Die Aufspaltung eines Unternehmens geht häufig mit Betriebsübergang einher. Was aber gilt, wenn eine Unternehmensspaltung nicht entlang der Linien von Betrieben oder Betriebsteilen erfolgt und somit kein Fall des § 613a BGB vorliegt? Können die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer im Spaltungsvertrag dann nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG „frei“ einem der beiden übernehmenden Unternehmen zugeordnet werden? Und welche Reichweite hat in diesem Fall ein Interessenausgleich mit Namenliste nach § 323 Abs. 2 UmwG? Zu diesen höchst praxisrelevanten Fragen hat sich das Bundesarbeitsgericht in einer von Prof. Dr. Michael Kliemt und Dr. Thomas Gerdom im Betriebs-Berater kommentierten Urteil vom 19.10.2017 (8 AZR 63/16) geäußert und den Arbeitnehmern ein Wahlrecht zugebilligt.
Der Fall
Gegenstand der Entscheidung des BAG war die Zuordnung eines Arbeitsverhältnisses zu einer der beiden aus einer Aufspaltung der bisherigen Arbeitgeberin (der „LRS“) hervorgegangenen neuen Gesellschaften. Dabei waren einer der beiden neuen Gesellschaften (der „LGBS“), die weiterhin in Deutschland verbleibenden Aufgaben und die diesen dienenden Betriebsmittel übertragen worden. Auf die andere neue Gesellschaft (die „LRS Neu“) wurden dagegen die zukünftig wegfallenden Aufgaben und Prozesse sowie die dazugehörigen Betriebsmittel übertragen. Die Zuordnung der Arbeitnehmer zur LRS Neu und zur LGBS erfolgte anhand der von ihnen zuletzt ausgeführten Prozesse und Tätigkeiten. Die Arbeitnehmer der LRS Neu sollten vorrangig nicht mehr mit ihren bisherigen Aufgaben betraut sein, sondern für den konzerninternen und externen Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Entsprechend dieser Trennlinien wurde auch der bestehende Betrieb aufgespalten. Mit dem Betriebsrat wurde hierzu ein Interessenausgleich abgeschlossen, der eine namentliche Zuordnung der Mitarbeiter zur LGBS bzw. LRS Neu vorsah. Die Klägerin wurde sowohl im Spaltungsvertrag als auch im Interessenausgleich jeweils der LRS Neu zugeordnet. Hiermit war die Klägerin nicht einverstanden. Mit ihrer Klage begehrte sie die Feststellung, in einem Arbeitsverhältnis zur LGBS zu stehen. Anders als in den Vorinstanzen hatte die Klägerin vor dem BAG Erfolg.
Ausgangspunkt: Vorrang des § 613a BGB vor dem Spaltungsvertrag
Dabei steht das BAG zunächst auf sicherem Fundament: Die Zuordnung von Vertragsverhältnissen zu den an einer Spaltung beteiligten aufnehmenden Rechtsträgern richtet sich nach der Aufteilung im Spaltungsvertrag (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). Im Grundsatz erfasst diese partielle Gesamtrechtsnachfolge auch Arbeitsverhältnisse. Allerdings bleibt die Norm des § 613a BGB „unberührt“ (§ 324 UmwG). Hieraus wird allgemein ein Vorrang des § 613a BGB vor der Zuordnung im Spaltungsvertrag abgeleitet, soweit die Voraussetzungen eines Betriebs(teil)übergangs vorliegen.
Hier: Kein Betriebsübergang
Vorliegend verneint das BAG einen Betriebs(teil)übergang auf die LRS Neu. Denn es fehle an einem identitätswahrenden Übergang einer wirtschaftlichen Einheit. Die Einheit LRS Neu sei lediglich eine Zusammenfassung nicht mehr benötigter Prozesse, Personen und Betriebsmittel. Diese diene nicht der Fortführung der ursprünglichen oder der Wahrnehmung gleichwertiger Tätigkeiten, sondern nur der punktuellen Abarbeitung einzelner Aufgaben und im Übrigen der Qualifizierung der Mitarbeiter.
Keine „freie Zuordnung“, sondern Wahlrecht der Arbeitnehmer
Spannend ist dann die vom BAG gezogene Konsequenz: Folge der Nichtanwendbarkeit des § 613a BGB sei nicht etwa, dass das Arbeitsverhältnis nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG im Spaltungsvertrag „frei“ einem der Spaltprodukte zugeordnet werden könne. Vielmehr erfordere eine solche Zuordnung jedenfalls im Fall der Aufspaltung zusätzlich die Zustimmung des Arbeitnehmers. Dies folge aus § 613 BGB (wonach der Anspruch auf die Dienstleistung im Zweifelsfall nicht übertragbar sei) und aus grundrechtlichen Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG. Rechtsfolge der vorliegend fehlenden Zustimmung der Klägerin sei nicht die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses. Vielmehr habe sie ein Wahlrecht, mit welchem aus der Spaltung hervorgegangenen Rechtsträger ihr Arbeitsverhältnis fortbestehen solle.
