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Kündigung, allgemein

Kündigungsunterzeichnung vor Massenentlassungsanzeige – Kündigung unwirksam?

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Die Massenentlassungsbestimmungen der §§ 17 ff. KSchG sind in den vergangenen Jahren immer wieder in den Fokus der Rechtsprechung gerückt. Nunmehr beschäftigten sich kürzlich gleich mehrere Gerichte mit der Frage, ob ein Arbeitgeber bei einer geplanten Massenentlassung die Kündigungsschreiben für die zu entlassenden Arbeitnehmer bereits unterzeichnen darf, bevor die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist.

Rechtlicher Hintergrund

Der Arbeitgeber ist bekanntlich verpflichtet, vor einer Massenentlassung im Sinne der §§ 17 ff. KSchG ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren mit dem zuständigen Betriebsrat durchzuführen. Gleichsam ist er verpflichtet, und das interessiert hier, beabsichtigte Entlassungen im Rahmen einer Massenentlassung gemäß § 17 Abs. 1 KSchG vor Ausspruch der Kündigungen gegenüber der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit ordnungsgemäß anzuzeigen. Fehler im Verfahren führen grundsätzlich zu einer Unwirksamkeit etwaiger Entlassungen im weiteren Verlauf. Aber kann eine Kündigung auch schon dadurch unwirksam sein, dass der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben bereits unterzeichnet, bevor die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingeht?

Konträre Entscheidungen auf Landesebene

Mit dieser Frage der Wirksamkeit einer vor Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur unterzeichneten Kündigung hatten sich auf Landesebene zunächst das LAG Baden-Württemberg und sodann das LAG Berlin-Brandenburg zu beschäftigen.

In dem vom LAG Baden-Württemberg (vom 21. August 2018 – 12 Sa 17/18) zu entscheidenden Fall wurde am 1. Juni 2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der sodann bestellte Insolvenzverwalter erstattete am 26. Juni 2017 Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit. Mit Schreiben vom selben Tag kündigte er die Arbeitsverhältnisse der 45 noch beschäftigten Arbeitnehmer, wobei das Kündigungsschreiben dem hiesigen Kläger am 27. Juni 2017 zuging. Dieses Vorgehen hielt das LAG Baden-Württemberg für unzulässig und die Kündigung daher für unwirksam, denn es könne nicht festgestellt werden, dass der beklagte Insolvenzverwalter die Kündigung gemäß § 17 Abs. 1 KSchG erst ausgesprochen habe, nachdem die Massenentlassungsanzeige am 26. Juni 2017 bei der Agentur für Arbeit eingegangen war. Die Massenentlassungsanzeige müsse die Agentur für Arbeit aber erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere. Mit anderen Worten: Nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg darf der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben erst unterzeichnen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer soll es hingegen gar nicht ankommen.

Dem stellte sich nun zunächst das LAG Berlin-Brandenburg (vom 9. Mai 2019 – 18 Sa 1449/18 und vom 25. April 2019 – 21 Sa 1534/18, bisher nur als Pressemitteilung Nr. 15/2019 vom 4. Juni 2019 verfügbar) ausdrücklich entgegen. Die Arbeitgeberin hatte in beiden vom LAG Berlin-Brandenburg entschiedenen Fällen zunächst eine Vielzahl von Kündigungsschreiben unterzeichnet, anschließend erst die Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit angezeigt und dann die Kündigungsschreiben versandt. Dieses Vorgehen hielt das LAG Berlin-Brandenburg hingegen für zulässig, denn ein Arbeitgeber verstoße nicht gegen § 17 Abs. 1 KSchG, wenn er bei der Massenentlassungsanzeige erst die Kündigungsschreiben unterzeichne und dann die Entlassungen bei der Arbeitsagentur anzeige. Das Verfahren nach § 17 Abs. 1 KSchG diene – anders als das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG bzw. die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG – nicht dazu, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Arbeitgeber dürfe daher endgültig zur Vornahme der Massenentlassung entschlossen sein, bevor er diese bei der Agentur für Arbeit anzeige. Uneins waren sich die Kammern des LAG Berlin-Brandenburg nur noch in der Frage, ob die Massenentlassungsanzeige vor dem Absenden (so die 21. Kammer) oder erst vor dem Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer (so die 18. Kammer) erfolgen muss.

Antworten durch das BAG

Licht ins Dunkel und Antworten auf die Fragen (1) des richtigen Zeitpunkts für die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens und (2) der Maßgeblichkeit des Absendens oder des Zugangs der Kündigung bringt das BAG. Auf die Revision des beklagten Insolvenzverwalters aus dem Urteil des LAG Baden-Württemberg hin entschied das BAG (vom 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18, s. Pressemitteilung Nr. 25/19) nun, dass der Arbeitgeber die Kündigungsschreiben bereits unterzeichnen – und damit auch bereits zur Kündigung endgültig entschlossen sein –  darf, bevor die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Allerdings dürfe das – zulässigerweise bereits unterzeichnete – Kündigungsschreiben dem Arbeitnehmer erst zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.

Die Entscheidung des BAG ist sachgerecht und entspricht Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens  gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 bis 5 KSchG, das – anders als das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG – allein dazu dient, der Arbeitsagentur möglichst schnell eine Weitervermittlung der betroffenen Arbeitnehmer zu ermöglichen – d. h. dieser frühzeitig Informationen darüber zu verschaffen, wie viele und welche Arbeitnehmer in naher Zukunft „am Markt” sein werden, um entsprechende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen zu können. Auf den Willensentschluss zur Kündigung des Arbeitgebers will die Arbeitsagentur hingegen, anders als gegebenenfalls der Betriebsrat im Konsultationsverfahren, keinen Einfluss nehmen.

 Praxistipp

Nachdem das Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG mit dem Betriebsrat ordnungsgemäß durchgeführt und abgeschlossen ist, dürfen Arbeitgeber die Kündigungsschreiben also jedenfalls unterzeichnen. Es ist jedoch tunlichst darauf zu achten, dass diese den von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmern nicht vor Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur zugehen (z. B. durch Übergabe im Betrieb).

Dr. Daniela Quink-Hamdan 

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Counsel
Daniela Quink-Hamdan berät Arbeitgeber vor allem zu Umstruk­tu­rie­run­gen sowie zu Fragen des Betriebs­ver­fas­sungs- und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts. Im Rahmen der Pro­zess­ver­tre­tung bringt sie ihre Erfah­run­gen als ehemalige Richterin in der Arbeits­ge­richts­bar­keit ein. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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