Bekanntermaßen gibt es in Deutschland einige „Bewerber“ denen es weniger um den Erhalt einer Stelle als vielmehr auf eine Entschädigung wegen vermeintlicher Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ankommt. Der EuGH hatte in der Rechtssache „Kratzer“ zwar klargestellt, dass auch das Unionsrecht rechtsmissbräuchliche „Bewerber“ nicht schützt, dabei aber die Prüfung des Rechtsmissbrauchs den nationalen Gerichten überlassen. Das Bundesarbeitsgericht hatte das Verfahren deshalb an das Hessische Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, um die Prüfung nachzuholen. Letzteres Gericht ging dabei von extrem engen Rechtsmissbrauchsvoraussetzungen aus, die es Arbeitgebern faktisch unmöglich machen würde, den Einwand zu führen (LAG Hessen v. 18.06.2018 – 7 Sa 851/17 – bisher unveröffentlicht). Es bleibt deshalb zu hoffen, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.
EuGH: Rechtsmissbrauchseinwand unionsrechtlich zulässig und geboten
Das auf den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien (RL2000/78/EG und RL 2006/54/EG) basierende AGG sieht in § 15 Abs. 2 eine Entschädigung für immaterielle Schäden durch eine Diskriminierung bei der Einstellung vor.
Die Antidiskriminierungsrichtlinien bestimmen weiterhin, dass der Nachweis einer Diskriminierung erleichtert wird, falls Indizien auf eine Diskriminierung hinweisen. Die Beweislastumkehr in § 22 AGG setzt diese Vorgabe in deutsches Recht um. Legt der Kläger danach Indizien für eine Diskriminierung dar, trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast dafür, dass die Diskriminierung bei der Einstellung keine, auch keine Nebenrolle gespielt hat (BAG v. 17.08.2010 – 9 AZR 839/08).
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können bereits unglücklich formulierte Stellenanzeigen in denen nach „jungen“ Bewerbern (BAG v 19.08.2010 – 8 AZR 530/09) oder „Young Professionals“ (BAG v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11) gesucht wird ausreichen, um die Beweislast umzukehren.
Da der Nachweis der Nichtdiskriminierung unter diesen Umständen häufig nicht gelingt, es aber trotzdem Fälle gibt, in denen die „Bewerbung“ offensichtlich zu keinem Zeitpunkt auf den Erhalt einer Stelle, sondern allein auf eine Entschädigung gerichtet ist, hatte das Bundesarbeitsgericht auch im AGG den allgemeinen Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB zugelassen (BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10). Danach war ein „Bewerber“ mit Ansprüchen ausgeschlossen, falls unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche zu erlangen.
Auf die Vorlage des Bundesarbeitsgerichts im hiesigen Verfahren (18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A)), bestätigte schließlich auch der EuGH, dass „Bewerber“, denen es allein auf den Erhalt einer Entschädigung ankommt vom Unionsrecht nicht geschützt werden (EuGH v. 28.07.2016 – C-423/15, Kratzer). Die Prüfung des Rechtsmissbrauchs im konkreten Einzelfall obliege dabei jedoch den nationalen Gerichten
BAG: Unklare Anforderungen an den Nachweis des Rechtsmissbrauchs
Obwohl das Bundesarbeitsgericht im Vorlagebeschluss noch annahm, der Kläger sei schon kein „Bewerber“ im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG, verhalte sich aber jedenfalls rechtsmissbräuchlich, verwies es die Sache nach der Entscheidung des EuGH zurück an das Landesarbeitsgericht Hessen (BAG v. 26.01.2017 – 8 AZR 848/13).
