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Rechtswidrige Nachtzuschläge: So kommen Unternehmen aus der Prozess- und Kostenfalle

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Schlechtes Betriebsklima, negative Presse, hohe Lohnnachzahlungsforderungen und „nebenbei“ ein langwieriger öffentlicher Gerichtsprozess – der Horror für jeden Arbeitgeber.

Ein großes Unternehmen hatte lange Zeit mit alldem zu kämpfen. 30 Monate Gerichtsprozess endeten in einer Niederlage, langwierige Verhandlungen mit der Gewerkschaft folgten. Erst jetzt gibt es eine Neuregelung des Tarifvertrags.

Worum ging es?

In der Sache ging es um unterschiedlich hohe Zuschlagsregelungen für regelmäßige Nachtarbeit gegenüber unregelmäßiger Nachtschichtarbeit. Arbeitnehmer in regelmäßiger Nachtarbeit erhielten (nur) 15 % Zuschläge, wohingegen unregelmäßige Nachtschichtarbeit mit Zuschlägen in Höhe von 50 % vergütet wurde – nach Auffassung des Gerichts eine rechtswidrige Schlechterstellung der regelmäßigen Nachtarbeiter. Im umgekehrten Fall der höheren Zuschlagsgewährung für dauerhafte gegenüber unregelmäßiger Nachtarbeit sah es das Bundesarbeitsgericht bereits 2018 genauso. Die benachteiligten Nachtarbeiter haben einen Anspruch auf aufgestockte Zuschläge, jedenfalls für die Vergangenheit und solange die höheren Zuschläge für die andere Arbeitnehmergruppe gelten.

In beiden Fällen entsprangen die unterschiedlich hohen Zuschlagsregelungen ausgehandelten Tarifverträgen.

Risiken für Arbeitgeber aus rechtswidrigen Tarifverträgen

Vergleichbare tarifvertragliche Regelungen sind keine Seltenheit, ganz im Gegenteil: etliche Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie sehen solche unterschiedlich hohen Nachtzuschläge vor, das Urteil aus 2018 betraf einen Tarifvertrag der Textilindustrie und uns sind weitere vergleichbare Tarifverträge aus anderen Branchen, z.B. der Lebensmittelindustrie, bekannt.

Daraus folgt: Sofern Nachtarbeit im Betrieb herrscht, besteht keine Garantie auf die Rechtmäßigkeit des anwendbaren Tarifvertrags. Vielmehr schlummern in vielen Tarifverträgen erhebliche wirtschaftliche Risiken für Arbeitgeber. Denn durch Ungleichbehandlung können schnell Millionen als Risikoposten auflaufen.

Was können Unternehmen tun?

1. Option: Abwarten?

Mittlerweile sind viele betroffene Gewerkschaften alarmiert und üben Druck hinsichtlich einer tarifvertraglichen Neuregelung aus. Bis eine solche Einigung zustande käme, drohen zahlreiche Klagen vor den Arbeitsgerichten durch betroffene Arbeitnehmer – Erfolgschance: optimistisch. Das Betriebsklima leidet unter diesen Querelen. Nichts tun dürfte damit keine längerfristige Option sein, insbesondere in Branchen mit Fachkräftemangel.

2. Option: Dauerhafte Aufstockung der niedrigeren Nachtzuschläg?

Eine uneingeschränkte, dauerhafte Zusage gegenüber den aktuell betroffenen benachteiligten Arbeitnehmern scheidet für viele Unternehmen ebenfalls aus. Diese könnte im Falle einer neuen tarifvertraglichen Regelung mit einem zwar zukünftig einheitlichen, aber niedrigeren Zuschlagssatz (statt 15 % und 50 % einheitlich für alle 25 %) kaum zurückgenommen werden.

3. Option: Zeitgewinn durch Übergangslösung

Viele betroffene Arbeitgeber möchten dennoch Ruhe in diese angespannte Situation bringen – doch das ist leichter gesagt als getan. Um vorerst den Druck aus Neuverhandlungen zur tarifvertraglichen Zuschlagsregelung zu nehmen und das Betriebsklima nicht zu belasten, ist eine Übergangslösung ein schneller und weitgehend konfliktfreier Weg. Dafür kommen viele verschiedene Handlungs- und noch mehr Regelungsoptionen in Betracht.

