Dass die Umkleide- und Wegezeiten bei einem vom Arbeitgeber angeordneten Wechsel von Dienstkleidung in der Regel vergütungspflichtig sind, ist seit längerem anerkannt. Das Gleiche gilt, wenn sich der Mitarbeiter dazu entschließt, eine auffällige Dienstkleidung im Betrieb zu wechseln. Auch hat das BAG den Begriff einer auffälligen Dienstkleidung konkretisiert, bei der eine Vergütungspflicht besteht, wenn sich der Arbeitnehmer für ein An- und Ablegen im Betrieb entscheidet (BAG vom 6. September 2017 – 5 AZR 382/16).
Inwieweit ein rechtsgültiger Ausschluss einer solchen grundsätzlichen Vergütungspflicht einzel- oder tarifvertraglich möglich ist, und unter welchen Voraussetzungen dies zu erfolgen hat, hat das BAG nunmehr in einer weiteren Entscheidung präzisiert. Wir zeigen, welche Fallstricke zu beachten sich lohnt.
Was ist eigentlich „auffällige“ Dienstkleidung?
Eine Vergütungspflicht von Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten besteht immer dann, wenn der Arbeitgeber das Anlegen der Dienstkleidung im Betrieb anordnet oder sich der Mitarbeiter dazu entschließt, eine „auffällige Dienstkleidung“ im Betrieb zu wechseln.
Frühere Urteile verlangten für das Vorliegen einer auffälligen Dienstkleidung, dass durch die Bekleidung des Beschäftigten ein bestimmter Arbeitgeber bzw. ein bestimmtes Berufsbild nach Außen erkennbar wird (BAG vom 17. Januar 2012 – 1 ABR 45/10; LAG Niedersachsen vom 3. Mai 2016 – 11 Sa 1007/15).
Inzwischen hat das BAG den Begriff der auffälligen Dienstkleidung weitergehend konkretisiert und die Schwelle für das Vorliegen einer auffälligen Dienstkleidung spürbar herabgesetzt (BAG vom 6. September 2017 – 5 AZR 382/16). Demnach genügt bereits die mögliche Zuordnung zu einem bestimmten Berufszweig oder einer bestimmten Berufsbranche, wie im konkreten Fall der Heil- und Hilfsberufe, um das Merkmal der auffälligen Dienstkleidung zu bejahen.
Folglich kann sogar die schlicht gehaltene weiße Dienstkleidung eines Krankenpflegers ausreichen, um das Merkmal der auffälligen Kleidung zu bejahen.
Welche Umkleide- und Wegezeit ist anzusetzen – und wie berechnet sich diese?
Für die Berechnung der Vergütungspflicht von Umkleide- und Wegezeiten hat das BAG eine Beweislasterleichterung für die betroffenen Beschäftigten anerkannt (BAG vom 26. Oktober 2016 – 5 AZR 168/16; vom 13. Dezember 2016 – 9 AZR 574/15). Ein Beschäftigter muss lediglich darlegen, dass die Umkleide- und Wegezeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden sind.
Der zeitliche Umfang dagegen kann durch das Gericht geschätzt werden, soweit der Beschäftigte seiner Darlegungs- und Beweislastpflicht für den zeitlichen Umfang nicht in jeder Hinsicht nachkommen kann und die gerichtliche Schätzung nicht mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte willkürlich wäre.
Einzelvertraglicher Ausschluss von Vergütungsansprüchen
Im Januar und Februar 2016 entschied das LAG Hamm, dass grundsätzlich ein einzelvertraglicher Ausschluss von Umkleidezeiten möglich ist (LAG Hamm vom 13. Januar 2016 – 3 Sa 1252/15; LAG Hamm, vom 17. Februar 2016 – 3 Sa 1331/17). Wegen der grundsätzlichen Betreuung zur Auslegung einzelvertraglicher Ausschlussklauseln ließ das LAG Hamm seinerzeit die Revision zu. Das BAG hat nun festgestellt, dass es einen einzelvertraglichen Ausschluss von Vergütungspflichten für Umkleide- und Wegezeiten grundsätzlich für zulässig erachtet (BAG vom 26. Oktober 2016 – 5 AZR 168/16).
Allerdings muss ein Arbeitsvertrag klar benennen, welche Vergütungsansprüche ausgeschlossen werden sollen. Verwendet ein Arbeitgeber hierbei anerkannte Rechtsbegriffe, so sind diese im Rahmen einer gerichtlichen Kontrolle nach ihrer allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Sinnzusammenhang der Klausel etwas anderes ergibt.
