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Annahmeverzug Kündigung, allgemein

„Rücknahme“ der Kündigung – und trotzdem Annahmeverzugslohn?

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Annahmeverzug

Ein großer Teil der Kündigungsschutzprozesse vor den Arbeitsgerichten endet durch einen Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung vorsieht. Sind die Karten nicht günstig und soll einem stattgebenden Urteil zuvorgekommen werden, wählen Arbeitgeber gelegentlich eine andere Vorgehensweise: von der Kündigung Abstand zu nehmen und den Arbeitnehmer wieder zu beschäftigen. Häufig übersehen wird hierbei: Der Arbeitgeber hat die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einseitig in der Hand – und unsorgfältige Formulierungen können zu unangenehmen Überraschungen führen, wie ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des BAG (Urteil vom 24. Mai 2017, 5 AZR 251/16) einmal mehr eindrucksvoll zeigt.

Keine einseitige Rücknahme möglich

Ungewöhnliche prozessuale Situationen können sich ergeben, wenn der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess erklärt, „an der Kündigung nicht mehr festhalten zu wollen“. Die Gründe hierfür können vielfältig sein, z.B.:

  • Der Arbeitgeber erkennt, dass er den Kündigungsschutzprozess verlieren wird und möchte ein „Präzedenzurteil“ oder weitere Annahmeverzugslohnansprüche vermeiden.
  • Nach Ausspruch der Kündigung hat sich die Sachlage geändert und es besteht nunmehr wieder ein Beschäftigungsbedarf für den Arbeitnehmer.
  • Die Vergleichsverhandlungen sind an den hohen Abfindungsforderungen des Arbeitnehmers gescheitert und der Arbeitgeber möchte den Verhandlungsdruck erhöhen, weil er hofft, dass der Arbeitnehmer gar nicht ernsthaft zurückkommen will.

Da eine Kündigung rechtlich betrachtet nicht einseitig zurückgenommen werden kann, ist eine solche „Rücknahme“ regelmäßig als Angebot zu verstehen, das Arbeitsverhältnis zu den bisherigen Bedingungen fortzusetzen. Die Rücknahme ist also wirkungslos, wenn der gekündigte Arbeitnehmer mit der Fortsetzung nicht einverstanden ist.

Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitnehmers

Auch wenn man meinen sollte, dass das Ziel einer eingereichten Kündigungsschutzklage damit vollständig erreicht wäre, steht es dem Arbeitnehmer frei, sich zu entscheiden, ob er das Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses annimmt oder ausschlägt. Nimmt er es an, wird das Arbeitsverhältnis fortgesetzt und der Kündigungsschutzprozess ist erledigt. Schwieriger wird es, wenn der Arbeitnehmer das Angebot ablehnen möchte:

Oft wird der Arbeitnehmer sich bereits auf dem Arbeitsmarkt neu orientiert haben und ein attraktiveres Angebot von einem neuen Arbeitgeber erwarten. Er will mit seiner Entscheidung, ob er zu seinem alten Arbeitgeber zurückkehrt, daher lieber noch bis zum Ende des Kündigungsschutzprozess abwarten. Oder aber: das Verhältnis zum Arbeitgeber ist bereits so zerrüttet, dass er überhaupt nicht mehr zurückkehren möchte. Lehnt der Arbeitnehmer das Angebot aber ab, riskiert er regelmäßig den Verlust seiner Annahmeverzugslohnansprüche nach § 615 BGB, die ihm ansonsten für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses zustünden:


Folgen der Ablehnung für den Annahmeverzugslohn

Die Ablehnung des Fortsetzungsangebots hat Auswirkungen auf den Annahmeverzugslohn. Denn schließlich könnte der Arbeitnehmer den Verzug mit der Annahme des Angebots beenden. Daher endet grundsätzlich mit der Rücknahme der Kündigung auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers der Annahmeverzug. Eine Ausnahme gilt nur bei Unzumutbarkeit und damit in den seltensten Fällen.

