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Tarifvertrag

Allgemeinverbindliche Tarifverträge – kein Stein bleibt mehr auf dem anderen

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Ministerbefassung, Einbeziehung soloselbstständiger Handwerksbetriebe in Tarifverträge, Tariffähigkeit und Rechtsweg: Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 21. September 2016 und vom 25. Januar 2017, die seitdem ergangene, darauf aufbauende Rechtsprechung und Aktivitäten des Gesetzgebers haben zu einem Erdrutsch in den Verfahren zur Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen geführt. In diesen Entscheidungen hatte das BAG die zu überprüfenden AVEen für unwirksam gehalten, unter anderem weil es an der erforderlichen Ministerbefassung gefehlt hatte. Dies war aber nur der Ausgangspunkt für weitere erstaunliche Entscheidungen und gesetzgeberische Aktivitäten, wobei ein Ende der Entwicklung noch nicht absehbar ist.

Was war geschehen?

Die Tarifparteien des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) hatten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gem. § 5 Abs. 1 TVG einen Antrag auf AVE des VTV gestellt. Erfolgt eine solche AVE durch das BMAS, gilt der Tarifvertrag gem. § 5 Abs. 4 TVG auch für solche Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die mangels Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband bzw. in der Gewerkschaft nicht tarifgebunden sind.

Auf Grundlage des VTV gewährleistet die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer sowie eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung. Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes schafft mit der Rentenbeihilfe einen Ausgleich für strukturbedingte Nachteile bei der Altersversorgung. Ähnliche Tarifverträge bestehen für auch in anderen Branchen, auch hier gibt es eine Fülle an AVEen.

Nun hatte aber in einigen Fällen nicht die zuständige Ministerin bzw. der Minister, sondern ein Referatsleiter die AVE unterzeichnet. Damit aber sei nach Auffassung des BAG nicht hinreichend geklärt gewesen, dass die zuständige Ministerin bzw. der Minister die AVE auch in ihren/seinen Willen aufgenommen habe. Die AVE eines Tarifvertrags bedürfe als Ausübung von Staatsgewalt der demokratischen Legitimation in Form der zustimmenden Befassung des Ministers oder seines Staatssekretärs mit der Angelegenheit. Die AVE eines Tarifvertrags sei Ausübung von Staatsgewalt mit Entscheidungscharakter. Im entschiedenen Fall waren daher Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verletzt, Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG.


Was ist seit dem geschehen?

Zunächst handelte der Gesetzgeber schnell: Bereits am 16.05.2017 wurde das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassen im Baugewerbe (SokaSiG) verabschiedet, am 01.09.2017 ein zweites Gesetz zur Sicherung der Sozialkassen anderer Gewerbe (SokaSiG2). Gegenstand dieser beiden Gesetze war es allein, die Erstreckung der nun nicht mehr allgemeinverbindlichen Tarifverträge rückwirkend auch auf tarifungebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufrechtzuerhalten, um ein Zusammenbrechen der Sozialkassensysteme zu verhindern und Sicherheit für die Arbeitnehmer zu schaffen. Da diese beiden Gesetze eine sogenannte echte Rückwirkung enthalten, werden sie vereinzelt für verfassungswidrig gehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat sich hiermit allerdings noch nicht befasst.

Die Entwicklung der BAG-Rechtsprechung war aber auch noch nicht beendet: In seinen Beschlüssen vom 31.01.2018 – 10 AZR 60/16 (A), 10 AZR 695/16 (A) und 10 AZR 722/16 (A) zur Ausbildungskostenausgleichskasse im Schornsteinfegerhandwerk hat das BAG laut Pressemitteilung sogar Zweifel an der Tariffähigkeit des Zentralverbandes Deutscher Schornsteinfeger – Gewerkschaftlicher Fachverband (ZDS) geäußert. Aufgrund der in der Satzung des ZDS vorgesehenen „Fördermitgliedschaft“ von selbständigen Schornsteinfegern bestünden Bedenken daran, dass der ZDS bei Tarifabschluss gegnerfrei war. Das BAG hat das Verfahren daher ausgesetzt, denn über die Frage der Tariffähigkeit ist in einem anderen Rechtsstreit zu entscheiden.

Klargestellt hat es in diesen Beschlüssen allerdings insbesondere, dass sogenannte Soloselbstständige in Tarifverträgen nicht zu Beiträgen an die Sozialkassen herangezogen werden können, weil die Tarifvertragsparteien dabei ihre tarifliche Regelungsmacht überschreiten. Auch dies dürfte wiederum zu einer starken Belastung der Sozialkassensysteme führen, je nachdem, wie viele Soloselbstständige in dem betreffenden Gewerbe tätig sind. Dabei geht es – so ist die Pressemitteilung des BAG zu verstehen – gerade nicht um die Frage, ob die Heranziehung Selbstständiger als „gerecht“ anzusehen ist, sondern allein um den formalen Aspekt der Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien. Zuvor hatte das BAG mit Beschluss vom 01.08.2017 – 9 AZB 45/17 – bereits entschieden, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für Soloselbstständige, die keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigen, nicht gegeben ist, da sie gerade keine Arbeitgeber seien.

In seinen Beschlüssen vom 31.01.2018 musste des BAG offenbar nicht der Frage nachgehen, ob die tarifungebundenen Soloselbstständigen überhaupt antragsbefugt sein können, obwohl doch die Beitragspflicht unabhängig von der Wirksamkeit der AVE aufgrund des SokaSiG oder SokaSiG2 gesetzlich geregelt ist.

Genau an dieser Stelle hat aber das LAG Berlin-Brandenburg in einem Beschluss vom 17.01.2018 jüngst angesetzt und festgestellt, dass einem an sich antragsbefugten, beitragspflichtigen Betroffenen das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil die beiden Gesetze zur Sicherung der Sozialkassensysteme die gleichen Wirkungen entfalten wie eine möglicherweise unwirksame AVE. Die Rechtsbeschwerde hat das LAG nicht zugelassen.

Wie wird es weitergehen?

Die Entwicklung in der Rechtsprechung ist noch nicht abgeschlossen. Das BAG wird auch zur Frage der Soloselbstständigen im Baugewerbe voraussichtlich am 21.03.2018 eine weitere Entscheidung fällen, möglicherweise auch verbunden mit der Frage des Rechtsschutzbedürfnisses.

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist in den Bereichen von Sozialkassentarifverträgen schnelle und dauerhafte Rechtssicherheit unbedingt geboten, zu wichtig sind Planungssicherheit zu Beiträgen und Leistungen.

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