Nicht selten schaffen Arbeitnehmer geschäftliche Unterlagen ihres Arbeitgebers in Papier- oder elektronischer Form beiseite, weil sie damit Ansprüche gegen ihren Arbeitgeber durchsetzen oder Kündigungsgründe widerlegen wollen. Nur ausnahmsweise können sich Arbeitnehmer hierfür zur Rechtfertigung auf Beweisnot berufen. Hingegen kann ein derartiges Zurückbehalten von Geschäftsunterlagen den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen, wie das Bundesarbeitsgericht in einer wenig bekannten Grundsatzentscheidung aus 2014 klargestellt hat.
Geschäftsunterlagen sind Arbeitgebereigentum!
Festzuhalten ist zunächst: Geschäftsunterlagen sind Arbeitgebereigentum. Der Arbeitnehmer ist daher verpflichtet, jederzeit auf Anforderung sowie bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unaufgefordert alle geschäftlichen Unterlagen, Dokumente sowie Kopien und Abschriften, die er anlässlich seines Arbeitsverhältnisses erhalten oder angefertigt hat, an seinen Arbeitgeber herauszugeben (§§ 667, 985, 861 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Ein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) besteht nicht. Doch was gilt, wenn der Arbeitnehmer die Dokumente benötigt, um z.B. Provisionsansprüche gegen seinen Arbeitgeber zu beweisen oder bei einer betriebsbedingten Kündigung den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs zu widderlegen? Kommt in derartigen Fällen ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers (§ 273 BGB) in Betracht bzw. handelt der Arbeitnehmer in Wahrnehmung berechtigter Interessen?
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat hierzu in seiner Grundsatzentscheidung vom 8.5.2014 (2 AZR 249/13) klargestellt: Einem Arbeitnehmer ist es aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht grundsätzlich verwehrt, sich ohne Einverständnis seines Arbeitgebers betriebliche Unterlagen anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis enthalten. Will der Arbeitnehmer derartige Dokumente in einem Rechtsstreit gegen seinen Arbeitgeber als Beweismittel verwenden, darf er sie nicht eigenmächtig beiseiteschaffen. Vielmehr ist er vorrangig gehalten, dem Arbeitgeber im Prozess durch das Gericht aufgeben zu lassen, diese Dokumente vorzulegen (vgl. § 142 Abs. 1, §§ 421 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]). Nur wenn der Arbeitnehmer aufgrund „besonderer Umstände“ annehmen darf, dieses prozessuale Vorgehen ist „von vorneherein aussichtslos“, sowie im Fall einer „Beweisnot“ für den Arbeitnehmer kommt ausnahmsweise etwas anderes in Betracht. Hält sich der Arbeitnehmer nicht an diese Vorgaben, kann dies eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber rechtfertigen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs
In ähnlicher Weise hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer älteren Entscheidung vom 7.7.2008 (II ZR 71/07) geurteilt und ein Zurückbehaltungsrecht eines abberufenen Geschäftsführers an Geschäftsunterlagen verneint. Die Gesellschaft habe ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Geschäftsunterlagen nicht verstreut bei ausgeschiedenen Geschäftsführern verblieben und womöglich in unbefugte Hände gerieten. Die bloß abstrakte Möglichkeit, wegen etwaiger Fehler in der Amtsführung in Regress genommen zu werden, rechtfertige kein prophylaktisches Zurückbehalten von geschäftlichen Dokumenten der Gesellschaft.
Und was folgt daraus jetzt?
Eine generelle Aussage, wann das Zurückbehalten von Geschäftsunterlagen durch einen Arbeitnehmer zulässig ist oder stattdessen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, ist nicht möglich. Es kommt – wie so häufig im Arbeitsrecht – auf alle Umstände des Einzelfalles und eine Abwägung der beiderseitigen Interessen an. Immerhin lassen sich einige Grundlinien herausarbeiten:
Handelt der Arbeitnehmer etwa in der Absicht, seinem Arbeitgeber gezielt Schaden zuzufügen, z.B. weil er die zurückbehaltenen Dokumente nutzen will, um seinen Arbeitgeber beim Finanzamt „anzuschwärzen“, scheidet eine Wahrnehmung berechtigter Interessen aus und riskiert der Arbeitnehmer eine fristlose Kündigung. Gleiches kann sich aus den Begleitumständen ergeben, z.B. wenn durch das Handeln des Arbeitnehmers Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers gefährdet werden oder wenn es sich um Original-Dokumente handelt, die dem Arbeitgeber entzogen werden und auf die dieser für seinen laufenden Geschäftsbetrieb angewiesen ist.
Dagegen kann ein Zurückbehalten von Geschäftsunterlagen ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer ansonsten in Beweisnot geriete und die prozessuale Waffengleichheit gefährdet wäre. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn es um die Vorlage einer Vielzahl beweisrelevanter E-Mails geht, die einen längeren Zeitraum abdecken und die der Arbeitnehmer kaum hinreichend konkret benennen könnte, um deren Vorlage über das Gericht zu erzwingen. Zugunsten des Arbeitnehmers spricht es auch, wenn er zurückbehaltene Unterlagen ausschließlich seinem zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Anwalt zum Zwecke der Vorlage bei Gericht zur Verfügung stellt.
Fazit
Das Zurückbehalten von Geschäftsunterlagen ist kein „Königsweg“ zur Durchsetzung von Ansprüchen oder zur Widerlegung von Kündigungsgründen, sondern eine „gefahrgeneigte Tätigkeit“, deren Chancen und Risiken in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen werden sollten. Mehr zum Thema lesen Sie demnächst bei Bergwitz in der NZA.
Great article. I will be going through many of these issues as well..