Nachdem die IG Metall mit Ablauf der Friedenspflicht am 31. Dezember 2017 vermehrt zu Warnstreiks aufgerufen hatte, setzte sie in der vergangenen Woche den 24-Stunden-Streik als Arbeitskampfmittel ein. Streitpunkte waren insbesondere die Forderung der IG Metall nach Lohnerhöhung in Höhe von sechs Prozent und zeitweiser Reduzierung der Arbeitszeit für bestimmte Mitarbeitergruppen. Kurz vor der finalen Verhandlungsrunde standen vielerorts die Fließbänder still. Einstweilige Verfügungsverfahren der Arbeitgeberseite gegen den 24-Stunden-Streik waren nicht erfolgreich. Tatsächlich waren die 24-Streiks der IG Metall aber nur eine als Streik getarnte Mitgliederwerbung mit teils digitalen Mitteln.
Wann darf überhaupt gestreikt werden?
Der Streik als Arbeitskampfmittel ist verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG abgesichert. Er ist rechtmäßig, wenn eine Gewerkschaft ein tariflich regelbares Ziel verfolgt und der Streik dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Zudem darf er nicht gegen eine bestehende Friedenspflicht verstoßen. In diesem Regelungsumfeld haben Gewerkschaften immer wieder versucht, die Kampfzone durch neue Streikmittel zu erweitern. Besondere Beachtung fand in den letzten Jahren vermehrt der sogenannte Warnstreik, der von den Gewerkschaften bevorzugt als Druckmittel während der laufenden Tarifverhandlungen genutzt wird. Bei einem Warnstreik handelt es sich um eine meist kurzfristige und üblicherweise auf wenige Stunden befristete Arbeitsniederlegung. Typischerweise fehlt es bei Warnstreiks an einer vorangehenden Urabstimmung und die streikenden Arbeitnehmer erhalten auch kein Streikgeld. Ansonsten unterliegt jedoch der Warnstreik den gleichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen wie der „normale“ Streik, muss also insbesondere dem Ultima-Ratio-Prinzip als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen. Es darf somit grundsätzlich erst nach Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten zum Mittel des Warnstreiks gegriffen werden und die Verhandlungen müssen für offiziell gescheitert erklärt worden sein. Damit der Warnstreik weiterhin gerade während laufender Verhandlungen seine Druckfunktion erfüllen kann, legt die Rechtsprechung das Ultima-ratio-Prinzip hier jedoch restriktiv aus. Ausreichend ist die Einschätzungsprärogative der Gewerkschaft zum Scheitern der streiklosen Verhandlungen. Das Scheitern muss dabei nicht förmlich oder ausdrücklich erklärt werden.
Der Tagesstreik als Warnstreik im neuen Gewand?
Bei den in der letzten Woche aufgetretenen 24-Stunden-Streik handelt es sich um ein neues Arbeitskampfmittel, das systematisch dem Warnstreik sehr ähnlich ist. Auch beim Tagesstreik handelt es sich um eine kurzfristige und zeitlich befristete Arbeitsniederlegung, die den Druck auf den Arbeitgeber bei festgefahrenen Tarifverhandlungen erhöhen soll. Auch hier gilt, die Arbeitnehmer haben für die Dauer des Tagesstreiks keinen Anspruch auf Lohn und die Tagesstreiks werden nicht durch eine allgemeine Urabstimmung, sondern durch betriebliche Abstimmung legitimiert. Im Gegensatz zum klassischen Warnstreik sollen die streikenden Arbeitnehmer jedoch Streikgeld erhalten.
Diese spezielle Form des Warnstreiks seitens der Gewerkschaften ist zwar als Druckmittel neu, jedoch nach der Rechtsprechung nicht per se rechtswidrig. Vielmehr hat das BAG bereits in seiner als „Flashmob-Entscheidung“ (vgl. BAG v. 22.9.2009 – 1 AZR 972/08) klargestellt, gewerkschaftliche Maßnahmen, die zur Durchsetzung tariflicher Ziele auf eine Störung betrieblicher Abläufe gerichtet sind, unterfallen grundsätzlich der gem. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit. Diese Rückendeckung des Ersten Senats nutzen Gewerkschaften zur „Erfindung“ von neuen Kampfmitteln. Damit deckt die Rechtsprechung, dass Gewerkschaften bei der Wahl ihrer Arbeitskampfmittel nicht verpflichtet sind, nach dem Grundsatz „bekannt und bewährt“ zu verfahren.
Arbeitszeitreduzierung für bestimmte Mitarbeitergruppen als zulässiges Streikziel?