Die Zurückverweisung überraschte, da das Gericht im Vorlagebeschluss noch ausgeführt hatte, der Kläger hätte eine Bewerbung eingereicht, deren Formulierung dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle vollkommen zuwiderlief, womit er die Ablehnung seiner Bewerbung provoziert und allein formal einen Bewerberstatus angestrebt habe. Es sei ihm darum gegangen, als abgelehnter Bewerber eine Entschädigungszahlung geltend zu machen, was nach Auffassung des Senats nicht in den Schutzbereich des Grundsatzes der Gleichbehandlung und des Diskriminierungsschutzes falle. Jedenfalls aber sei, die „Bewerbung“ des Klägers rechtsmissbräuchlich, weshalb ihm keine Ansprüche unter dem AGG zustehen könnten.
Unter neuem Vorsitz vertrat der 8. Senat in der Zurückverweisungsentscheidung hingegen ein deutlich engeres Verständnis des Rechtsmissbrauchs. So kam der Senat zunächst zu dem Schluss aus der Formulierung der Bewerbung ergebe sich dafür nichts, da der Schutz nach dem AGG nicht davon abhänge, wie viel Mühe sich ein Bewerber gebe. Im Regelfall könne sich der Rechtsmissbrauch zudem nur aus Umständen ergeben, die vor der Bewerbung liegen. Gleichermaßen könne aus rechtsmissbräuchlichen Bewerbungen bei anderen Arbeitgebern nicht ohne weiteres auf einen Rechtsmissbrauch auch im konkreten Fall geschlossen werden. Nachträgliche Entwicklungen und die Gesamtumstände, etwa zahlreiche weitere (missbräuchliche) Bewerbungen, seien nur im Einzelfall beachtlich.
Offen blieb im Urteil des Bundesarbeitsgerichts hingegen, unter welchen Umständen von einem Einzelfall auszugehen ist, in dem auch die weiteren Umstände zur Beurteilung des Rechtsmissbrauchs herangezogen werden müssen. Ein deutlicher Hinweis auf ein nicht zu enges Verständnis solcher Einzelfälle lieferte allerdings die Zurückverweisung, um Erkenntnisse aus dem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren in den Prozess einzubeziehen.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hessen
Entgegen der Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts legte das Landesarbeitsgericht Hessen einen extrem engen Prüfungsmaßstab zugrunde und gab der Klage statt. Das Landesarbeitsgericht vollzog damit keine Betrachtung der Gesamtumstände, obwohl sich aus den Ermittlungsakten ergab, dass das Oberlandesgericht München hinsichtlich zahlreicher vergleichbarer „Bewerbungen“ des Klägers von einem hinreichenden Betrugsverdacht ausgeht und die Bewerbung bei der Beklagten nur aufgrund der Vielzahl der späteren Taten nicht mit angeklagt wurde.
Fazit
Sollte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Bestand haben und selbst in Fällen, in denen gegen den Kläger aufgrund der Vielzahl seiner Bewerbungen und AGG-Klagen Anklage wegen Betruges erhoben wird, keine Gesamtbetrachtung der Umstände geboten sein, wäre der Rechtsmissbrauchseinwand zukünftig faktisch ausgeschlossen. Falls es dem potentiellen „AGG Hopper“ gelingt, eine halbwegs fehlerfreie Bewerbung zu verfassen, müsste er in einem anschließenden Prozess schließlich arbeitsrechtlich nicht einmal dann mit einer Niederlage rechnen, wenn später wegen dieser Bewerbungen ein Strafverfahren wegen Betruges gegen ihn eröffnet wird.
Die Unrichtigkeit der Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts zeigt sich schon darin, dass das Bundesarbeitsgericht dann von Rechtsmissbrauch ausgehen will, wenn der „Bewerber“ systematisch und zielgerichtet vorging und es ihm bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise drauf ankam, sich einen auskömmlichen Gewinn zu verschaffen. Es erschließt sich nicht, wie diese Prüfung ohne Betrachtung der Gesamtumstände möglich sein soll. Vor diesem Hintergrund bliebt zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht die besprochene Entscheidung nicht bestehen lassen wird und, jedenfalls in krassen Fällen, der Einwand des Rechtsmissbrauchs weiterhin möglich bleiben wird. Andernfalls heißt es im AGG zukünftig tatsächlich „Rechtsmissbrauch leicht gemacht“.