Die Entsendung von hochqualifizierten Arbeitnehmern in das Ausland erfreut sich großer Beliebtheit: zur Entwicklung und Motivation der Arbeitnehmer aus Unternehmenssicht, als Karrieresprungbrett schlechthin aus Sicht der Arbeitnehmer.
Solche Entsendungen werden über zusätzliche Entsendevereinbarungen zum weiterhin bestehenden Arbeitsvertrag mit dem deutschen Arbeitgeber oder durch einen separaten befristeten Arbeitsvertrag mit der ausländischen Gesellschaft umgesetzt, während das Arbeitsverhältnis mit dem deutschen Arbeitgeber ruhend gestellt wird. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile – doch birgt die Konstruktion der Entsendevereinbarung häufig ein unerkanntes Risiko: den Arbeitsplatzverlust wider Willen.
Arbeitnehmerüberlassung durch Auslandsentsendung?
Wird mit einer zusätzlichen Entsendungsvereinbarung gearbeitet, während das deutsche Arbeitsverhältnis fortbesteht, erfolgt in der Sache die Überlassung des Arbeitnehmers an einen anderen Arbeitgeber unter gleichzeitiger Übertragung des Direktionsrechtes an diesen. Der Arbeitnehmer wird in die Arbeitsorganisation des ausländischen Unternehmens voll integriert und erhält seine Weisungen vom dortigen Management. Dies stellt eine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des Arbeitsnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) dar.
Diese Arbeitnehmerüberlassung ist solange unproblematisch, wie der Arbeitnehmer an ein Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG überlassen wird. Denn dann – und nur dann – greift das Konzernprivileg, das das deutsche AÜG in wesentlichen Teilen für nicht anwendbar erklärt. Wie ist die Rechtslage allerdings, wenn der Arbeitnehmer innerhalb einer Teil-Unternehmensgruppe ohne Konzernverbindung oder bei einem nicht-konzernzugehörigen Joint Venture eingesetzt werden soll?
Anwendbarkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auf Auslandsentsendungen
Nicht nur auf den ersten Blick erscheint es wenig sinnhaft, aber: das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist auf diese Auslandssachverhalte durchaus anwendbar. Denn der Verleiher ist der Arbeitgeber des Arbeitnehmers mit Sitz in Deutschland, für den die zwingenden Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gelten. Eine ähnliche Regelung wie das Konzernprivileg, das das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz weitgehend für unanwendbar erklärt, gibt es für derartige Konstellationen nicht. Und das führt zu Problemen:
Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten bei Auslandsentsendungen
Dies beginnt bereits mit der zu berücksichtigenden Überlassungshöchstdauer. Nach der Reform des AÜG ist eine Überlassung für maximal 18 aufeinanderfolgende Monate an denselben Entleiher möglich. Unterbrechungen der Überlassung können den Zeitraum zwar verlängern. Dies gilt jedoch nur, wenn die Unterbrechung jeweils mindestens drei Monate plus einen Tag beträgt.
Auslandsentsendungen umfassen in der Praxis jedoch typischerweise einen Zeitraum von zwischen zwei und fünf Jahren, sodass die gesetzliche Überlassungshöchstdauer nur über wiederholte mehrmonatige Unterbrechungen des Auslandseinsatzes einzuhalten wäre. Es drohte auch das Risiko eines Umgehungsvorwurfes.
Wohl also dem Arbeitgeber, der dieses Problem ggf. über den Einsatz bei verschiedenen Entleihern im Ausland lösen kann. Das Gesetz knüpft nämlich an den Rechtsträger des Entleihers an. Kommen im Rahmen des Auslandseinsatzes mehrere Rechtsträger als Einsatzunternehmen in Betracht, so kann man zwischen diesen nach dem jetzigen Stand des AÜG jederzeit wechseln.
Steht jedoch nur eine Gesellschaft zur Verfügung, so ist die Höchstüberlassungsdauer kaum einzuhalten. Auslandüberlassungen betreffen fast ausschließlich hochqualifizierte Arbeitnehmer, die sich oder ggf. ein ausländisches Team in eine komplexe Materie einarbeiten müssen oder sonstige Projekte betreuen, die längerfristiger Begleitung durch ihr besonderes Know-how bedürfen. Beides erfordert Zeit, sodass die ersten sechs bis zwölf Monate allein durch Einarbeitungs- und Anpassungsaktivitäten bereits verbraucht sein dürften.
Keine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem ausländischen Entleiher
Wird die Höchstüberlassungsdauer aber überschritten, stellt sich neben Geldbußen und ähnlichen Nebenfolgen die Frage nach der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zu dem Entleiher.