Unproblematisch rechtmäßig sind die Tagesstreiks der letzten Wochen dennoch nicht. Denn auch hier gilt, jeder Streik braucht ein zulässiges Streikziel. Ist bei einem Streik auch nur ein Streikziel unzulässig, führt dies zur Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks. Problematisch ist somit zunächst die Forderung der Arbeitszeitreduzierung für bestimmte Mitarbeitergruppen. Denn verschiedene Teilzeitbeschäftigte dürfen ohne sachlichen Grand nicht ungleich behandelt werden. Dies würde einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot darstellen. Hinzu kommt, auch Tagesstreiks müssen – wie jede Arbeitskampfmaßnahme – dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Hierzu hat das BAG in seiner „Flashmob-Entscheidung“ ausgeführt, Arbeitskampfmittel sind insbesondere dann rechtwidrig, wenn sie zur Durchsetzung der erhobenen Forderungen offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen seien. Da bereits der Produktionsausfall für einen gesamten Tag im Betrieb zu massiven wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen führen kann und im Raum auch immer der „klassische“ Warnstreik als milderes Mittel steht, begeben sich Gewerkschaften bei Tagesstreiks auf dünnes Eis.
Kampf um junge Mitglieder als eigentliches Ziel?
Letztlich hinterlässt der Aufruf der IG Metall zu Tagesstreiks jedenfalls einen schalen Beigeschmack. So hat die IG Metall bereits zu Beginn des Jahres – offenkundig in Erwartung von arbeitgeberseitig initiierten einstweiligen Rechtsschutzverfahren – bei diversen Arbeitsgerichten Schutzschriften hinterlegt. Dies obwohl im Januar noch Gesprächsrunden anstanden, die Gewerkschaften also eigentlich nicht vom Scheitern streikloser Verhandlungen ausgehen durften. Pünktlich hierzu führte die Gewerkschaft zudem die Beantragung des Streikgelds per Code („Gewerkschaft digital“) ein. Angesichts der stetig schwindenden Anzahl gewerkschaftlich organisierter Mitarbeiter, könnte man da durchaus auf die Idee kommen, die IG Metall möchte durch die öffentlichkeitswirksame Fokussierung auf Trendthemen wie Arbeitszeitverringerung und einer neuen digitalen Aufstellung vor allem auch um neue, jüngere, Mitglieder werben.
Produktionsausfalls als Verteidigungsmittel?
Eine Rechtmäßigkeit des 24-Streiks per se besteht nicht. Insbesondere auch der Produktionsausfall an einem ganzen Arbeitstag kann zu einschneidenden wirtschaftlichen Konsequenzen und somit zur Unverhältnismäßigkeit des Tagesstreiks führen. So hat das Arbeitsgericht Krefeld am 31. Januar 2018 in einem einstweiligen Verfügungsverfahren die Untersagung eines Tagesstreiks unter anderem maßgeblich wegen fehlender Offensichtlichkeit einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung scheitern lassen. Dies verdeutlicht, dass durchaus Verteidigungsmöglichkeiten für Arbeitgeber bestehen. Dies sollten Arbeitgeber im Vorfeld eines Streiks vorbereiten. Denn bei oftmals in Eile vorbereiteten einstweilige Verfügungsverfahren lassen sich die erforderlichen Daten häufig nicht in der notwendigen Detailtiefe für eine Glaubhaftmachung aufbereiten. Dagegen kann nur gründliche Vorbereitung im Vorfeld helfen. Hierzu kann u.a. Folgendes gehören:
- Sammlung und Aufbereitung aller notwendigen wirtschaftlichen Daten für Produktionsausfälle
- Vorbereitung von eidesstattlichen Versicherungen
- Zusammenstellung einer Task-Force für (drohende) Streikaktivitäten
- Vorbereitung und interne Abstimmung eines operativen, organisatorischen und rechtlichen Notfallplans
- Mittelfristig und einzelfallabhängig: Austritt aus Arbeitgeberverband.
Fazit
Tagesstreiks sind rechtlich heikel und bieten Verteidigungsmöglichkeiten für Arbeitgeber. Volkswirtschaftlich ist es sicher sinnvoll, dass die bisherigen 24-Streiks schnell durch eine Einigung beendet werden konnten. Allerdings könnten sich die Arbeitgeberverbände durch einen zu schnellen Abschluss einen Bärendienst erwiesen haben. Denn eine Ausweitung der Kampfzone (48-Stunden-Streik?) und weitere „kreative“ Tarifforderungen (3-Tage-Woche für alle Gewerkschaftsmitglieder als Verhandlungsmittel?) dürften insbesondere Gewerkschaften mit Belegschaften auf technologisch aussterbenden Arbeitsplätzen nunmehr auf der Agenda haben.
Mehr zu möglichen Schadensersatzansprüchen bei rechtswidrigen Streiks finden Sie in den Beiträgen „Schadensersatz bei rechtswidrigen Streiks“ und „Streikmaßnahmen auf dem Betriebsgelände“ hier auf diesem Blog.
Eine guter und lesenswerter Beitrag. Ich bin skeptisch, ob Arbeitgeber*innen sich noch vor Gericht erfolgreich gegen Streiks wehren können. Die Bilanz der letzten Jahre läßt nicht hoffen. Evt. ist es zeitgemäß (wieder neu) an anderen Streikabwehrstrategien zu arbeiten. Muß ja nicht gleich die Aussprerrung in der Fläche sein.