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Sozialversicherung

Unfallversicherungsschutz auf der Toilette – der Laptop muss mit!

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Einen Fall des täglichen Lebens hatte das Sozialgericht Heilbronn zu entscheiden, in dem es über einen Unfall eines Beschäftigten auf der Betriebstoilette entscheiden musste, nach dem die Berufsgenossenschaft das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneint hatte. Das Urteil reiht sich in die bisherige Rechtsprechung ein und verdeutlicht erneut die Maßstäbe für die Begründung eines sozialversicherungsrechtlichen Unfallschutzes, der anders als im Beamtenrecht allein aufgrund der konkret im Unfallzeitpunkt verrichteten Tätigkeit zu beurteilen ist.

Rechtliche Vorgaben

Ein Arbeitsunfall liegt vor, wenn die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfallereignisses der versicherten Tätigkeit zugerechnet werden kann. Es muss mithin ein sachlicher Zusammenhang zwischen der auf dem Arbeitsvertrag (§ 611 BGB) beruhenden, dem Arbeitgeber dienenden Tätigkeit und der im Unfallzeitpunkt ausgeübten Verrichtung vorliegen. Der Gesetzgeber hat dies in § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 SGB VII (Siebtes Buch Sozialgesetzbuch) festgeschrieben:

§ 2 SGB VII

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1. Beschäftigte […]

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. […]

§ 8 SGB VII

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2 […] begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. […]

Der eingangs erwähnte Zurechnungszusammenhang ist aufgrund einer Wertentscheidung zu ermitteln, die vorwiegend anhand der Handlungstendenz des Versicherten zu messen ist, nämlich ob dieser eine dem Versicherungsschutz unterfallende Tätigkeit ausüben wollte. Maßgeblich für die Beurteilung sind, neben den Angaben des Verletzten, vor allem die objektiven Umstände des Einzelfalls. Dies hat zur Folge, dass nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten auf der Arbeitsstätte unfallversichert sind. So hat das SG Heilbronn nun geurteilt, dass der Aufenthalt in einer betrieblichen Toilettenanlage nicht vom Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst sei (SG Heilbronn, Urteil vom 27.12.2017 – S 13 U 1826/17).


Was war geschehen?

Im zugrunde liegenden Streitfall ging der klagende Arbeitnehmer während seiner Arbeit auf die Toilette. Als er sich die Hände waschen wollte, rutschte er auf dem nassen und mit Seife verunreinigten Boden aus und schlug sich den Kopf am Waschbecken an. Nach Schichtende begab er sich in stationäre Krankenhausbehandlung, wo die Ärzte eine Nackenprellung und eine Gehirnerschütterung feststellten. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da der Aufenthalt auf der Toilette grundsätzlich privater Natur sei und nicht unter Versicherungsschutz stehe. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Mechaniker geltend, dass er aufgrund des rutschigen Zustandes des Toilettenbodens ausgerutscht sei. Dieser Bereich sei der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen.

Mit diesem Vortrag hatte der Arbeitnehmer vor dem Sozialgericht Heilbronn jedoch keinen Erfolg.

Besuch der Toilette als „eigenwirtschaftliche Handlung“

Das Sozialgericht Heilbronn wertete den Toilettenbesuch nicht als „versicherte Tätigkeit“ i.S. des § 8 Abs. 1 SGB VII. Zum Zeitpunkt seines Sturzes in einer Toilette seines Arbeitgebers habe der Arbeitnehmer keine Handlung verrichtet, die der unfallversicherten Tätigkeit als Mechaniker zuzurechnen sei. Zwar bestehe Versicherungsschutz auf dem Weg zu und von einem Ort in der Betriebsstätte, an dem die stets verschämt formulierte „Notdurft“ verrichten werden solle. Denn der Versicherte sei durch die Anwesenheit auf der Betriebsstätte gezwungen, seine Notdurft an einem anderen Ort zu verrichten als er dies von seinem häuslichen Bereich aus getan hätte. Zudem handele es sich um eine regelmäßig „unaufschiebbare Handlung“ – eine sehr schöne Umschreibung -, die der Fortsetzung der Arbeit direkt im Anschluss daran diene und somit auch im mittelbaren Interesse des Arbeitgebers liege. Die Verrichtung der Notdurft selbst diene aber eigenen Interessen. Nach Auffassung des Sozialgerichts handele es sich hierbei um eine „eigenwirtschaftliche“, d.h. private Tätigkeit. Daher sei der Aufenthalt in einer betrieblichen Toilettenanlage grundsätzlich nicht unfallversichert. Bezogen auf den konkreten Fall habe sich beim Sturz des Arbeitnehmers auf dem mit Seife verunreinigten Boden auch keine besondere betriebliche Gefahr verwirklicht. Vielmehr hätte der Mechaniker genauso bei Aufsuchen einer öffentlichen oder häuslichen Toilette stürzen können, da ein nasser Fußboden oder auch eine Verunreinigung mit Seife im Bereich des Waschbeckens in Toilettenräumen nicht unüblich sei.

