Der Brexit wirft auch seine arbeitsrechtlichen Schatten voraus: an versteckter Stelle im Koalitionsvertrag der „GroKo“ vom 12. März 2018 findet sich ein Vorhaben von nicht unerheblicher Bedeutung, das Kreditinstituten die Trennung von bestimmten Mitarbeitern künftig erheblich erleichtern könnte. Was aber ist genau geplant? Und stehen die Zeichen der Zeit möglicherweise zunehmend auf einem Sonderarbeitsrecht für einzelne Berufsgruppen? Dazu nachfolgend mehr.
Die Zeichen der Zeit…
stehen im Arbeitsrecht nicht erst seit gestern auf der besonderen Berücksichtigung bestimmter Berufsgruppen. In der jüngsten Vergangenheit sah sich der Gesetzgeber vielmehr bereits des Öfteren veranlasst, einzelne von ihnen herauszugreifen und Sonderregelungen zu treffen. Beispielhaft sei nur an die nicht unumstrittene und zwischenzeitlich wieder außer Kraft getretene Übergangsregelung für Zeitungszusteller gem. § 24 Abs. 2 MiLoG erinnert. Aber auch die Rechtsprechung war mit dem Thema befasst. Insoweit fällt insbesondere die Entscheidung des BAG vom 16. Januar 2018 (Az. 7 AZR 312/16) ins Auge, mit der die Zulässigkeit von Sachgrundbefristungen von Profifußballern gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 TzBfG bejaht wurde. Betrachtet man nun den Koalitionsvertrag, dürften entsprechende gesetzgeberische Aktivitäten künftig weiter zunehmen. So soll es, man erkennt den Blick auf die Entscheidung des BAG vom 16. Januar 2018, bei der Neuregelung des Befristungsrechts Ausnahmeregelungen für „Künstler“ und „Fußballer“ geben. Ganz eindeutig versucht man damit – erfreulicherweise –, erkannte praktische Notwendigkeiten bereits bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen. Das Ergebnis bleibt mit Spannung abzuwarten. Gleiches gilt natürlich für die Klärung der Frage, ob sich all dies auch verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen wird.
Und wo steht das mit den Bankern?
Blättert man im Koalitionsvertrag etwas weiter, stößt man auf Seite 70 im Kapitel „2. Finanzen und Steuern“ unter der Überschrift „Finanzmarkt und Digitalisierung“ auf folgendes Vorhaben:
„Wir werden uns für attraktive Rahmenbedingungen am Finanzplatz Deutschland einsetzen und die digitale Infrastruktur für Finanzmärkte weiter stärken. Angesichts des bevorstehenden Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU wollen wir den Standort Deutschland für Finanzinstitute attraktiver gestalten. Dazu werden wir es möglich machen, Risikoträger im Sinne von § 2 Abs. 8 Institutsvergütungsverordnung, deren jährliche regelmäßige Grundvergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in den Rentenversicherung überschreitet, im Kündigungsschutzgesetz den leitenden Angestellten gleichzustellen.“
Ganz konkret stehen damit Lockerungen des Kündigungsschutzes für Mitarbeiter von Kreditinstituten zu erwarten, um den Standort Deutschland auch hinsichtlich der Finanzmärkte zu stärken. Praktisch dürfte es darum gehen, Einstellungshürden durch einen zu weitreichenden Kündigungsschutz abzusenken und damit die Verlagerung nach bzw. den Aufbau von Geschäft in Deutschland attraktiver zu machen. Ein Schelm, wer jetzt sofort an Frankfurt am Main („Mainhattan“) denkt.
Was genau ist geplant?
