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Germany Kündigung, allgemein Schwerbehinderung

Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung – Klärung durch Erfurt?

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Seit Ende 2016 ist die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam. Diese zusätzliche vom Gesetzgeber aufgestellte Hürde hat zahlreiche Fragen aufgeworfen: Wie verhält sich die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zur Anhörung des Betriebsrats und zur Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes? In welcher Reihenfolge sind diese Gremien zu beteiligen? Was genau ist der Schwerbehindertenvertretung mitzuteilen und welche Fristen sind einzuhalten? Licht ins Dunkel bringt das Urteil des BAG vom 13. Dezember 2018, dessen Entscheidungsgründe inzwischen vorliegen. Doch ist damit wirklich alles geklärt?

Verpflichtung zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigung

Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen Schwerbehinderten berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Damit statuiert das Gesetz bei der Kündigung eines Schwerbehinderten drei eigenständige Pflichten des Arbeitgebers mit unterschiedlichen zeitlichen Vorgaben:

  • Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über die beabsichtigte Kündigung. Die Unterrichtung hat „unverzüglich“ (und umfassend) zu erfolgen, sobald die Kündigungsabsicht besteht.
  • Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur beabsichtigten Kündigung. Die Anhörung muss „vor einer Entscheidung“ über die Kündigung vorgenommen werden.
  • Mitteilung an die Schwerbehindertenvertretung. Die Mitteilung hat sich auf „die getroffene Entscheidung“ zu beziehen, den Schwerbehinderten zu kündigen.

Die Kündigung eines Schwerbehinderten, die der Arbeitgeber „ohne eine Beteiligung nach Satz 1“ (d.h. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) ausspricht, ist gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam. Diese gesetzliche Unwirksamkeitsfolge hat die Frage virulent werden lassen, was genau der Arbeitgeber tun muss, um die Schwerbehindertenvertretung korrekt zu beteiligen. Insbesondere stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die Schwerbehindertenvertretung, der Betriebsrat und das Integrationsamt zu beteiligen sind. Die Pressemitteilung zum Urteil des BAG vom 13. Dezember 2018 (Az. 2 AZR 378/18) hat hierzu erste Anhaltspunkte geliefert (vgl. bereits den Blog-Beitrag von Thorsten Lammers). Die Entscheidungsgründe des BAG vermitteln weitere Erkenntnisse:

Entscheidung des BAG vom 13. Dezember 2018

Das BAG stellt zunächst klar: Die eingangs geschilderten Pflichten sind bei allen Kündigungen zu beachten, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen können. Von der gesetzlichen Unwirksamkeitsanordnung werden daher nicht nur Beendigungs-, sondern auch Änderungskündigungen erfasst. Auch bei Kündigungen in der sechsmonatigen Wartezeit zur Erlangung des Kündigungsschutzes und bei Massenentlassungen aufgrund einer vollständigen Betriebsstilllegung ist die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen.

Allerdings: Die Verletzung der Verpflichtung zur Mitteilung der getroffenen Entscheidung führt nach Ansicht des BAG nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Unwirksamkeitsanordnung nach § 178 Abs. 1 Satz 3 SGB IX greife nur bei einer unterbliebenen Unterrichtung und Anhörung.  Da sich die Mitteilung auf „die getroffene Entscheidung“ beziehe und es daher nicht mehr um eine Mitwirkung an der Willensbildung des Arbeitgebers gehe, löse das Unterbleiben der Mitteilung keine Unwirksamkeitsfolge aus.

Eine wesentliche Erleichterung für Arbeitgeber liegt auch darin, dass die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nachgeholt werden können: Die im Gesetz vorgesehene Sieben-Tages-Frist ist insoweit keine Ausschlussfrist, vielmehr besteht die Nachholungsmöglichkeit nach ausdrücklicher Feststellung des BAG solange, bis die Entscheidung durchgeführt oder vollzogen, mithin die Kündigung ausgesprochen ist. Die gesetzliche Unwirksamkeitsanordnung steht dem nicht entgegen.

Was gilt nun hinsichtlich der Reihenfolge der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt? Hierzu das BAG wörtlich:

„Die Anhörung muss zur Abwendung der Unwirksamkeit der Kündigung nicht schon erfolgen, bevor der Arbeitgeber den Betriebs- oder Personalrat beteiligt oder das Integrationsamt um Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung ersucht.“

Dem aufmerksamen Leser fällt auf: Explizit spricht das BAG nur von der „Anhörung“, die nach dem Gesetzeswortlaut erst „vor einer Entscheidung“ erfolgen muss. Nicht dagegen ist auch von der „Unterrichtung“ die Rede, welche nach dem Gesetz bereits „unverzüglich“ durchzuführen ist, sobald die Kündigungsabsicht besteht.

Es hat aber gerade diese Anordnung einer unverzüglichen Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung zu der Forderung geführt, dass die Unterrichtung (und die Anhörung) der Schwerbehindertenvertretung zwingend vor dem Zustimmungsantrag beim Integrationsamt und spätestens zeitgleich mit der Anhörung des Betriebsrats zu erfolgen habe (so LAG Hamm, Urteil v. 11. Oktober 2018 – 15 Sa 379/18). Auch wenn die Unterrichtung und die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung in der Praxis regelmäßig zusammenfallen, ist daher mit der vorliegenden Entscheidung des BAG wohl noch nicht das letzte Wort gesprochen, ob auch hinsichtlich der Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung keine zwingende Reihenfolge im Verhältnis zur Anhörung des Betriebsrats und zur Beteiligung des Integrationsamtes besteht.

Immerhin gibt das BAG Hinweise zum notwendigen Inhalt der Unterrichtung: Diese muss die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzen, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Die Unterrichtung muss in gleicher Weise wie eine Betriebsratsanhörung den Kündigungssachverhalt sowie den Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung und die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitteilen. Klarheit herrscht jetzt auch hinsichtlich der Stellungnahmefrist der Schwerbehindertenvertretung: Diese beträgt analog § 102 Abs. 2 BetrVG eine Woche bzw. (bei außerordentlicher Kündigung) drei Tage.

Praxisfolgen und Ausblick

Das BAG hat in seiner Entscheidung bereits viele Fragen geklärt. Bis zu einer endgültigen Klärung der Frage, ob sich der Dispens von einer bestimmten Reihenfolge der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt auch auf die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung erstreckt, sollte die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung (und daher auch die hiermit regelmäßig zusammenfallende Anhörung) weiterhin vorsorglich vor dem Zustimmungsantrag beim Integrationsamt und spätestens zeitgleich mit der Anhörung des Betriebsrats erfolgen. Die endgültige Klärung wird hoffentlich die Revisionsentscheidung des BAG zum zitierten Urteil des LAG Hamm bringen: Diese ist für den 21. Mai 2019 terminiert. Wir werden berichten.

Dr. Christoph Bergwitz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Christoph Bergwitz unterstützt Arbeit­ge­ber ins­be­son­dere bei Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes, im Rahmen von Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie beim Schutz vor wett­be­werbs­wid­ri­gem Verhalten durch Arbeit­neh­mer. Darüber hinaus berät Christoph Bergwitz Füh­rungs­kräfte und Organ­mit­glie­der.
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