Der Arbeitnehmer hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, welche derzeit beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen L 9 U 445/18 anhängig ist.

Ausnahmefall oder die Regel?

Auch wenn zum Urteil des SG Heilbronn bislang nur eine Pressemitteilung vorliegt, zeigt die Auswertung der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Wertung des SG Heilbronn keinen Ausnahmefall darstellt. So hat bereits das LSG Bayern (Urteil vom 06.05.2003 – L 3 U 323/01) entschieden, dass die betriebliche Toilettenanlage ein grundsätzlich unversicherter Bereich sei und lediglich der Hin- und Rückweg dorthin unter Versicherungsschutz stehe. Einzig wenn die örtlichen Gegebenheiten eine besondere Gefahrenquelle darstellen, die etwa beim Aufsuchen einer häuslichen Toilette nicht gegeben wären, stehe auch die Verrichtung der Notdurft unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Grenze zum unversicherten Risikobereich verlaufe jedenfalls entlang der Tür zum Zugang der Toilettenräumlichkeiten. Vergleichbares gilt nach der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit auch für die Nahrungsaufnahme, die als menschliches Grundbedürfnis in der Regel dem privaten und damit nicht versicherten Lebensbereich zuzurechnen sei (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30.01.2007 – B 2 U 8/06; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2012 – L 6 U 1735/12), so z.B. wenn ein Arbeitnehmer auf verschütteter Salatsoße in der Kantine ausrutscht.

Ausblick

Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung ist zu erwarten, dass das LAG Baden-Württemberg das Urteil des SG Heilbronn bestätigt und die Berufung zurückweisen wird. Denn nur in Ausnahmesituationen kann auch der Aufenthalt im Toilettenraum dem Versicherungsschutz unterliegen, was der Fall ist, wenn sich dort besondere betriebliche Gefahren, wie z.B. die Glätte des Fußbodens oder ein betrieblich bedingtes schnelles Aufsuchen der Toilette, konkretisiert haben. Gleiches gilt, wenn ein Beschäftigter während des Toilettenaufenthalts zeitgleich eine versicherte Tätigkeit, etwa ein dienstliches Telefonat mit dem Smartphone, verrichtet und daher einer sog. „gemischten Tätigkeit“ nachgeht. Wird neben dem Telefonat einer weiteren „eigenwirtschaftlichen Verrichtung“ nachgegangen, vermag diese die Eigenschaft als versicherter Beschäftigter nicht zu entziehen. Dies hat bereits das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 26.06.2014 − B 2 U 4/13 R) im Falle eines Spaziergangs während der Rufbereitschaft bestätigt. Ob man nun unbedingt Telefon oder Laptop zu einer solchen „Verrichtung“ mitnehmen muss, bleibt natürlich jedem selbst überlassen.

Deutlich andere Maßstäbe sind hingegen im Bereich des öffentlichen Dienstes anzulegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass der Aufenthalt eines Beamten in einem Toilettenraum des Dienstgebäudes grundsätzlich vom Dienstunfallschutz umfasst sei. Denn im Gegensatz zum sozialversicherungsrechtlichen Unfallschutz knüpfe die beamtenrechtliche Unfallfürsorge nicht an einen inneren Zusammenhang zwischen der konkreten Verrichtung zum Unfallzeitpunkt und der versicherten Tätigkeit, sondern abstrakt an die Dienstausübung im räumlichen Machtbereich des Dienstherrn an (BVerwG, Urteil vom 17.11.2016 – 2 C 17.16).

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