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Prozessrecht

Klagerücknahmefiktion auch bei Vergleichsverhandlungen?

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Das Problem: Rechtsunsicherheit bei schwebenden Vergleichsverhandlungen

Häufig enden arbeitsgerichtliche Streitigkeiten nicht mit einer streitigen Entscheidung, sondern meistens durch Vergleich. In bestimmten Konstellationen kann der Rechtsstreit aber auch wegen Eintritts der sogenannten Klagerücknahmefiktion § 54 Abs. 5 ArbGG i.V.m. § 269 Abs. 3 bis 5 ZPO enden, wenn und weil das Gericht das Ruhen des Verfahrens angeordnet hat und die Parteien das Verfahren für einen Zeitraum von sechs Monaten nach der Güteverhandlung nicht weiterbetrieben haben.

Die Frage stellt sich potentiell immer dann, wenn die Parteien in Vergleichsverhandlungen stehen und den Streit zunächst außergerichtlich zu klären versuchen. Denkbar wäre insofern, dass die Parteien in der Güteverhandlung nicht „verhandeln“ und die Ruhensanordnung auf Grundlage von § 54 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 ArbGG ergeht.

Spätestens wenn die Vergleichsverhandlungen scheitern, müssen sich die Parteien fragen, ob das Verfahren noch weiterbetrieben werden kann. Hierbei herrscht oft Rechtsunsicherheit, da aus dem Beschluss des Gerichtes selbst oder dem Protokoll (zu dessen Beweiskraft vgl. § 165 ZPO) regelmäßig nicht ersichtlich wird, auf welcher Grundlage das Gericht die Ruhensanordnung getroffen hat. Zudem findet sich auch häufig die schlichte Formulierung, dass ein neuer „Termin auf Antrag eines der Beteiligten“ anberaumt wird.

Die Kontrahenten: § 54 Abs. 5 ArbGG und § 251 ZPO

Aus anwaltlicher Sicht stellt sich immer wieder die Frage, ob tatsächlich der Anwendungsbereich des § 54 Abs. 5 ArbGG eröffnet ist oder vielmehr das Verfahren auch zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann. Letzteres ist möglich, wenn die Anordnung des Ruhens auf Grundlage von § 251 ZPO erfolgte. Denn § 251 ZPO sieht im Gegensatz zu § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG nicht vor, dass das Verfahren nur innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung weiterbetrieben werden kann.

Nicht selten (Nachweise bei Tiedemann, ArbRB 6/2009, 184, 186) wurde der Standpunkt vertreten, § 54 Abs. 5 ArbGG finde Anwendung und wer sich in Vergleichsverhandlungen befindet, „verhandele“ nicht im Sinne der Vorschrift.


Die Lösung des BAG: Weiterbetreiben des Verfahrens auch nach Ablauf der Sechsmonatsfrist

In einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 (BAG, Beschluss vom 22.04.2009 – 3 AZB 97/08) ist das Bundesarbeitsgericht dem entgegengetreten. Das Gericht hat ausgeführt, dass die Parteien im Sinne des § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG „verhandeln“, wenn sie bezogen auf die Herbeiführung einer gütlichen Einigung Erklärungen abgeben. Hierunter fassten die Erfurter Richter auch den Fall, dass die Parteien übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens wegen Vergleichsverhandlungen anregen. Ordnet das Gericht deshalb das Ruhen des Verfahrens an, beruht dies nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht auf § 54 Abs. 5 Satz 1 ArbGG. Vielmehr finde § 251 ZPO mit der Folge Anwendung, dass in solchen Fallgestaltungen die Klagerücknahmefiktion gerade nicht greift.

Mit Blick auf die an ein „Verhandeln“ der Parteien zu stellenden Anforderungen arbeitet das Gericht heraus, dass die Parteien gerade nicht Anträge stellen müssen, wie dies § 137 Abs. 1 ZPO für die Einleitung der mündlichen Verhandlung vorsieht. Der Grund hierfür leuchtet auch ein: In der Güteverhandlung ist eine Antragstellung überhaupt nicht möglich.

Bei der Beurteilung, ob die Parteien „verhandeln“, sei vielmehr auf den Zweck der Güteverhandlung abzustellen. Wie sich aus § 54 Abs. 1 ArbGG ergebe, liege dieser allein darin, eine gütliche Parteieinigung herbeizuführen. Weitergehende Anforderungen könnten weder dem Gesetz entnommen noch anderweitig zu Grunde gelegt werden. Die Entscheidung darüber, was als ausreichendes „verhandeln“ im Sinne der Vorschrift anzuerkennen ist und was nicht, obliege allein den Parteien und nicht den Gerichten.

Folgen für die Praxis und weiterführende Hinweise

Für die arbeitsrechtliche Praxis hat die Entscheidung weitreichende Konsequenzen, denn es verbleibt den Parteien im Falle von Vergleichsverhandlungen oft die Möglichkeit, ein ruhendes Verfahren auch noch zu einem späteren Zeitpunkt als sechs Monate nach dem Gütetermin weiterzubetreiben.

In einem weiteren Urteil (BAG, Urteil vom 25.11.2010 – 2 AZR 323/09) hat das Bundesarbeitsgericht herausgestellt, dass ein Verhandeln der Parteien nicht nur anzunehmen ist, wenn diese außergerichtliche Vergleichsverhandlungen führen. Vielmehr sei ebenfalls der Fall erfasst, dass die Parteien zunächst die Entwicklung eines bestimmten Lebenssachverhalts abwarten (Bsp.: Verlauf eines neuen Arbeitsverhältnisses).

Im Ergebnis dürften daher mangels (analoger) Anwendung von § 54 Abs. 5 ArbGG auf Fälle, in denen die Parteien nicht oder nicht ausreichend verhandeln möchten (zu den verschiedenen Konstellationen vgl. Tiedemann, ArbRB 6/2009, 184, 185 f.), Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten bestehen. Abgesehen davon, dass § 54 Abs. 5 ArbGG eine Ausnahmeregelung darstellt und eine analoge Anwendung von daher ohnehin nur in engen Grenzen in Betracht kommt, ist die Tendenz des Bundesarbeitsgerichts eindeutig: Um der Entscheidungshoheit der Parteien Rechnung zu zollen, ist der Begriff des „Verhandelns“ zu ihren Gunsten weit auszulegen.

Jedenfalls für Vergleichsverhandlungen kann hierbei auch auf den Sinn und Zweck des § 54 Abs. 5 ArbGG selbst zurückgegriffen werden: Als Ausdruck des verfahrensrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes (vgl. BT-Drs. 8/1567, S. 1, 17 f., allgemein ferner § 9 Abs. 1 ArbGG und insbesondere in Kündigungsschutzsachen § 61a ArbGG) soll die Vorschrift die Parteien dazu anregen, den Prozess zügig zu betreiben. Dieser Zweck wird durch die Entscheidung der Parteien, den Rechtsstreit im Wege eines Vergleichs gütlich beizulegen, gerade nicht gefährdet, sondern befördert.

In der anwaltlichen Beratungspraxis empfiehlt es sich im Zusammenhang mit Vergleichsverhandlungen gleichwohl, aus Klarstellungsgründen aufnehmen zu lassen, dass das Verfahren aufgrund der Vergleichsverhandlungen ruht.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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