Eine Lockerung des Kündigungsschutzgesetzes ist auf vielfache Art und Weise denkbar. Was hier offenbar im Blickfeld der Politik steht, ist die Regelung des § 14 KSchG mit der Überschrift „Angestellte in leitender Stellung“. Sie lässt sich im Kern wie folgt zusammenfassen: Für Organe juristischer Personen (Vorstände, Geschäftsführer) gilt kein Kündigungsschutz, für andere leitende Angestellte, die zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, schon. Allerdings: Gem. § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedarf die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses dieser leitenden Angestellten keiner Begründung. Diese Formulierung bezieht sich auf den sog. Auflösungsantrag, den der Arbeitgeber stellen kann, wenn die Kündigung zwar nicht sozial gerechtfertigt, er aber der Meinung ist, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit sei nicht zu erwarten. Normalerweise muss der Arbeitgeber dies gesondert begründen (die Kündigungsgründe allein reichen dafür in der Regel nicht aus!), bei leitenden Angestellten muss er es gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG nicht. Folgt das Gericht der Argumentation des Arbeitgebers bzw. im Falle der leitenden Angestellten dem bloßen Antrag, löst es das Arbeitsverhältnis trotz Unwirksamkeit der Kündigung gegen Zahlung einer von ihm in den Grenzen der §§ 9, 10 KSchG festzusetzenden Abfindung auf. Dem Wortlaut des Koalitionsvertrags lässt sich damit lediglich die Absicht entnehmen, Kreditinstituten die Trennung von bestimmten Mitarbeitern durch Stellung eines Auflösungsantrags zu erleichtern. Diese bleiben also über die dann zwingend vom Gericht festzusetzende Abfindung zumindest „wirtschaftlich“ kündigungsgeschützt. Eine völlige Kündigungsfreiheit, z. B. durch eine Verlängerung der sechsmonatigen Wartefrist für die Geltung des KSchG, scheint dagegen nicht beabsichtigt.
Welche Fragen stellen sich im Detail?
Im Detail bleibt, notwendigerweise, noch vieles offen. Zunächst stellt sich die Frage, wer überhaupt betroffen sein wird. Das sind keinesfalls alle „Banker“, sondern nur „Risikoträger“, deren jährliche regelmäßige Grundvergütung das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze in den Rentenversicherung überschreitet (West: > EUR 234.000,00 brutto pro Jahr; Ost: > EUR 208.800,00 brutto pro Jahr). Dabei handelt es sich gem. § 2 Abs. 8 InstitutsVergV um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil eines Instituts auswirkt. Diese Personen sind gem. § 18 Abs. 2 InstitutsVergV vom jeweiligen Institut auf der Grundlage einer Risikoanalyse unter Beachtung näherer Bestimmungen eigenverantwortlich zu ermitteln (siehe dazu die Auslegungshilfe zur InstitutsVergV der BaFin, Stand: 15. Februar 2018). Die Risikoanalyse ist gem. § 18 Abs. 2 Satz 3 InstitutsVergV schriftlich oder elektronisch zu dokumentieren und regelmäßig zu aktualisieren. Fraglich ist damit insbesondere, bis zu welchem Zeitpunkt eine solche Aktualisierung Auswirkungen auf den Kündigungsschutz haben können soll. Außerdem ist die Frage, ob die „Gleichstellung“ mit Leitenden Angestellten nur möglich gemacht, oder gesetzlich angeordnet wird. Sinnvollerweise bleibt eigentlich nur die letztere Variante. Denn ein hochqualifizierter Investmentbanker, der aus London nach Frankfurt am Main geholt werden soll, wird sich kaum im Verhandlungswege darauf einlassen, sein Arbeitsverhältnis der Geltung des § 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu unterstellen, weil eine Abfindung damit gem. § 10 KSchG von vorneherein auf 12 Monatsverdienste (maximal 18 Monatsverdienste bei Vollendung des 55. Lebensjahres und mindestens zwanzigjähriger Beschäftigungsdauer) begrenzt würde.
Und wann geht es los?
Bleibt schließlich noch die Frage, ob und wann das alles wirklich kommt. Nachdem es sich um ein „werden-Vorhaben“ handelt (der Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 kennt auch bloße „wollen-Vorhaben“), dürften hinsichtlich des „ob“ eigentlich keine Zweifel bestehen. In diese Richtung deutet auch ein Bericht, wonach die Bundeskanzlerin am vergangenen Dienstag in Frankfurt gesagt haben soll, „An dieser Regelung wird bereits gearbeitet.“ (vgl. Spiegel Online vom 5. September 2018). Das „wie“ hingegen sollte aus Sicht der betroffenen Institute begleitet werden, damit die gewünschten Effekte am Ende auch tatsächlich eintreten können. „Lex Frankfurt“ dürfte jedenfalls „ante portas“ stehen.