Einigen sich die Arbeitsvertragsparteien einvernehmlich – etwa durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder gerichtlichen Vergleichs – über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und vereinbaren unter anderem, dass sämtliche Ansprüche ausgeglichen und erledigt sind, so bedeutet dies nicht ohne Weiteres, dass tatsächlich keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden können. Vorsicht ist insbesondere dann geboten, wenn ein Arbeitnehmer vor Abschluss eines Sozialplans, aber in zeitlichem und innerem Zusammenhang mit einer geplanten Betriebsänderung ausscheidet. Wird anschließend ein Sozialplan abgeschlossen, so kann der Arbeitnehmer unter dessen Geltungsbereich fallen und einen (zusätzlichen) Abfindungsanspruch gegen den Arbeitgeber geltend machen. Dies gilt unbeschadet einer etwaigen Ausgleichsklausel, da eine solche sich nicht auf eine Sozialplanabfindung erstreckt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht jüngst erneut bestätigt (Urt. v. 25.4.2017 – 1 AZR 714/15). Der Arbeitgeber läuft dann Gefahr, vom Arbeitnehmer gleich zwei Mal auf Zahlung einer Abfindung in Anspruch genommen zu werden.
Der vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidende Fall
Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.4.2017 lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die klagende Arbeitnehmerin war seit 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Nachdem sie betriebsbedingt gekündigt worden war, erhob sie Kündigungsschutzklage. In dem Kündigungsschutzverfahren stritten die Parteien unter anderem darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan zustand. Letztlich einigten sich die Parteien im Wege eines gerichtlichen Vergleichs auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte verpflichtete sich zudem, der Klägerin für den Verlust ihres Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG zu zahlen.
Der gerichtliche Vergleich enthielt die nachfolgende, allgemein übliche Abgeltungsklausel:
„Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. Forderungen aus deliktischen Handlungen, Forderungen und Verbindlichkeiten aus Geschäftsbeziehungen zwischen der Beklagten und der Klägerin und etwaig unverfallbare Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung bleiben davon unberührt.“
Die Arbeitnehmerin erhob anschließend erneut Klage und machte die Differenz zwischen der Sozialplanabfindung und der im Vergleich vereinbarten Abfindungssumme geltend. Das LAG München lehnte den Anspruch mit der Begründung ab, der Anspruch auf eine Sozialplanabfindung sei aufgrund des gerichtlichen Vergleichs miterledigt. Das Bundesarbeitsgericht war indes anderer Auffassung.
Kein Verzicht auf Sozialplanabfindungen
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf eine Sozialplanabfindung nicht aufgrund der Abgeltungsklausel in dem gerichtlichen Vergleich erloschen sei. Eine Abgeltungsklausel stelle zwar ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis dar, da im Ergebnis auf solche Ansprüche verzichtet werde, die im Aufhebungsvertrag oder dem gerichtlichen Vergleich nicht geregelt seien. Mit Blick auf etwaige Ansprüche aus einem Sozialplan sei indes § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist ein Verzicht auf Rechte des Arbeitnehmers aus einer Betriebsvereinbarung nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Die Vorschrift gilt auch für Ansprüche aus einem Sozialplan, da dieser nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkungen einer Betriebsvereinbarung hat. Liegt die Zustimmung des Betriebsrats nicht vor, so ist der Verzicht nach § 134 BGB nichtig.
Ausnahme: Tatsachenvergleich
Eine Ausnahme gelte – so das Bundesarbeitsgericht – lediglich dann, wenn die Parteien einen sog. Tatsachenvergleich schließen. Auf diesen findet § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG keine Anwendung. Ein Tatsachenvergleich setzt jedoch voraus, dass zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über die tatsächlichen Voraussetzungen des Sozialplans bzw. eines Anspruchs aus dem Sozialplan bestehen. Werden diese durch eine Vereinbarung zwischen den Parteien beseitigt, so spricht man von einem Tatsachenvergleich.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hätten die Parteien im vorangegangenen Rechtsstreit nicht allein über die Erfüllung der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen gestritten, so dass es sich nicht um einen Tatsachenvergleich handele. Zur Begründung seiner Entscheidung stützte sich das Bundesarbeitsgericht unter anderem auf den Wortlaut der Ausgleichsklausel, in der ausdrücklich vereinbart worden sei, dass beiderseitige Ansprüche abgegolten seien.
Kein widersprüchliches Verhalten des Arbeitnehmers
Zuletzt stellte das Bundesarbeitsgericht außerdem klar, dass dem Arbeitnehmer, der eine weitere Abfindung fordere, obwohl eine Erledigungsklausel vereinbart worden sei, kein widersprüchliches Verhalten vorzuwerfen sei. Denn ein widersprüchliches Verhalten sei nur dann gegeben, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen ließen. Das Bundesarbeitsgericht betonte in diesem Zusammenhang, dass allein der Abschluss einer gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG verstoßenden Vereinbarung beim Arbeitgeber kein Vertrauen darauf schaffe, der Arbeitnehmer werde später deren Unwirksamkeit nicht geltend machen.
Im Ergebnis wurde der in der Abgeltungsklausel enthaltene Verzicht auf eine etwaige Sozialplanabfindung vom Bundesarbeitsgericht daher wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG nach § 134 BGB als unwirksam erachtet.
Praxistipps
Streiten die Parteien über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für einen Sozialplananspruch, so sollten sie diese Meinungsverschiedenheiten im Wege eines Tatsachenvergleichs beilegen. Dies kommt etwa dann in Frage, wenn zwischen den Parteien streitig ist, ob der Arbeitnehmer unter den persönlichen Geltungsbereich eines Sozialplans fällt, insbesondere, wenn die Eigenschaft als leitender Angestellter in Frage steht. Auf einen Tatsachenvergleich findet das Verzichtsverbot des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG keine Anwendung. Zu beachten ist indes, dass die Voraussetzungen tatsächlich ungewiss sein müssen. Ist dies in Wahrheit nicht der Fall, wird durch eine Einigung über die Tatbestandsvoraussetzungen das Verzichtsverbot umgangen mit der Folge, dass die Vereinbarung der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.
Steht der Abschluss eines Sozialplans bevor und scheidet ein Arbeitnehmer einvernehmlich aus, so sollte in den Aufhebungsvertrag oder gerichtlichen Vergleich jedenfalls eine sog. Anrechnungsklausel aufgenommen werden. In einer solchen Klausel vereinbaren die Parteien, dass auf die Abfindung alle etwaigen sonstigen Abfindungsansprüche im weitesten Sinne (z.B. Ansprüche aus einem Sozialplan oder Nachteilsausgleichsansprüche) angerechnet werden. Eine derartige Anrechnung stellt keinen gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG verstoßenden Verzicht dar.