Vor dem Hintergrund, dass heutzutage vermehrt beide Elternteile berufstätig sind und die Zahl der alleinerziehenden Eltern steigt, kommt es in der Praxis häufig vor, dass ein Arbeitnehmer zuhause bleibt, um sein krankes Kind zu betreuen. In einem solchen Fall stellt sich zunächst die Frage, ob und für welche Dauer ein Arbeitnehmer überhaupt der Arbeit fernbleiben darf, d.h. ob er ein Leistungsverweigerungsrecht bzw. einen Freistellungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber hat. Damit korrespondiert die Frage, ob der Arbeitnehmer einen Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber hat und/oder ob weitere Ansprüche (insbesondere gegen die Krankenversicherung) bestehen. Auf diese Fragen gehen wir im Folgenden ein.
Darf der Arbeitnehmer zu Hause bleiben, wenn sein Kind erkrankt?
Ja. Hierfür kommen mehrere Rechtsgrundlagen in Betracht. Nach § 275 Abs. 3 BGB kann ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung verweigern, wenn ihm die Erbringung der Arbeitsleistung nicht zugemutet werden kann. Erfasst sind Fälle der sog. rechtlichen bzw. sittlichen Pflichtenkollisionen. Die Pflege eines erkrankten Kindes stellt einen solchen Fall dar. Eine feste zeitliche Höchstgrenze existiert nicht. Es ist vielmehr stets eine einzelfallbezogene Interessenabwägung vorzunehmen. Im Einzelfall kann mit steigender Dauer der Krankenfehltage dem Arbeitnehmer unter Umständen zugemutet werden, anderweitige organisatorische Maßnahmen zu treffen, um die Fehlzeiten zu minimieren.
Daneben kommen spezialgesetzliche Freistellungsansprüche bzw. Leistungsverweigerungsrechte in Betracht: Nach § 45 Abs. 3 SGB V haben gesetzlich wie privat versicherte Arbeitnehmer das Recht, für eine zeitlich begrenzte Dauer von der Arbeit freigestellt zu werden, wenn die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines maximal 12 Jahre alten oder behinderten Kindes nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist und diese nicht von einer anderen im Haushalt lebenden Person übernommen werden kann. Der Freistellungsanspruch ist auf 10 Arbeitstage pro Kind pro Kalenderjahr bzw. insgesamt 25 Arbeitstage pro Kalenderjahr (bei Alleinerziehenden auf 20 Arbeitstage pro Kind pro Kalenderjahr bzw. insgesamt 50 Arbeitstage pro Kalenderjahr) begrenzt. Ein weiteres Leistungsverweigerungsrecht ist in § 2 Abs. 1 PflegeZG vorgesehen. Danach haben Arbeitnehmern bei akutem Pflegebedarf eines nahen Angehörigen – hierzu zählen natürlich auch die eigenen Kinder – das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, um die Pflege sicherzustellen.
Muss der Arbeitgeber die Vergütung fortzahlen, wenn der Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt?
Es kommt darauf an. Allein die Tatsache, dass dem Arbeitnehmer ein Leistungsverweigerungsrecht bzw. ein Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber zusteht, führt nicht automatisch zu einem Vergütungsanspruch. Ein solcher kann indes aus § 616 BGB folgen. Danach behält der Arbeitnehmer, der für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird, seinen Vergütungsanspruch. Von der Rechtsprechung wird regelmäßig ein Zeitraum von bis zu fünf Arbeitstagen pro Kalenderjahr als verhältnismäßig nicht erheblich angesehen. Abhängig vom Einzelfall, z.B. Alter des Kindes sowie Art und Schwere der Erkrankung, kann der Zeitraum ausnahmsweise aber auch kürzer oder länger ausfallen. Dauert die Verhinderung zu lange, entfällt der Vergütungsanspruch nach der Rechtsprechung des BAG rückwirkend, d.h. vollumfänglich.
