Wenn es um ärztliche Untersuchungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geht, denken viele Arbeitgeber automatisch an die dreitägige Frist zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gem. § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG und an die Einholung eines Gutachtens des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei Zweifeln über die Arbeitsunfähigkeit. Was ist jedoch aber im umgekehrten Fall zu tun, wenn Zweifel an der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers – etwa aufgrund nachlassender Arbeitsleistung – aufkommen? Dann stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Eignungsuntersuchung beim Betriebs- oder Amtsarzt verpflichtend angeordnet werden kann.
Informationsinteresse vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht
Dem Informationsinteresse des Arbeitgebers stehen in diesem Zusammenhang grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Arbeitnehmers gegenüber. Insbesondere das Recht auf Achtung der Persönlichkeit in seiner Ausprägung als informationelle Selbstbestimmung und Achtung der Intimsphäre aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gilt es zu beachten. Zudem ist bei bestimmten körperlichen Untersuchungen (z. B. Blutentnahme) das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG in seinem sachlichen Schutzbereich berührt.
Dabei dürfen Eignungsuntersuchungen nicht mit den freiwilligen arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen nach § 3 Abs. 1 ArbMedVV verwechselt werden, die vorrangig Arbeitnehmerzwecken (z.B. der Prävention arbeitsbedingter Erkrankungen) dienen. Eignungsuntersuchungen hingegen liegen in erster Linie im Interesse des Arbeitgebers. Sie bedürfen daher einer ausreichenden rechtlichen Grundlage, unabhängig davon, ob sie nur der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder auch der Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten des Arbeitgebers, etwa aus § 4 ArbsSchG, dienen.
Eine solche Rechtsgrundlage kann sich nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus einer kollektiven Regelung in einem Tarifvertrag oder dem Arbeitsvertrag ergeben. Zudem muss die Anordnung zur Untersuchung durch den Arbeitgeber auch im Einzelfall billigem Ermessen i. S. d. § 315 Abs. 3 BGB entsprechen und innerhalb der Grenzen seines Weisungsrechts aus § 106 GewO ausgeübt werden. Dies setzt voraus, dass ein berechtigter Anlass für die Untersuchung vorliegt.
Klare Regelungen im öffentlichen Dienst
Dieses Erfordernis wird im Anwendungsbereich des TVöD und den vielen an ihn angelehnten Tarifverträgen im öffentlichen Dienst als „begründete Veranlassung“ umschrieben. In § 3 Abs. 4 S. 1 TVöD heißt es etwa:
„Der Arbeitgeber ist bei begründeter Veranlassung berechtigt, die/den Beschäftige/n zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie/er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.“
Laut Bundesarbeitsgericht liegt dies vor, wenn berechtigte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten gegeben sind (BAG, Urteil vom 25.01.2018 – 2 AZR 382/17); was wiederum der Fall ist, wenn aufgrund hinreichender tatsächlicher Umstände fraglich ist, ob der Beschäftigte zu der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung auf dem bisherigen Arbeitsplatz gesundheitlich in der Lage ist. Die Zweifel müssen allerdings nicht so weit reichen, dass eine generelle Erwerbsunfähigkeit nahe liegen muss.
Grauzone im privaten Arbeitsrecht
Demgegenüber fehlt es im privaten Arbeitsrecht an einer expliziten Anspruchsrundlage für die Durchführung von Eignungsuntersuchungen. Zwar sind in zahlreichen Spezialvorschriften verpflichtende Eignungsuntersuchungen vorgeschrieben. Häufig handelt es sich dabei um Tätigkeiten im Zusammenhang mit gefahrgeneigten Tätigkeiten (z.B. Betriebsbedienstete bei den Straßenbahnen nach § 10 BOStrab oder Träger von Dienstwaffen nach § 6 WaffG). Abgesehen davon kann sich der Arbeitgeber jedoch, sofern keine einschlägige tarifliche Regelung oder Betriebsvereinbarung existiert und eine Untersuchungspflicht auch nicht im Arbeitsvertrag vereinbart ist, meist nur auf allgemeine zivilrechtliche Grundsätze stützen. So kann der Arbeitgeber sich auf seine allgemeine Fürsorgepflicht aus § 618 BGB berufen, wenn die Untersuchung zur Vermeidung von Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz erforderlich ist. Soll sie hingegen dem Zweck der Leistungssicherung dienen, kommt als Rechtsgrundlage nur die allgemeine Treuepflicht des Arbeitnehmers aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB in Betracht. Danach hat ein Arbeitnehmer die Interessen des Arbeitgebers – in diesem Fall das Interesse, über Leistungsfähigkeit und Einsatztauglichkeit des Arbeitnehmers Gewissheit zu haben – in angemessenem Umfang zu beachten und danach zu handeln.