Auch der Interessenausgleich mit Namensliste ändere hieran nichts. Maßstab sei § 613a BGB. Eine Zuordnung zu Einheiten, die nicht als Betriebe oder Betriebsteile im Sinne dieser Norm anzusehen seien, sei grob fehlerhaft i. S. d. § 323 Abs. 2 UmwG.
Praxisfolge: Aufspaltung „an § 613a BGB vorbei“ zukünftig wenig attraktiv
Das vom BAG postulierte Wahlrecht der Arbeitnehmer beeinträchtigt die arbeitsrechtliche Attraktivität einer betriebsübergangslosen Aufspaltung erheblich. Statt der von Arbeitgeberseite ggf. erhofften freien Zuordnung durch die am Spaltungsvertrag (bzw. Spaltungsplan) beteiligten Unternehmen steht das genaue Gegenteil: Die Arbeitnehmer können ihren Arbeitgeber wählen. Vermeiden lässt sich das Wahlrecht, indem die Aufspaltung eines Unternehmens entlang der Grenzen wirtschaftlicher Einheiten i. S. d. Rechtsprechung zu § 613a BGB vorgenommen wird. Dies erfordert häufig – in einem der umwandlungsrechtlichen Spaltung vorgelagerten Zwischenschritt – die Schaffung bzw. den Neuzuschnitt entsprechender übergangsfähiger Betriebe bzw. Betriebsteile. Dieser Zwischenschritt wird vielfach eine Betriebsänderung i. S. d. § 111ff. BetrVG darstellen.
Frist für die Ausübung des Wahlrechts?
Geht die Aufspaltung eines Unternehmens – wie im BAG-Fall – nicht mit einem Betriebsübergang einher, stellen sich derzeit etliche ungeklärte Folgefragen. Offen ist etwa, ob das vom BAG für den Fall der fehlenden Zustimmung postulierte Wahlrecht innerhalb bestimmter Fristen ausgeübt werden muss. Denkbar wäre insoweit etwa eine Grenze von einem Monat (analog § 613a Abs. 6 BGB) oder von zwei Wochen (analog § 626 Abs. 2 BGB), jeweils beginnend mit Kenntnis vom Wirksamwerden der Spaltung.
Rückwirkung des Wahlrechts
Auch fragt sich, ob die Ausübung des Wahlrechts Rückwirkung entfaltet (was anzunehmen sein dürfte) und was in der Zeit zwischen Wirksamwerden der Spaltung und Ausübung des Wahlrechts gilt. Hier dürfte dann (trotz Fehlens der erforderlichen Zustimmung) zunächst die im Spaltungsvertrag bzw. -plan geregelte Zuordnung greifen.
Geltung nur für Aufspaltungen oder auch für Abspaltungen?
Beachtung verdient auch eine vom BAG vorgenommene Einschränkung: Das Zustimmungserfordernis gelte „zumindest im Falle der Aufspaltung“, also bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers (§ 123 Abs. 1 UmwG) und damit des bisherigen Arbeitgebers.
Was aber gilt bei einer umwandlungsrechtlichen Abspaltung? Dies sind nach § 123 Abs. 2 UmwG Gestaltungen, in denen der übertragende Rechtsträger (also der bisherige Arbeitgeber) weiterexistiert, aber bestimmte Teile seines Vermögens im Rahmen einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge auf einen anderen Rechtsträger abspaltet. Sofern die abgespaltenen Teile keine Betriebe oder Betriebsteile im Sinne des § 613a BGB sind, stellten sich hier ähnliche Fragen. Die Begründung des BAG, dem Arbeitnehmer dürfe kein anderer Arbeitgeber aufgezwungen werden, greift auch hier (soweit die Zuordnung zum übernehmenden Rechtsträger und nicht zum bisherigen Arbeitgeber erfolgen). Vermutlich wird das BAG daher das Zustimmungserfordernis auch auf die Fälle eines Arbeitgeberwechsels im Rahmen einer betriebsübergangslosen Abspaltung erstrecken (mit der Folge, dass ohne Zustimmung das Arbeitsverhältnis beim übertragenden Rechtsträger verbleibt) oder aber den betroffenen Arbeitnehmern ein Widerspruchsrecht analog § 613a Abs. 6 BGB zugestehen.
Fazit:
Das Verhältnis des Umwandlungsrechts zu § 613a BGB ist ein Dauerbrenner der Restrukturierungspraxis. Das BAG schafft nunmehr für einen praktisch wichtigen Fall Klarheit: Eine betriebsübergangslose Aufspaltung „an § 613a BGB vorbei“ gibt den beteiligten Unternehmen nicht etwa die Möglichkeit, einer freien Zuordnung nach § 131 UmwG. Sie führt vielmehr zu einem Wahlrecht der Arbeitnehmer. Die Kommentierung der Entscheidung durch Prof. Dr. Michael Kliemt und Dr. Thomas Gerdom im Betriebs-Berater finden Sie hier im Link und hier zum Download.