Zum Schutz der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats, der Kontinuität der Betriebsratsarbeit und der Unabhängigkeit seiner Mitglieder bei der Amtsausführung ist die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern und Ersatzmitgliedern des Betriebsrats nach § 15 Abs. 1 S. 1 Var. 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich nur außerordentlich und nach vorheriger Zustimmung des Betriebsrats möglich. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann diese nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG vom Arbeitsgericht ersetzt werden. Zu der Frage, welche Auswirkungen die gerichtliche Zustimmungsersetzung für das nachfolgende Kündigungsschutzverfahren hat, wurden vom BAG (BAG vom 25. April 2018 – 2 AZR 401/17) erneut weitere Hinweise gegeben.
Rahmenbedingungen
- Die Anforderungen an eine wirksame Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats sind im Gesetz klar formuliert. Mit Ausnahme der Stilllegung des Betriebs (§ 15 Abs. 4 BetrVG) oder einer Betriebsabteilung (§ 15 Abs. 5 S. 2 BetrVG) sind die Amtsträger gegenüber ordentlichen Kündigungen geschützt. Ihre Kündigung durch den Arbeitgeber ist nur zulässig, wenn ein „wichtiger Grund“ für eine – dann außerordentliche – Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gegeben ist, der Betriebsrat der Kündigung nach § 103 Abs. 1 BetrVG vorher zugestimmt oder ein Arbeitsgericht die fehlende Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 2 BetrVG durch rechtskräftige Entscheidung ersetzt hat. Fehlt es daran, ist die Kündigung wegen Verstoß gegen das Kündigungsverbot nichtig (§ 134 BGB).
Wann muss die Zustimmung eingeholt werden?
- Das Kündigungsverbot – und damit das Zustimmungserfordernis – gilt umfassend und unabhängig davon, ob die Kündigung aus verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten (mit Ausnahme der Stilllegung des Betriebs oder einer Betriebsabteilung) Gründen erklärt wird und erfasst sowohl die Beendigungs- wie auch die Änderungskündigung.
- Sind in einem Betrieb mehr als fünf aber weniger als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt, besteht der Betriebsrat nur aus einem Mitglied. Soll dann das Arbeitsverhältnis des einzigen Betriebsratsmitglieds gekündigt werden und fehlen gewählte Ersatzmitglieder, kommt es zu einer Pattsituation. Das Betriebsratsmitglied kann im Zustimmungsverfahren nicht zugleich „Richter in eigener Sache“ sein, sodass wegen einer bestehenden Interessenkollision eine „zeitliche Verhinderung“ i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG vorliegt. Andererseits sieht § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung nur nach vorheriger Beteiligung und Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat vor. Diese Konstellation ist nach dem BAG dadurch zu lösen, dass der Arbeitgeber in analoger Anwendung von § 103 Abs. 2 BetrVG unmittelbar – ohne Beteiligung des Betriebsrats – die gerichtliche Zustimmungsersetzung einholen kann; ein beteiligungsfähiger Betriebsrat soll dem BAG zufolge in diesem Fall nicht existieren.
Wann wird die Zustimmung ersetzt?
- In dem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG prüft das Arbeitsgericht vor allem, ob Tatsachen vorliegen, die die außerordentliche Kündigung aus „wichtigem Grund“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen. Da es sich um ein Beschlussverfahren (§§ 2a Abs. 1 Nr. 1, 80ff. ArbGG) handelt, gilt der Untersuchungsgrundsatz; das Arbeitsgericht hat den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Die Beteiligten (Arbeitgeber, Betriebsrat und betroffenes Betriebsratsmitglied) haben dabei an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 83 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Hier gilt aber: Wo nichts vorgetragen wird, kann das Arbeitsgericht auch nicht nachfragen; insbesondere muss der Arbeitgeber die die Kündigung aus seiner Sicht tragenden Gründe darlegen und ist das Betriebsratsmitglied nach § 103 Abs. 2 S. 2 BetrVG zu beteiligen. Ein Nachschieben von Gründen ist nach Eröffnung des Verfahrens grundsätzlich nur insoweit möglich, als sie dem Betriebsrat noch innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist wenigstens i.S.v. § 103 Abs. 1 BetrVG mitgeteilt wurden.
- Zudem prüft das Arbeitsgericht, ob die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden ist. Da der Arbeitgeber die Kündigung erst nach formeller Rechtskraft der die Zustimmung ersetzenden Entscheidung des Arbeitsgerichts erklären kann und das Zustimmungsersetzungsverfahren bei Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB regelmäßig noch nicht abgeschlossen sein wird, soll es nach der mittlerweile gefestigten und ständigen Rechtsprechung des 2. Senats – in entsprechender Anwendung von § 174 Abs. 5 SGB IX – genügen, dass das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung noch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet worden ist. Da für die Erklärungsfrist des Betriebsrats auf die Dreitagesfrist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG abgestellt wird, bleiben dem Arbeitgeber daher gerade einmal zehn Tage nach Kenntnis der für die Kündigung relevanten Tatsachen, um beim Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen um die Zustimmung erforderlichenfalls noch durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen.
Bindungswirkung der die Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzenden Entscheidung
- Wurde die nach § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG erforderliche Zustimmung vom Arbeitsgericht nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG ersetzt und sprich der Arbeitgeber daraufhin die außerordentliche Kündigung aus, wird das betroffene Betriebsratsmitglied in dem sich anschließenden Kündigungsschutzprozess (§ 4 S. 1 KSchG) – dort gilt der Beibringungsgrundsatz – regelmäßig sowohl das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB als auch die Nichteinhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist i.S.v. § 626 Abs. 2 BGB rügen. Hier stellt sich dann die Frage, ob diese Einwendungen (erneut) zu berücksichtigen sind.
