Schon mehrfach haben wir an dieser Stelle über verbreitete Irrtümer im Arbeitsrecht berichtet. Ein solcher Irrtum besteht auch hinsichtlich der Frage, ob Arbeitnehmern, deren Arbeitgeber aufgrund eines Betriebsübergangs wechselt, gekündigt werden kann. In der Praxis ist immer wieder der Irrtum anzutreffen, dass Kündigungen des Erwerbers eines Betriebs innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang unzulässig sind. Dieser Irrtum beruht auf zwei gesetzlichen Regelungen, die sich in § 613a BGB finden, der zentralen Norm zum Betriebsübergang.
Verbot der Änderung der durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen geregelten Rechte und Pflichten
Durch einen Betriebsübergang gehen gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB die Arbeitsverhältnisse, die zur Zeit des Betriebsübergangs beim Betriebsveräußerer bestehen, auf den Betriebserwerber über. Die Arbeitnehmer erhalten einen neuen Arbeitgeber, der in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintritt. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB regelt, dass solche Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer die aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung resultieren, innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden dürfen.
Verbot von Kündigungen wegen des Betriebsübergangs
Darüber hinaus ist gemäß § 613a Abs. 4 S. 1 BGB die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den Erwerber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam. Diese Vorschrift stellt ein eigenständiges Kündigungsverbot im Sinne von § 13 Abs. 3 KSchG i. V. m. § 134 BGB dar. Sie findet deshalb auch dann Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat oder wenn es sich um einen Kleinbetrieb handelt.
Hintergrund der Regelung des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist, dass eine negative Personalauslese nach den Wünschen eines Betriebserwerbers vermieden werden soll. So kann beispielsweise der Wunsch eines Betriebserwerbers, einzelne Mitarbeiter nicht zu übernehmen, da diese „zu teuer“ seien, keine Kündigung rechtfertigen.
- 613a Abs. 4 S. 1 BGB erfasst sämtliche Formen der Beendigung, also sowohl ordentliche als auch außerordentliche Beendigungs- oder Änderungskündigungen sowie Aufhebungsverträge, die zur Vermeidung von Kündigungen wegen des Betriebsübergangs geschlossen werden. Geschützt werden alle Arbeiter, (leitenden) Angestellten und Auszubildenden, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs in einem Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer stehen. Auch auf ruhende Arbeitsverhältnisse, beispielsweise aufgrund von Auslandsentsendungen, Elternzeit oder vereinbarter Freistellung, erstreckt sich der Anwendungsbereich von § 613a BGB.
Kündigung aus anderen Gründen
Während § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ein Verbot von Kündigungen wegen des Betriebsübergangs statuiert, stellt § 613a Abs. 4 S. 2 BGB gleichzeitig klar, dass eine Kündigung aus anderen Gründen möglich bleibt. Der Arbeitnehmer ist also nicht vor solchen Risiken geschützt, die sich jederzeit unabhängig von einem Betriebsübergang realisieren können. Der Arbeitgeber, d.h. der Betriebsveräußerer und der Betriebserwerber, kann eine wirksame Kündigung aussprechen, die auf personen- oder verhaltensbedingte Gründe gestützt wird, auch wenn die Kündigung in zeitlicher Nähe des Betriebsübergangs erfolgt. Ebenso kann eine Kündigung auf betriebsbedingte Kündigungsgründe gestützt werden, solange der Betriebsübergang nicht der tragende Grund sondern nur der äußere Anlass für die Kündigung ist (BAG vom 27. Oktober 2005 – 8 AZR 568/04). Es ist daher stets zu prüfen, ob ein vom Betriebsübergang zu trennender, die Kündigung rechtfertigender Grund besteht.
Bei einer ordentlichen Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen liegen die Gründe in der Person des Arbeitnehmers selbst und eine Konstellation, in der der Betriebsübergang der (verdeckte) tragende Grund für die Kündigung ist, ist nur schwer vorstellbar.
Anders stellt sich die Situation bei einer betriebsbedingten Kündigung dar. Erforderlich ist das dringende betriebliche Gründe bestehen, die nicht allein in dem Betriebsübergang liegen dürfen. Solche Gründe liegen etwa dann vor, wenn es durch den Betriebsübergang beim Erwerber zu Synergieeffekten kommt. Zu Synergieeffekten kommt es beispielsweise, wenn durch die Eingliederung eines übernommenen Betriebs in den bereits bestehenden Betrieb des Erwerbers Positionen doppelt besetzt sind. In diesem Fall kann der neue Arbeitgeber trotz des Betriebsübergangs und auch innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergangs grundsätzlich wirksam betriebsbedingt kündigen. Die weiteren Voraussetzungen der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und der Durchführung einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl, müssen selbstverständlich dennoch eingehalten werden. Bei der Sozialauswahl sind in vorgenanntem Beispiel sowohl die übergegangenen Arbeitnehmer als auch die bereits vor dem Betriebsübergang bei dem Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer zu berücksichtigen.
Fazit
Abschließend ist festzuhalten, dass der Arbeitnehmer für den Betriebserwerber nicht – auch nicht innerhalb eines Jahres nach Betriebsübergang – unkündbar ist. Solange es einen sachlichen Grund gibt, der aus sich heraus die Kündigung rechtfertigt, können sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber trotz Vorliegens eines Betriebsübergangs wirksam kündigen.