Zwei Juristen – drei Meinungen? Juristische Streitfragen im Arbeitsrecht enden in der Regel durch eine klarstellende Entscheidung des BAG. Nicht so bei der Frage, wann Mehrarbeitszuschläge auch an Teilzeitbeschäftigte zu zahlen sind, um dem Gleichbehandlungsgrundsatz gerecht zu werden. Zwei Senate des BAG vertraten hier konträre Auffassungen und bereiteten den Arbeitgebern erhebliche Unsicherheiten in der praktischen Anwendung. Klarheit hat insoweit nun ein Urteil vom 19. Dezember 2018 des für Rechtsfragen rund um Zuschläge primär zuständigen 10. Senats des BAG geschaffen, der seine bisherige langjährige Rechtsprechung aufgibt.
Gesetzliche Ausgangslage
Nach § 4 Abs. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Etwas anders gilt nur, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Eigentlich eine klar verständliche Rechtsnorm, die jedoch in der Praxis bei der Bewertung, (ab) wann eine Ungleichbehandlung vorliegt, oftmals erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen kann.
Wann liegt Ungleichbehandlung bei Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen vor?
Zur Verdeutlichung der Problematik soll ein vereinfachter Ausgangsfall herangezogen werden:
Ein einschlägiger Tarifvertrag sieht die verpflichtende Zahlung von Zuschlägen in Höhe von 20 % für die Überstunden vor, die die Grenze der Arbeitszeit von Vollzeitarbeitnehmern überschreiten. Ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer, der laut Arbeitsvertrag 25 Stunden pro Woche arbeitet, leistet in einer Woche fünf Überstunden. Sein tarifgebundener Arbeitgeber vergütet ihm zwar diese zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden, zahlt mit Verweis auf den Tarifvertrag jedoch keine Überstundenzuschläge. Ein in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer, der 40 Stunde pro Woche arbeitet, leistet ebenfalls fünf Überstunden. Er erhält neben der Vergütung der von ihm geleisteten fünf Überstunden auch die jeweiligen Überstundenzuschläge in Höhe von 20 %.
Stellt das eine Benachteiligung des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers dar?
Der 10. Senat des BAG hatte eine Ungleichbehandlung stets verneint, zuletzt noch am 26. April 2017 (10 AZR 589/15) da für die gleiche Anzahl von Arbeitsstunden die gleiche Gesamtvergütung gezahlt werde. Nach diesem Vergleich der Gesamtvergütung waren vom Arbeitgeber Überstundenzuschläge erst ab der identischen Grenze, hier im Ausgangsfall ab 40 Stunden, zu zahlen, ohne dem Vorwurf einer Diskriminierung ausgesetzt zu werden. Als Begründung diente der Sinn und Zweck von Überstundenzuschlägen. Diese sollen eine besondere Mehrbelastung des Arbeitnehmers durch eine weitere Vergütung auszugleichen. Die zusätzliche Arbeitsbelastung sei erst ab Überschreitung der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten anzunehmen.
In seinem Urteil vom 19. Dezember 2018 (10 AZR 231/18) hat der 10. Senat des BAG seine langjährige Rechtsprechung aufgegeben und sich der Auffassung des 6. Senats angeschlossen.
Der 10. Senat wendet sich von einem Vergleich der Gesamtvergütung ab und präferiert nunmehr einen Vergleich der einzelnen Entgeltbestandteile. Dies bedeutet, dass eine Gleichbehandlung nur dann vorliegt, wenn Überstundenzuschläge für diejenige Arbeitszeit gezahlt werden, die über die individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Im Ausgangsfall sind demnach an den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer für alle fünf von ihm geleisteten Überstunden entsprechende Zuschläge zu zahlen. Als Begründung weist das BAG erneut auf den Sinn und Zweck von Überstundenzuschläge hin. Diese seien eine Belohnung für den Arbeitnehmer, der ohne Freizeitausgleich mehr als vertraglich arbeite und so nicht über seine freie Zeit verfügen könne, wie er wolle. Es müsse dabei berücksichtigt werden, dass auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nach ihrer vertraglich zu leistenden Arbeitszeit Verpflichtungen haben, wie beispielsweise die Kinderbetreuung.
Eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten liege vor, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschlägen entstehe, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde.
Praxishinweis
Die Unsicherheit für Arbeitgeber, wann eine Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bei der Zahlung von Überstundenzuschlägen besteht, dürfte nunmehr beseitigt sein. Diese war nicht zuletzt durch divergierende Entscheidungen von zwei Senaten des BAG hervorgerufen worden. Arbeitgeber sind nunmehr gut beraten, ihre Abrechnungspraxis der geänderten Rechtsprechung des 10. Senats des BAG anzupassen. Überstundenzuschläge sind bereits für die zusätzlich geleistete Arbeitszeit zu zahlen, die über die individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht.
Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist der Fall, wenn Überstundenzuschläge bei vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern nicht bereits ab der ersten geleisteten Überstunde, sondern beispielsweise erst ab der fünften Überstunde gezahlt werden. Hier könnte bei Teilzeitbeschäftigten als Lösungsansatz eine proportionale Anpassung des Schwellenwertes dienen.