Verständnisfehler gehen zu Lasten des Arbeitgebers.
Im konkreten Fall bezeichnete der Arbeitsvertrag die Umkleidezeiten als „leistungsentgeltfrei“. Die juristische Bedeutung des Leistungsentgeltes ist jedoch nicht deckungsgleich mit dem Begriff des vereinbarten Stundenentgeltes. Im Ergebnis wurde die Vergütungspflicht von Umkleidezeiten daher mangels eindeutiger Bezeichnung nicht wirksam ausgeschlossen, obgleich dies grundsätzlich möglich gewesen wäre.
Tariflicher Ausschluss von Vergütungsansprüchen
Noch im Juli 2015 entschied das LAG Hamburg in Bezug auf Sicherheitskleidung, dass die Vergütungspflicht von Umkleide- und Wegezeiten nicht mittels Tarifvertrag ausgeschlossen werden kann (LAG Hamburg vom 6. Juli 2015 – 8 Sa 53/14). Nach Ansicht des LAG Hamburg würde ein solcher Tarifvertrag dem § 3 Abs. 3 ArbSchG zuwiderlaufen und somit einen Verstoß gegen höherrangiges Recht darstellen. Der Verstoß sei damit begründet, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 ArbSchG verpflichtet ist, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheit seiner Beschäftigten zu treffen und gemäß § 3 Abs. 3 ArbSchG die Kosten dieser Maßnahmen nicht seinen Beschäftigten auferlegen darf.
Entgegen der Ansicht des LAG Hamburg hielt das BAG einen tariflichen Ausschluss von Vergütungspflichten für Umkleide- und Wegezeiten grundsätzlich für zulässig (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – 9 AZR 574/15). In dem konkreten Fall der Schutzkleidung sah das BAG auch keinen Gesetzesverstoß gegen § 3 Abs. 3 ArbSchG. Soweit der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 3 ArbSchG „Kosten“ zu tragen habe, so stelle die grundsätzliche Vergütungspflicht keine „Kosten“ im Sinne von § 3 Abs. 3 ArbSchG dar. Die rein zeitliche Disposition des Arbeitnehmers seien keine Kosten und daher nicht von dem Schutzzweck des § 3 Abs. 3 ArbSchG umfasst. Somit sei der tarifliche Ausschluss zulässig.
Dennoch entschied das BAG am Ende zu Gunsten des Mitarbeiters. Durch den Abschluss des Tarifvertrages war es nämlich in dem Betrieb des Arbeitgebers zu Ungleichbehandlungen innerhalb der Belegschaft gekommen: In dem Betrieb waren zum einen Mitarbeiter beschäftigt , die ihre Dienstkleidung vor bzw. nach ihrer Schicht wechselten, und zum anderen Mitarbeiter , die ihre Dienstkleidung (keine Schutzkleidung) während ihrer Schicht wechselten. Besteht in einem solchen Betrieb ein Tarifvertrag, durch den der Vergütungsanspruch von Umkleide- und Wegezeiten vor bzw. nach einer Schicht ausgeschlossen wird, entstehe – so das BAG – durch den Tarifvertrag eine Ungleichbehandlung innerhalb der Belegschaft.
In der Folge würden Umkleidezeiten während einer Schicht vergütet werden, während die Umkleidezeiten vor bzw. nach einer Schicht nicht vergütet werden würden. Das BAG hat deshalb klargestellt, dass ein Abbedingen von Vergütungspflichten für Umkleide- und Wegezeiten sämtliche umkleidenden Mitarbeiter erfassen muss. Anderenfalls seien die nicht vergüteten Mitarbeiter aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch dennoch zu vergüten. Mithin gestand das BAG dem benachteiligten Mitarbeiter einen Anspruch auf Vergütung für seine Umkleide- und Wegezeiten vor bzw. nach seiner Schicht zu.
Praxishinweise
Will der Arbeitgeber die Umkleide- und Wegezeiten wirksam ausschließen, sollte er insbesondere zwei Aspekte im Blick haben:
Zum einen müssen die Rechtsbegriffe innerhalb von Arbeitsverträgen und Tarifverträgen unmissverständlich deutlich machen, welche konkrete Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers ausgeschlossen werden soll. Zum anderen muss der Arbeitgeber darauf achten, dass es in Folge von Tarifverträgen zu keinen Ungleichbehandlungen innerhalb des Betriebes kommt, da sich die benachteiligten Beschäftigten ansonsten auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruch berufen können.