Das Gesetz sieht vor, dass bei Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer kraft gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher entsteht. Möchte der Arbeitnehmer dies verhindern, so muss er eine Festhaltenserklärung abgeben, die er zuvor der Agentur für Arbeit vorlegen und die sodann spätestens am dritten Tag nach der Vorlage bei der Agentur dem Ver- oder Entleiher zugehen muss.
Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, dass die Einhaltung dieses „Festhaltens“-Prozesses während eines Auslandsaufenthaltes (selbst wenn der Fall überhaupt erkannt wird!) völlig unrealistisch ist. Das Arbeitsverhältnis zu dem deutschen Arbeitgeber endet daher in solchen Fällen regelmäßig kraft Gesetzes!
Aber es geht noch absonderlicher: Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit einem ausländischen Arbeitgeber kann durch ein Gesetz, das wegen des Territorialitätsprinzips nur in Deutschland gilt, gar nicht herbeigeführt werden. Der betroffene Arbeitnehmer erhält mangels Gesetzgebungskompetenz des deutschen Gesetzgebers kein Arbeitsverhältnis zu dem ausländischen Einsatzunternehmen. Da er keine fristgemäße Festhaltenserklärung gegenüber seinem deutschen Arbeitgeber abgibt, verliert er jedoch auch dieses Arbeitsverhältnis. Die Konsequenz: Statt Karrieresprung plötzlich der Fall ins Leere?
Ein hochqualifizierter Arbeitnehmer stünde in einem solchen Fall de lege lata plötzlich völlig ohne Arbeitsverhältnis da. Arbeitnehmerschutz würde in sein Gegenteil verkehrt. Gleichzeitig stellt dies ein Risiko für den Arbeitgeber dar, der häufig gar nicht erkennen wird, dass ein „arbeitsvertragloser“ Arbeitnehmer in seinem Betrieb ein- und ausgeht. Die Folgeprobleme sind offensichtlich.
Feststellung wesentlicher Arbeitsbedingungen ausländischer Vergleichskollegen
Weitere Unwägbarkeiten birgt das AÜG im Hinblick auf die Feststellung der wesentlichen Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Auslandsunternehmen. Der deutsche Arbeitgeber muss die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gewähren, die ein vergleichbarer Arbeitnehmer vom ausländischen Einsatzunternehmen erhält.
Wie hier eine Vergleichbarkeit festzustellen ist, ist schon in Deutschland höchst problematisch. Bei Auslandsentsendungen kommt hinzu: Hochqualifizierte entsandte Arbeitnehmer sind häufig Spezialisten in bestimmten Feldern. Einen Vergleichskreis zu bilden, dürfte allein aufgrund dieser Tatsache, aber auch aufgrund weiterer fehlender Vergleichskriterien wie der ggf. nur schwer vergleichbaren Ausbildung schwierig sein.
Probleme bestehen (aus Sicht des AÜG) nur dort nicht, wo der deutsche Spezialist besser bezahlt wird als die Arbeitnehmer im Einsatzunternehmen: dies verbietet das Gesetz nämlich gerade nicht. Jedoch mögen ausländische Rechtsordnungen wiederum eine andere Perspektive auf diese Frage aufzeigen.
Nötig: Kreative Lösungen – im rechtlich zulässigen Rahmen
Klar ist: Nach dem Sinn und Zweck des AÜG sind die oben genannten Ergebnisse bestenfalls widersinnig, schlimmstenfalls schädlich für die Entsendungspraxis vieler Unternehmen. Es ist das eine, Arbeitnehmer vor einer dauerhaften Überlassung an einen anderen Arbeitgeber zu schlechteren Arbeitsbedingungen zu schützen. Dieses Schutzes bedürfen hochqualifizierte Entsendungsarbeitnehmer aber nicht, und diesen Schutz gewährt das Gesetz ihnen auch nicht – aber es bietet auch keine Lösungsmöglichkeit für die regelungstechnisch unsaubere Gesetzeslage an.
Nacharbeiten des Gesetzgebers (z.B. in Form weitergehender Privilegierungsregelungen oder einer fingierten „Festhaltenserklärung analog“) sind so schnell nicht zu erwarten. Inländische Arbeitgeber, die bis dahin mit der aktuellen Gesetzeslage konfrontiert sind, können die Probleme derzeit nur auflösen, indem sie das Element des Inlandssachverhaltes aus der Überlassung zwischen zwei Unternehmen komplett eliminieren. Hier gilt es also, im rechtlich zulässigen Rahmen kreative Lösungen zu entwickeln.
Denkbar wäre dies z.B. im Falle der Überlassung im Ausland zwischen zwei ausländischen Gesellschaften, wenn der Transfer des Arbeitnehmers in das Ausland an eine der beteiligten Gesellschaften durch einen bereits heute im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz genannten Ausnahmetatbestand ermöglicht wird.