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB ist nicht zwingend. Er kann vielmehr durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag gänzlich abbedungen oder beschränkt werden. In Tarifverträgen finden sich häufig Regelungen zu § 616 BGB. Eine Regelung im Arbeitsvertrag dürfte nach überwiegender Auffassung einer AGB-Kontrolle gem. §§ 305 ff. BGB standhalten.
Wer springt ein, wenn der Arbeitgeber nicht zahlt?
Für den Fall, dass keine Vergütungspflicht des Arbeitgebers besteht – etwa weil § 616 BGB abbedungen ist oder der Arbeitnehmer mehr als fünf Arbeitstage pro Kalenderjahr fehlt – springt bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern die Krankenkasse ein. Der Kinderkrankengeldanspruch nach § 45 Abs. 1 SGB besteht indes nur unter den engen Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 SGB V und ist zeitlich begrenzt. Das Kinderkrankengeld beträgt nach § 47 SGB V 90 % des sog. ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts, maximal jedoch 70 % der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung.
In welchem Verhältnis stehen § 616 BGB einerseits und § 45 Abs. 1 SGB V andererseits zueinander?
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist der sozialversicherungsrechtliche Anspruch auf Kinderkrankengeld gegenüber dem Anspruch aus § 616 BGB subsidiär, d.h. er ruht, solange der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Vergütungsanspruch hat. Der Arbeitgeber kann den aus § 616 BGB folgenden Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers also nicht mit der Begründung verweigern, diesem stehe ein Krankengeldanspruch nach § 45 SGB V zu. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass die Ansprüche aus § 616 BGB und § 45 SGB V nicht addiert werden, sondern sich der Anspruch gegen die Krankenkasse um die Tage verkürzt, für die dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ein Vergütungsanspruch nach § 616 BGB zusteht. Es bleibt also stets bei der maximalen Anspruchsdauer gem. § 45 SGB V.
Können die Krankenkassen Regressansprüche gegen die Arbeitgeber geltend machen?
In der Literatur wird vereinzelt vertreten, ein kollektiv- oder individualvertraglicher Ausschluss des § 616 BGB stelle einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter – der Krankenkassen – dar. Außerdem lasse sich eine Abbedingung nicht mit § 46 Abs. 2 SGB I vereinbaren, der einen Verzicht auf Sozialleistungen für unwirksam erklärt. Gegen letzteres ist einzuwenden, dass nach § 46 Abs. 2 SGB I lediglich einseitige Verzichtserklärungen unwirksam sind, nicht jedoch vertragliche Vereinbarungen, die lediglich mittelbare Folgen für die Krankenkassen nach sich ziehen. Überdies hat die Rechtsprechung Regelungen, die § 616 BGB ausschließen, bislang nicht in dieser Hinsicht kritisiert.
Vor diesem Hintergrund besteht natürlich ein gewisses Risiko, dass Krankenkassen Regressansprüche gegen Arbeitgeber geltend machen könnten. Aufgrund der unklaren Gesetzeslage dürfte das Risiko jedoch hinnehmbar sein.
Fazit
Muss ein Arbeitnehmer sich um sein erkranktes Kind kümmern, so kann er der Arbeit grundsätzlich fernbleiben. Damit korrespondiert jedoch nicht ohne weiteres ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Sofern der aus § 616 BGB folgende Vergütungsanspruch nicht ausgeschlossen ist, ist dieser regelmäßig auf fünf Arbeitstage pro Kalenderjahr begrenzt.
Trotz der dargestellten Risiken mit Blick auf mögliche Regressansprüche seitens der Krankenkassen spricht einerseits vieles dafür, § 616 BGB für den Fall der Pflege erkrankter Kinder gänzlich auszuschließen oder zumindest die Voraussetzungen und die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei der Pflege erkrankter Kinder vertraglich zu konkretisieren. Der Arbeitnehmer ist durch den Kinderkrankengeldanspruch gem. § 45 SGB V wirtschaftlich abgesichert. Auf der anderen Seite sollten Arbeitgeber nachteilige Auswirkungen auf ihre Reputation (Stichwort: familienfreundliches Unternehmen etc.) im Auge behalten.