Auch hier gilt: ohne einen besonderen Anlass, der Zweifel an der Arbeitsfähigkeit aufkommen lässt, kann ein berechtigtes Informationsinteresse nicht angenommen werden. Umstände, die insoweit Zweifel an der Arbeitsfähigkeit begründen können sind unter anderem:
- eine längere vorangegangene Arbeitsunfähigkeit
- das Auftreten häufig wiederkehrender, kurzer Erkrankungen
- ein eklatantes Nachlassen der Arbeitsleistung
- der Verdacht schädigender Einflüsse der Arbeit auf den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers
- die Existenz bestimmter gesetzlicher Tätigkeits- oder Beschäftigungsverbote bei Krankheit oder Krankheitsverdacht
- das Vorliegen arbeitsmedizinischer Hinweise für die Unvereinbarkeit bestimmter Tätigkeiten mit einer gesundheitlichen Einschränkung des Arbeitnehmers
Liegen solche Umstände vor, ist zwischen dem Informationsinteresse des Arbeitgebers an der Durchführung der Untersuchung und dem Interesse des Arbeitnehmers an der Wahrung seines Persönlichkeitsrechts abzuwägen. Folglich dürfen nur die auf konkrete Zweifel bezogenen und sachdienlichen Untersuchungen vorgenommen werden.
Was folgt, wenn der Arbeitnehmer die Durchführung einer Eignungsuntersuchung verweigert?
Gerichtlich durchsetzbar sind Eignungsuntersuchungen wohl nicht. Es besteht keine vollstreckbare Duldungspflicht des Arbeitnehmers und somit auch keine Möglichkeit zur Zwangsvollstreckung. Die Verpflichtung zur Teilnahme an einer ärztlichen Untersuchung stellt eine Teilleistung im Rahmen der Dienstleistungsverpflichtung dar, sodass das Vollstreckungsverbot des § 888 Abs. 3 ZPO greift. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Weigerung des Arbeitnehmers ohne Folgen bleiben muss. Denn auf eine pflichtwidrige Ablehnung kann der Arbeitgeber mit den üblichen Mitteln Abmahnung, ordentliche oder außerordentliche Kündigung reagieren. Insoweit ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine berechtigte Weigerung vorliegt oder nicht. Im Rahmen eines etwa folgenden Kündigungsschutzprozesses wäre es dann zunächst Sache des Arbeitgebers, die soziale Rechtfertigung der Kündigung i. S. d. § 1 KSchG darzulegen und zu beweisen. Ohne eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit wird dies eher schwierig. Abhilfe schaffen die Gerichte: Eine auf der verweigerten Eignungsuntersuchung beruhende Unaufklärbarkeit des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers wird von den Gerichten nach dem Rechtsgedanken des § 444 ZPO als Beweisvereitelung zu Gunsten des Arbeitgebers gewertet (VG Düsseldorf, Urteil vom 26.10.2012 – 13 K 7393/11; nicht veröffentlicht: LAG Berlin, Urteil vom 27.11.1989 – 9 Sa 82/89). Dies hat dann zur Folge, dass eine vom Arbeitgeber vorgetragene Arbeitsunfähigkeit als bewiesen gilt.
Fazit
Möchte ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer zu einer ärztlichen Eignungsuntersuchung verpflichten, bewegt er sich in einem heiklen Konfliktfeld verschiedener grundrechtlich geschützter Interessen. Bereits die Suche nach einer passenden Rechtsgrundlage für eine verpflichtende Anordnung kann sich schwierig gestalten. Es empfiehlt sich daher, eine solche durch Betriebsvereinbarung oder tarifliche Regelung selbst zu schaffen und damit die Anordnungsvoraussetzungen und die Durchführung von ärztlichen Eignungsuntersuchungen sowie die diesbezüglichen Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien von vornherein verbindlich festzulegen. Außerhalb der Regelungen des TVöD lässt sich insoweit mit der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB argumentieren. Eine unberechtigte Verweigerung des Arbeitnehmers kann arbeitsrechtliche Sanktionen rechtfertigen.