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Betriebsrat Kündigung, allgemein

Populäre Rechtsirrtümer im Arbeitsrecht – Teil 5

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Rechtsirrtümer

Für das Arbeitsrecht fehlt in Deutschland ein Arbeitsgesetzbuch, in dem alle arbeitsrechtlichen Gesetze gebündelt sind. Stattdessen sind die für das Arbeitsverhältnis relevanten Regelungen in einer Vielzahl von Gesetzen vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz über das Bundesurlaubsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz, das Bürgerliche Gesetzbuch bis hin zum Tarifvertragsgesetz verstreut. Außerdem hat die Arbeitsgerichtsbarkeit angesichts der zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und der fehlenden Kodifikation wichtiger Teile des Arbeitsrechts zum Teil eigene Rechtsregeln und Rechtsinstitute entwickelt. Aus diesen Gründen bestehen im deutschen Arbeitsrecht eine Vielzahl von Rechtsirrtümern, die per „Mund-zu-Mund-Propaganda“ weitergegeben, statt kritisch geprüft werden. Diese Blog-Serie soll populäre Rechtsirrtümer unter die Lupe nehmen und aufdecken.

Arbeitsrechtliche Vorschriften sind für den Laien schwer auffindbar und zu durchschauen. Dies führt in nahezu allen Bereichen zu populären Rechtsirrtümern. Diese betreffen auch diverse Problemstellungen im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Kündigung. So hält sich hartnäckig das Gerücht, der Betriebsrat müsse jeder Kündigung zustimmen. Außerdem könne der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung während der Kündigungsfrist zu Hause bleiben; er sei „automatisch“ freigestellt. Schließlich habe der Arbeitgeber ihm mit der Kündigung ja mitgeteilt, dass er im Betrieb nicht mehr erwünscht sei. Diese Rechtsirrtümer möchten wir in diesem fünften Teil der Serie zu den populären Rechtsirrtümern vorstellen und aufklären.

Platz 6: Der Betriebsrat muss jeder Kündigung zustimmen

Falsch! Bei ordentlichen fristgemäßen Kündigungen muss der Arbeitgeber den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung lediglich ordnungsgemäß anhören. Eine Zustimmung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung ist hingegen für die Wirksamkeit der Kündigung nicht erforderlich.

Allerdings bleibt ein Widerspruch des Betriebsrats gegen eine beabsichtigte Kündigung auch nicht ohne jede Folge. Widerspricht der Betriebsrat ordnungs- und fristgemäß aus einem der in § 102 Abs. 3 BetrVG genannten Gründe, also bspw. weil aus seiner Sicht eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Stellungnahme des Betriebsrats mit der Kündigungserklärung zusenden oder übergeben. Außerdem hat ein ordnungsgemäßer Widerspruch gegen die beabsichtigte Kündigung zur Folge, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, der eine Kündigungsschutzklage erhoben hat, auf Verlangen des Arbeitnehmers auch nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterbeschäftigen muss. Der Betriebsrat muss seine Bedenken gegen den Ausspruch der Kündigung innerhalb einer Frist von einer Woche schriftlich mitteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt die Zustimmung als erteilt.

Auch bei außerordentlichen Kündigungen ist eine Zustimmung des Betriebsrats nicht erforderlich – es sei denn es soll einem Betriebsratsmitglied gekündigt werden. Der außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds muss der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung zustimmen. An der Abstimmung des Betriebsrats, wie auf die beabsichtigte Kündigung des Arbeitgebers reagiert werden soll, darf das betroffene Betriebsratsmitglied selbstverständlich nicht teilnehmen. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds, kann der Arbeitgeber die Ersetzung der Zustimmung vor dem zuständigen Arbeitsgericht beantragen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist.

Platz 5: Nach einer Kündigung kann der Arbeitnehmer zu Hause bleiben

Falsch! Ein Arbeitnehmer ist auch nach Ausspruch einer Kündigung während der Kündigungsfrist zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet. Das Bundesarbeitsgericht leitete schon 1955 einen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers aus dessen allgemeinem Persönlichkeitsrecht her (BAG v. 7.11.1955 – 2 AZR 591/54). So sei der ansonsten aus mangelnder Beschäftigung unter Entgeltfortzahlung folgende Zwang zum Nichtstun dem Bild des Arbeitnehmers als vollwertiges Glied der Berufsgemeinschaft und der Gesellschaft abträglich. Es werde allgemein für verächtlich gehalten, Lohn in Empfang zu nehmen, der nicht durch entsprechende Leistungen verdient wurde. Auch wenn die Formulierungen altmodisch klingen, hat sich diese Rechtsprechung bis heute nicht verändert. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer daher nur ausnahmsweise freistellen, wenn sich der Arbeitgeber auf überwiegende und schutzwürdige Interessen berufen kann. Dies ist beispielsweis der Fall, wenn berechtigte Bedenken wegen des Verrats von Betriebsgeheimnissen oder des Begehens von Wettbewerbsverstößen bestehen (LAG Hamm, Urteil vom 3. November 1993 – 15 Sa 1592/93). Ein Anspruch auf Freistellung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer Kündigung besteht daher während der Kündigungsfrist im Grundsatz nicht. Selbstverständlich können sich aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer darauf einigen, dass der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist widerruflich oder unwiderruflich freigestellt wird.

Zu beachten ist allerdings § 629 BGB. Danach hat ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung Anspruch auf Freistellung für eine angemessene Zeit, um an Vorstellungsgesprächen und anderen Auswahlverfahren teilzunehmen.

Fazit

Als Ergebnis lässt sich damit für den fünften Teil der Serie zu populären Rechtsirrtümern im Arbeitsrecht festhalten, dass eine wirksame Kündigung seitens des Arbeitgebers im Regelfall nicht die Zustimmung des Betriebsrats zu der Kündigung voraussetzt. Auch muss der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung während der Kündigungsfrist weiterhin seine Arbeitsleistung erbringen. Der Arbeitgeber kann ihn ohne einen besonderen Grund nicht einseitig freistellen.

Dr. Julia Christina König

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Counsel
Julia König berät Arbeitgeber sowohl zu Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes als auch im Umstruk­tu­rie­rungkontext. Besondere Expertise besitzt sie im Bereich von Unter­neh­men in kirchlicher Trä­ger­schaft sowie aus dem Gesund­heits­sek­tor.
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