- Hierzu wiederholt der 2. Senat unter Bezug auf seine früheren Entscheidungen (BAG vom 16. November 2017 – 2 AZR 14/17 und BAG vom 15. August 2002 – 2 AZR 214/01) nunmehr in ständiger Rechtsprechung, dass sich der im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 83 Abs. 3 BetrVG beteiligte Arbeitnehmer im späteren Kündigungsschutzverfahren bezüglich des Vorliegens eines wichtigen Grundes nur auf solche Tatsachen berufen kann, die er im Zustimmungsersetzungsverfahren nicht geltend gemacht hat und auch nicht hätte geltend machen können. Dies folge zwar nicht schon aus der Rechtskraftwirkung des die Zustimmung ersetzenden Beschlusses des Arbeitsgerichts, da der Umstand, dass ein wichtiger Grund bestehe, als bloßes Begründungselement nicht an der materiellen Rechtskraft teilnehme. Die Bindungswirkung sei aber notwendige Folge des von § 103 Abs. 2 BetrVG vorgegebenen engen Zusammenhangs zwischen vorgelagertem Zustimmungsersetzungsverfahren und nachfolgendem Kündigungsschutzprozess. Bezogen auf dieselben Kündigungsgründe sei letzterer nur eine inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses. Daher sei der Arbeitnehmer grundsätzlich mit dem Einwand präkludiert, dass es an einem „wichtigen Grund“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB fehle.
- Zudem sei der Arbeitnehmer auch mit dem (weiteren) Einwand präkludiert, die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten worden. Hintergrund ist, dass das Arbeitsgericht bereits im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG zwingend zu prüfen habe und dem Antrag auf Zustimmungsersetzung nur stattgeben darf, wenn die Kündigungserklärungsfrist für die den „wichtigen Grund“ bedingenden Umstände bei Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens noch nicht verstrichen sei. Die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB kann daher gerade nicht von der Präklusionswirkung des Zustimmungsersetzungsverfahrens ausgenommen werden.
- Lediglich die Frage, ob die Kündigung entsprechend § 174 Abs. 5 SGB IX „unverzüglich“ nach Eintritt der formellen Rechtskraft des die Zustimmung ersetzen Beschlusses erklärt worden sei, soll eine neue, erst nach Abschluss des Zustimmungsersetzungsverfahrens liegende – und damit im Kündigungsrechtsstreit zu berücksichtigende neue Tatsache sein, für die die Bindungswirkung nicht gelten könne. Jedenfalls dann, wenn die außerordentliche Kündigung noch am Tag des Eintritts der formellen Rechtskraft des die Zustimmung ersetzenden Beschlusses ausgesprochen und dem Arbeitnehmer zugegangen ist, sei die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB auch im Übrigen gewahrt.
Fazit
- Die Entscheidung liegt auf der bisherigen Linie des BAG. Das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG soll dem Arbeitgeber Gewissheit und Sicherheit bieten, ob er Mitgliedern des Betriebsrats außerordentlich kündigen kann oder nicht. Daher ist die weitere Festigung der Rechtsprechung des 2. Senats zur Bindungswirkung aus Unternehmenssicht zu begrüßen.
- Zugleich gilt es, die von der Rechtsprechung entwickelten Fristenläufe im Auge zu behalten. Dies bedeutet nicht nur, den Zustimmungsantrag beim Betriebsrat nach § 103 Abs. 1 BetrVG so rechtzeitig zu stellen, dass bei Verweigerung das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren noch innerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingeleitet werden kann. Ebenso wichtig ist, den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mit dem Ablauf der Rechtsmittelfristen genau zu koordinieren. Trotz der beiden jüngeren Entscheidungen des 2. Senats bleiben hierbei aber weiterhin Fragen offen. Da für die „Unverzüglichkeit“ des Ausspruchs der Kündigung ein strenger Maßstab anzusetzen ist, führt dies in der Praxis regelmäßig dann zu Ungewissheiten, wenn gegen die gerichtliche Zustimmungsersetzungsentscheidung eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig gemacht wurde. Ob der Arbeitgeber dann nämlich unmittelbar kündigen muss oder die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde abwarten darf, wird vom BAG immer noch davon abhängig gemacht, ob die Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unstatthaft bzw. aussichtslos sei. Zu der daran geäußerten Kritik äußert sich das BAG in seiner jüngsten Entscheidung – mangels Entscheidungserheblichkeit – leider nicht.
- Da der Arbeitgeber damit nach wie vor sowohl das Risiko einer verspäteten Einleitung des Zustimmungsverfahrens wie auch der nachträglichen Zulassung der Rechtsbeschwerde trägt, ist vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats genau zu prüfen, ob diese inhaltlich Bestand haben und das Verfahren zur Zustimmung des Betriebsrats sowie erforderlichenfalls ihrer gerichtlichen Ersetzung noch rechtzeitig eingeleitet werden kann. Hier gilt es trotz Amtsermittlung sorgfältig vorbereitet zu sein und auch im Zustimmungsersetzungsverfahren die Rechtsmittelfristen im Blick zu haben. Denn das nachfolgende Kündigungsschutzverfahren wird sich regelmäßig in der Feststellung dazu erschöpfen, ob die Kündigung nach Beendigung des Zustimmungsersetzungsverfahrens „unverzüglich“ ausgesprochen wurde.