Unser Favorit: „Eine Kombination aus auflösender Bedingung und zeitlicher Befristung der Zuschlagsregelung!“

Klingt erstmal kompliziert, aber einfach erklärt dreht es sich um Folgendes:

Das langfristige Ziel muss es sein, das Problem an der Wurzel zu lösen – die rechtswidrige Zuschlagsregelung aus dem Tarifvertrag sollte angepasst werden. Bis dahin können der benachteiligten Gruppe der Nachtarbeiter ebenfalls die höheren Nachtzuschläge gezahlt werden, sodass alle Nachtarbeiter gleiche (hohe) Zuschläge erhalten. Obacht! – manch cleverer Personaler mag direkt an das Entstehen einer betrieblichen Übung denken. Dies wäre aber nur ein Risikofaktor, wenn „einfach so“ uneingeschränkt höhere Zuschlagszahlungen an die betroffenen Arbeitnehmer ausgezahlt werden würden.

Transparente Ausgestaltung

Hier kann eine klar ausgestaltete und entsprechend an alle benachteiligten Arbeitnehmer kommunizierte Regelung helfen, wonach die erhöhten Nachtzuschläge ausdrücklich nur bis zu einer neuen tarifvertraglichen Regelung gezahlt werden (= die oben erwähnte „auflösende Bedingung“). Aus Klarstellungsgründen sollte explizit aufgeführt werden, dass damit ein „Gleichlauf der Nachtzuschläge“ zwischen allen Nachtarbeitern hergestellt werden soll. Der Vorteil: Unmittelbar mit Inkrafttreten einer neuen tarifvertraglichen Regelung gilt für alle Nachtarbeiter nur noch der neue Zuschlagssatz, die Übergangsregelung verliert automatisch ihre Wirkung.

Und was ist, wenn …

Zweiter Einsatz unseres cleveren Personalers: Was ist, wenn aus irgendwelchen Gründen keine tarifvertragliche Neuregelung getroffen wird? Dann würde der juristische Kniff ins Leere laufen.

Um diesem Szenario vorzubeugen, wird eine zusätzliche – jetzt kommt der nächste Clou – „zeitliche Befristung“ der erhöhten Zuschlagsgewährung eingebaut. Danach ist zwar grundsätzlich der Zeitpunkt einer tarifvertraglichen Neuregelung für das Entfallen der Übergangslösung maßgeblich, die Wirkung entfällt aber spätestens an einem vorab festgelegten Datum. Dieser Zeitpunkt darf nicht lediglich aus der Luft gegriffen sein ist, sondern zum Zeitpunkt der Festlegung sollte bis zum Enddatum nachvollziehbar und realistisch mit einer tarifvertraglichen Einigung gerechnet werden (z.B. aufgrund vereinbarten Zeitplans zwischen Arbeitgeber(verband) und Gewerkschaft).

Geht nicht auch ein Widerrufsvorbehalt?

Puh – geschafft! Alles verstanden? Dann sparen wir die Alternative eines Widerrufsvorbehalts aus, wonach ohne vorherige zeitliche Festlegung die erhöhten Zuschläge wieder entfallen würden, wenn der Arbeitgeber gegenüber jedem Arbeitnehmer einzeln den Widerruf der Übergangslösung ausdrücklich erklärt. Diese Variante ist rechtlich etwas riskanter und mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden.

Und wie setzt man das um?

Falls Sie immer noch nicht genug haben sollten von dieser ausgeklügelten Vorgehensweise, können wir uns mit dem Umsetzungsweg befassen. Ein betrieblicher Aushang samt gesondertem Schreiben an betroffene Arbeitnehmer eignet sich immer zur Bekanntgabe der Übergangslösung. Eine Umsetzung per Betriebsvereinbarung ist nur in Ausnahmefällen möglich – dies hängt von einer „Öffnungsklausel“  im Tarifvertrag ab.

Jetzt ist es aber wirklich erstmal genug „Erleuchtung“ in puncto Nachtarbeit für heute – noch mehr Licht ins Dunkel bringen wir gern in Ihren individuellen Fall.

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