Nach der Rechtsprechung reicht es für die Beendigung des Annahmeverzugs aber nicht aus, dass der Arbeitgeber nur die „Rücknahme der Kündigung“ erklärt, an der Kündigung „nicht festhält“ oder dem Arbeitnehmer schlicht mitteilt „dann solle er eben zurückkommen.“ Hier kann es für den Arbeitgeber teuer werden – so auch in dem Fall, den das BAG am 24. Mai 2017 entschied:

Eine Busbegleiterin hatte sich gerichtlich gegen ihre Kündigung gewehrt und gleichzeitig Lohnansprüche wegen sittenwidrigen Arbeitslohnes und Schadensersatz wegen nicht gewährten Erholungsurlaubs geltend gemacht. Kurz nach Erhebung der Kündigungsschutzklage nahm der Arbeitgeber die Kündigung zurück. Aufgrund der vielen Streitpunkte ließ sich die Arbeitnehmerin hierauf aber nicht ein, sondern verfolgte ihre Ansprüche weiter.

Hinsichtlich der Annahmeverzugslohnansprüche wähnte sich der Arbeitgeber auf der sicheren Seite. Doch schon die Vorinstanz (LAG Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 2015 – 8 Sa 1091/13) hatte der Arbeitnehmerin den Annahmeverzugslohn zugesprochen. Das BAG bestätigte diese Entscheidung und damit auch seine bisherige Rechtsprechung: Der Arbeitgeber verzichtemit Ausspruch der Kündigung bzw. Freistellung des Arbeitnehmers auf die weitere Beschäftigung. Um dies rückgängig zu machen, müsse mit der „Rücknahme“ der Kündigung auch deutlich gemacht werden, wann und wo der Arbeitnehmer seine Arbeit wieder aufnehmen könne. Schließlich müsse der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Arbeit zuweisen – denn ohne eine solche Zuweisung sei für den Arbeitnehmer nicht erkennbar, an welchem Ort und zu welcher Zeit er die Arbeit tatsächlich aufnehmen könne. Besonders deutlich wird dies bei häufig wechselnden Einsatzplänen. An einer solchen Arbeitsaufforderung seitens des Arbeitgebers fehlte es im vorliegenden Fall.

Überraschend ist dies nicht, in der Praxis aber dennoch häufig unbekannt. Bereits 2012 (Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 AZR 93/12) und 2016 (Urteil vom 19. Januar 2016 – 2 AZR 449/15) hatte das BAG entschieden, dass ein Arbeitgeber nach Beilegung des Rechtstreits bzw. unwirksamer Kündigungserklärung den Arbeitnehmer zur Arbeit auffordern müsse, um den eingetretenen Annahmeverzug zu beenden. Der Arbeitnehmer sei in diesen Fällen grundsätzlich nicht verpflichtet, seine Arbeitskraft von sich aus anzubieten, sondern könne regelmäßig eine Arbeitsaufforderung des Arbeitgebers abwarten. Nichts anderes kann in dem Fall gelten, dass der Arbeitgeber seine Kündigungserklärung „zurücknimmt“.

Praxishinweise

Will der Arbeitgeber also den Annahmeverzug rechtsicher beenden, muss er den Arbeitnehmer also ganz konkret zur Arbeitsaufnahme auffordern. Vor allem bei der „Rücknahme“ der Kündigung im Gerichtstermin wird dies im Eifer des Gefechts schnell vergessen – mit empfindlichen finanziellen Folgen.

Neben der Rücknahme der Kündigung sollten Arbeitgeber darauf achten, den Arbeitnehmer ausdrücklich aufzufordern, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen. Die Aufforderung muss eindeutige Angaben zu Ort und Zeit des erwarteten Dienstantritts enthalten und sollte zu Beweiszwecken dokumentiert werden – idealerweise im Terminsprotokoll. Der Arbeitgeber braucht bei dieser Arbeitsaufforderung regelmäßig keine Ankündigungsfrist einzuhalten.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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