Die Streitigkeiten um die laufenden Betriebsratswahlen rücken auch manch Kuriosum des deutschen Betriebsverfassungsrecht wieder stärker in den Fokus. So wird vor der hessischen Arbeitsgerichtsbarkeit derzeit ein Streit um die Zulässigkeit von Betriebsräten für fliegendes Personal ausgetragen. Die Gewerkschaften Cockpit und UFO als Vertreter der Piloten respektive des Kabinenpersonals versuchten im entschiedenen Fall, einen Betriebsrat für das fliegendes Personal der Sun Express GmbH in Deutschland zu errichten. Dem schob das ArbG Frankfurt am Main jedoch einstweilen einen Riegel vor (ArbG Frankfurt am Main v. 18.04.2018 – 14 BVGa 206/18, PM Nr. 04/2018).
Besonderheiten für fliegendes Personal
Die Entscheidung überrascht auf den ersten Blick, werden im deutschen Sun Express Flugbetrieb, einem Kooperationsunternehmen von Lufthansa und Turkish Airlines, doch über 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt, so dass allein die Anzahl der Arbeitnehmer ohne weiteres ausreichen würde, um einen Betriebsrat zu bilden. Die Besonderheit liegt deshalb hier vielmehr in der wenig bekannten Norm des § 117 BetrVG. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass für Landbetriebe von Luftfahrtunternehmen regulär das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung findet (§ 117 Abs. 1 BetrVG). Für das fliegende Personal ist hingegen nur vorgesehen, dass eine Vertretung durch Tarifvertrag errichtet werden kann (§ 117 Abs. 2 BetrVG).
In den größeren deutschen Fluggesellschaften wie der Lufthansa oder auch der früheren Air Berlin, bestanden bzw. bestehen solche Tarifverträge seit längerem. In solchen Tarifverträgen ist zumeist die Errichtung von getrennten Vertretungen für das Kabinenpersonal („PV Kabine“) und die Piloten („PV Cockpit“) vorgesehen. Obwohl die vorgesehenen Gremien häufig nach ähnlichen Regelungen arbeiten, wie ein „regulärer“ Betriebsrat und gewöhnlich auch vergleichbare Rechte ausüben, wie sich etwa im Streit um die Informationsaussprüche der PV Kabine bei Air Berlin zeigte (vgl. LAG Berlin-Brandenburg v. 08.12.2017 – 6 TaBVGa 1484/17), agieren sie doch allein auf Basis eines Tarifvertrages.
Genau daran fehlt es jedoch bei Sun Express oder etwa auch bei der Fluglinie Germania, da die Unternehmen zum Abschluss eines entsprechenden Tarifvertrages nicht bereit sind. Die Gewerkschaften Cockpit und UFO hatten gleichwohl versucht einen Betriebsrat für das fliegende Personal der Sun Express zu errichten und dafür einen Wahlvorstand wählen lassen. Sun Express beantragte gegen die Durchführung der Wahl jedoch eine einstweilige Verfügung und bekam vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main in erster Instanz recht. Das Gericht verbot dem Wahlvorstand die weitere Durchführung der Betriebsratswahl, da die Wahl eines nicht auf einem Tarifvertrag basierenden Betriebsrats für das fliegende Personal erkennbar nichtig sei.
Die von den Gewerkschaften vorgebrachte Argumentation, die Schaffung eines Betriebsrats auch für das fliegende Personal sei aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung von § 117 BetrVG auf Basis der Richtlinie 2002/14/EG geboten, verfing vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main nicht. Diese sog. „Renault-Richtlinie“ zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft schaffe nur einen Rahmen mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer. Die Richtlinie treffe jedoch selbst keine Aussage darüber, ob und welche Arbeitnehmervertretungen zu gründen seien.
Richtlinienkonforme Auslegung geboten?
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main verwirft damit eine vom Landesarbeitsgericht Sachsen obiter ins Spiel gebrachte Variante eines „Betriebsrats light“ für das fliegende Personal (vgl. LAG Sachsen v. 08.11.2016 – 3 TaBV 16/16). In dem vom Landesarbeitsgericht Sachsen entschiedenen Fall ging es ebenfalls um die Frage, ob für fliegendes Personal ohne Tarifvertrag ein Betriebsrat gewählt werden kann. Im dortigen Fall stritten die Gewerkschaft ver.di und das Unternehmen Aerologic, eine Kooperation zwischen Lufthansa Cargo und DHL, über die Gültigkeit einer im Oktober 2015 durchgeführten Betriebsratswahl. Bei Aerologic war mit Unterstützung der Gewerkschaft und unter heftiger Gegenwehr des Arbeitgebers ein einheitlicher Betriebsrat für das Boden- und das fliegerische Personal gewählt worden.
