung und Etikettierung von Bandstahlrollen. Einem der Leiharbeitnehmer griff er während der Schicht von hinten schmerzhaft in den Genitalbereich und äußerte sodann wörtlich, dieser habe „dicke Eier“.
Als der Fall aufgrund einer Beschwerde des Leiharbeitnehmers bekannt wurde und die Kündigung folgte, versuchte sich der Kläger damit zu verteidigen, es habe sich nur um einen nach dem betrieblichen Umgangston üblichen „Scherz“ gehandelt; im Übrigen habe die Arbeitgeberin auch schon in der Vergangenheit ähnlich gelagertes Verhalten nicht sanktioniert.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG (Urteil v. 29. Juni 2017, 2 AZR 302/16) entschied, dass die absichtliche Berührung von Geschlechtsmerkmalen, auch wenn diese ohne jegliche sexuelle Motivation erfolgt, eine sexuelle Belästigung i.S.d. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) darstellt, die abstrakt eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann.
Eine sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.
Das BAG verweist in seiner Begründung darauf, dass auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen eine sexuelle Belästigung darstellen könnten. Erforderlich sei dabei auch nicht notwendigerweise eine sexuelle Motivation des Täters.
Die sexuelle Bestimmtheit einer Handlung könne sich zwar aus der reinen Absicht, also der sexuellen Motivation des Klägers, ergeben. Daher könne z.B. auch eine Umarmung allein aufgrund der mit ihr verfolgten sexuellen Absicht eine sexuelle Belästigung sein. Andererseits könne sich die sexuelle Belästigung aber auch allein aus dem Ergebnis der Handlung (z.B. Griff in die Genitalien) ergeben.
„Objektiv zur Belästigung geeignete“ Handlung reicht aus
Es reiche, dass die Handlung objektiv dazu geeignet sei, den anderen in seiner sexuellen Selbstbestimmung zu verletzen. Auf die Motivation komme es hier nicht an. Jedermann habe das Recht, selbst darüber zu entscheiden, von einer anderen Person in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden oder nicht.
Daher stellte im vorliegenden Fall der zielgerichtete „Griff von hinten“ eine sexuelle Belästigung dar. Durch die entwürdigende Bemerkung im Nachgang sei die vorherige körperliche Belästigung auch noch sprachlich manifestiert worden. Diese habe den betroffenen Kollegen dadurch erneut zum Objekt der vermeintlichen Dominanz des Täters gemacht.
Soweit das AGG auf die Unerwünschtheit der sexuellen Handlung eingehe, bedeute dies nach dem BAG nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben muss.
Dies ist konsequent: Eine solche „aktive Ablehnung“ ist gerade bei überraschenden Übergriffen, mit denen das Opfer nicht rechnet, nicht denkbar.
Für die Rechtsprechung genügt es daher, dass die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war.
Weiterer Verfahrensgang
In der Sache konnte der Senat noch nicht final entscheiden, da im Rahmen der Interessenabwägung der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses und etwaige Störungen noch nicht hinreichend aufgeklärt wurden. Entsprechend erfolgte die Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.
Dieses muss nunmehr entscheiden, ob der Griff in die Genitalien durch den Kläger auch unter Berücksichtigung von Kriterien wie der Betriebszugehörigkeit des Täters, dem bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses und ähnlichen Vorfällen in der Vergangenheit auch im vorliegenden Fall die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigte.
Bewertung
Auch in einem Arbeitsumfeld mit „rauerem“ Umgangston müssen sexuelle Belästigungen nicht toleriert werden. Kommt es hier insbesondere zu Tätlichkeiten oder intimen Berührungen, ist für Toleranz kein Raum mehr. Das respektvolle Zusammenarbeiten der Arbeitnehmer ist die Grundlage für Moral und Motivation der Mitarbeiter und letztlich für den Unternehmenserfolg. Die Entscheidung des BAG führt daher zu Recht die konsequente Linie fort, entsprechende Vorfälle kündigungsschutzrechtlich klar zu bewerten.