Nunmehr hat auch das BAG, so wie zuvor bereits das LAG Köln (siehe unseren Blogbeitrag vom 15. Juli 2019), auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 6. November 2018) reagiert und seine bisherige Rechtsprechung zum Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs ausdrücklich weiterentwickelt. In einer aktuellen Entscheidung vom 19. Februar 2019 (9 AZR 541/15, teilweise Parallelentscheidung zu 9 AZR 423/16) hat es Arbeitgebern strenge Mitwirkungsobliegenheiten auferlegt, ihnen gleichzeitig aber – begrüßenswerter Weise – konkret mitgeteilt, wie sie diese hinsichtlich notwendiger Form, Inhalt und Zeitpunkt erfüllen können.
Worum geht es?
Der beklagte Arbeitgeber beschäftigte den klagenden Mitarbeiter vom 1. August 2001 bis 31. Dezember 2013. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Kläger, den von ihm nicht genommenen Urlaub von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses allerdings nicht gestellt. Das BAG hat das Urteil des LAG München aufgehoben und den Fall zurückverwiesen. Denn das LAG habe noch zu prüfen, ob der Arbeitgeber den Mitarbeiter ordnungsgemäß über seine Urlaubsansprüche aus 2012 und 2013 belehrt habe.
Rechtlicher Hintergrund
- 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG sieht vor, das Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, verfällt, es sei denn, es findet gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr statt, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Gemäß § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG muss übertragener Urlaub sodann in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Nach der Gesetzeslage und bisherigen Rechtsprechung verfiel mithin nicht beantragter (und daher) nicht genommener Urlaub grundsätzlich zum 31. Dezember des Urlaubsjahres bzw. spätestens zum 31. März des Folgejahres und dem Arbeitnehmer stand dann – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG zu.
Entscheidung des BAG – richtlinienkonforme Auslegung
Durch das nunmehr ergangene Urteil des BAG, das die gesetzlichen Urlaubsregelungen des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH auslegt, verschärft sich diese Rechtslage zu Lasten des Arbeitgebers. Fortan trifft Arbeitgeber eine Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub verfällt fortan nur noch dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) bzw. des Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3, 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, der Mitarbeiter ihn aber dennoch aus freien Stücken nicht nimmt. Der Arbeitgeber muss daher:
- den Arbeitnehmer dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und
- ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht bis zum Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums nimmt.
Für die Erfüllung dieser Mitwirkungsobliegenheit ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet.
Wie und wann muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer belehren?
Die Mittel, deren sich der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheit bedienen kann, müssen zweckentsprechend und geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Das BAG meint, der Arbeitgeber könne insoweit „konkret“ und „individuell“:
- dem Arbeitnehmer zu Beginn des Urlaubsjahres in Textform mitteilen, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen,
- den Arbeitnehmer auffordern, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und
- den Arbeitnehmer über die Konsequenzen belehren, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt. Hierzu ist wohl ein Hinweis ratsam, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaub im Kalenderjahr zu nehmen, er ihn aber nicht beantragt hat.
Für diese „konkrete“ und „individuelle“ Belehrung genügen abstrakte Angaben, etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung, in der Regel nicht. Hingegen bedarf es wohl eines individuellen Anschreibens an jeden Mitarbeiter bzw. jedenfalls eines individuellen Hinweises auf der monatlichen Gehaltsabrechnung (optisch abgehoben). Das BAG nennt als möglichen Belehrungszeitpunkt den Beginn des Urlaubsjahres. Zumindest unterjährig dürften Arbeitgeber aber aufatmen können, denn gemäß BAG verlangt die Mitwirkungsobliegenheit grundsätzlich nicht die ständige Aktualisierung der Urlaubsmitteilung, etwa anlässlich jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs. Allerdings dürfe sich der Arbeitgeber später nicht in Widerspruch zu seinen Erklärungen setzen, indem er etwa einen Urlaubsantrag aus anderen als den in § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG genannten Gründen ablehnt; dann müsse die Mitwirkungsobliegenheit erneut erfüllt werden.
Achtung: Ist der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit im betreffenden Kalenderjahr nachgekommen, wird der Urlaubsanspruch aber aufgrund dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe auf das nächste Urlaubsjahr übertragen (§ 7 Abs. 3 S. 3, 4 BUrlG), verfällt dieser nur dann zum 31. März, wenn der Arbeitgeber die Mitwirkungsobliegenheit erneut erfüllt. Der Arbeitgeber muss den Mitarbeiter insoweit im Übertragungszeitraum wiederum:
- auffordern, den Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und
- belehren, dass er bei Nichtinanspruchnahme erlischt.
Rechtsfolge der versäumten Mitwirkungsobliegenheit
Kommt der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, tritt der nicht verfallene Urlaub zum Urlaubsanspruch des Folgejahres hinzu (kumulierter Urlaubsanspruch) und unterliegt uneingeschränkt § 7 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 BUrlG. Arbeitgeber müssen ihre Belehrungspflichten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im neuen Urlaubsjahr nachholen, um die Befristung nach § 7 Abs. 3 BUrlG herbeizuführen. So könne, so das BAG, der Arbeitgeber zumindest das Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren vermeiden.
Fazit
Arbeitgeber sollten die Ansprüche ihrer Mitarbeiter auf den gesetzlichen Mindesturlaub, und zwar sowohl die aktuellen als auch solche aus zurückliegenden Urlaubsjahren, jeweils zu Jahresbeginn prüfen und individuelle Belehrungen entsprechend der Vorgaben des BAG etablieren. Für vertraglichen Mehrurlaub können allerdings arbeitsvertraglich weiterhin abweichende Regelungen (transparente Abgrenzung!) getroffen werden.