Während die Untersagungsverfügungen von Aerologic gegenüber der Gewerkschaft und dem Wahlvorstand noch erfolglos blieben, erklärte das Arbeitsgericht Leipzig die durchgeführte Wahl auf Antrag von Aerologic schließlich für nichtig, da bereits der Betriebsbegriff verkannt worden sei und sich aus § 117 Abs. 2 BetrVG eindeutig ergebe, dass ein Betriebsrat für fliegendes Personal nur aufgrund eines Tarifvertrages gebildet werden könne (ArbG Leipzig v. 04.03.2016 – 12 BV 53/15).
In der Beschwerdeinstanz vor dem LAG Sachsen hatte die Gewerkschaft argumentiert, § 117 Abs. 2 BetrVG verstoße gegen die Richtlinie 2002/14/EG, denn die Mitgliedsstaaten müssten durch geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften sicherstellen, dass auch Arbeitnehmer, die keiner Gewerkschaft angehörten, den vollen Schutz der Richtlinie in Anspruch nehmen könnten. Zudem müsse ein allein vom Willen der Arbeitnehmer abhängiges Verfahren bereitgestellt werden, mit dessen Hilfe die Belegschaft ihre Rechte in effektiver Weise wahrnehmen könne. § 117 Abs. 2 BetrVG sei daher richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass ein Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz auch für das fliegende Personal gewählt werden könne, solange kein Tarifvertrag nach § 117 Abs. 2 BetrVG bestehe.
Das LAG Sachsen bestätigte in seiner Entscheidung zwar letztlich, die Nichtigkeit der durchgeführten Betriebsratswahl, äußerte aber die Ansicht, § 117 Abs. 2 BetrVG könne durchaus richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass für das fliegende Personal auch ohne Tarifvertrag zumindest ein Gremium gewählt werden könne, dass die Rechte nach der Richtlinie 2002/14/EG ausübe. Nach dem BetrVG eindeutig unzulässig und nach der Richtlinie nicht geboten sei aber die Bildung eines gemeinsamen Gremiums zwischen Boden- und fliegendem Personal, weshalb die Frage letztlich dahinstehen konnte.
Meiner Einschätzung nach zutreffend, hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main einer solchen richtlinienkonformen Auslegung nun jedoch eine Absage erteilt. Die Richtlinie sieht nämlich eindeutig keine Pflicht zur Schaffung bestimmter Gremien und damit erst Recht nicht zur Bildung eines vollwertigen Betriebsrats im Sinne des BetrVG vor. Das BetrVG verbietet jedoch die Bildung eines Betriebsrats für das fliegende Personal ohne entsprechenden Tarifvertrag gerade. Ein Gericht müsste deshalb ohne gesetzliche Leitlinie eine „Mitbestimmung light“ alleine anhand der Richtlinie schaffen, was erkennbar keine zulässige bloße Rechtsauslegung mehr wäre (vgl. dazu etwa Bayreuther, NZA 2010, 262).
Die Auffassung des ArbG Frankfurt am Main deckt sich zudem mit einer relativ aktuellen Entscheidung des BAG, in der die Erfurter Richter bestätigt haben, dass § 117 Abs. 2 BetrVG sowohl mit dem Grundgesetz vereinbar ist als auch keinen durchgreifenden unionsrechtlichen Bedenken begegnet (BAG v. 17.03.2015 – 1 ABR 59/13). Da das Sächsische LAG die Rechtsbeschwerde zugelassen hat, wird das BAG allerdings in absehbarer Zeit Gelegenheit haben, sich noch einmal ausführlicher mit dieser Frage zu befassen (Verfahren anhängig unter dem Aktenzeichen 7 ABR 79/16).
Fazit
Vorerst bleibt es jedoch dabei, dass es fliegende Betriebsräte nur auf Basis von Tarifverträgen gibt. Etwas überraschend ist und bleibt in diesen Fällen, dass die in der Außendarstellung üblicherweise lautstark auftretenden Spezialgewerkschaften hier so sehr auf gerichtliche Hilfe setzen, anstatt ihre (angebliche) Streikmacht in einen entsprechenden Tarifvertrag umzumünzen und auf diese Weise unmittelbar zu den gewünschten Strukturen zu gelangen.
Trotz der bislang scheinbar eindeutigen Linie, bleibt aber abzuwarten, wie sich das BAG zur Frage der richtlinienkonformen Auslegung abschließend positioniert und ob es in Zukunft womöglich – in welcher Form auch immer – doch fliegende Betriebsräte ohne tarifvertragliche Basis gibt.