Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 20.08.2019 – 9 AZR 41/19, bisher nur als Pressemitteilung verfügbar) mit grundlegenden Fragen der Heimarbeit auseinanderzusetzen. Da auch moderne Arbeitsformen wie zum Beispiel das Crowdworking unter den Begriff der Heimarbeit fallen können, lohnt es sich, diese Entscheidung zu Fragen des sonst eher wenig bekannten Heimarbeitsgesetzes genauer in den Blick zu nehmen. Nachfolgend fassen wir die Entscheidung für Sie zusammen und zeigen auf, worauf sich Arbeitgeber nun bei Heimarbeitsverhältnissen einstellen müssen.
Revival des Heimarbeitsgesetzes?
Die Heimarbeit und das sie regelnde Heimarbeitsgesetz (HAG) hatten lange den Ruf, einen nur äußerst begrenzten Anwendungsbereich zu haben. Diese Meinung könnte man bei einem Blick auf die Zahl der offiziell in Deutschland registrierten Heimarbeiter (23.919; vgl. die vom BMAS veröffentlichte Statistik „In Heimarbeit Beschäftigte und Auftraggeber/innen nach Wirtschaftszweigen und Ländern am Jahresende 2018“) bestätigt sehen. Seit einer Entscheidung des BAG im Jahr 2016 (Urteil vom 14.06.2016 – 9 AZR 305/15), bei der ein selbstständiger Softwareentwickler, der von zuhause aus arbeitete, als Heimarbeiter eingestuft wurde, erfuhr das HAG jedoch wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit – von einem „Erwachen aus dem Dornröschenschlaf“ war gar die Rede. Seitdem hat die Diskussion, ob Heimarbeit nicht auch bei neuen Arbeitsformen, wie zum Beispiel dem Crowdworking, vorliegen könnte oder ob dies nicht zumindest gesetzgeberisches Ziel sein sollte, wieder an Fahrt aufgenommen (siehe zu den diesbezüglichen Plänen der Bundesregierung unseren Blogbeitrag „Gut sondiert ist halb gewonnen? Was die „GroKo III“ im Arbeitsrecht plant“). In diesem Kontext ist die aktuelle Entscheidung des BAG zu Fragen der Verdienstsicherung und Urlaubsabgeltung im Heimarbeitsverhältnis für manchen Arbeitgeber relevant. Schließlich drohen bei verkappten Heimarbeitern durch die generelle Gleichstellung mit Beschäftigten in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung mit hälftiger Beitragslast erhebliche Kosten.
Wann liegt Heimarbeit vor?
Zunächst darf für die Annahme von Heimarbeit – anders als dies der Name vermuten lässt – kein Arbeitsverhältnis vorliegen. Ein Heimarbeiter ist nach der Rechtsprechung persönlich unabhängig und daher auch kein Arbeitnehmer. Die Abgrenzung zwischen Heimarbeiter und Arbeitnehmer bestimmt sich nach dem Grad der persönlichen Abhängigkeit und erfolgt nach den gleichen Kriterien wie bei einem selbstständig Beschäftigten und einem Arbeitnehmer.
Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 S. 1 HAG vorliegen. Danach ist Heimarbeiter, wer
- in selbstgewählter Arbeitsstätte (eigene Wohnung oder Betriebsstätte)
- allein oder mit seinen Familienangehörigen
- im Auftrag von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern
- erwerbsmäßig arbeitet,
- jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem unmittelbar oder mittelbar auftraggebenden Gewerbetreibenden überlässt.
Nach dem BAG arbeitet ein Heimarbeiter erwerbsmäßig, wenn die Heimarbeit auf gewisse Dauer angelegt ist und zum Lebensunterhalt beitragen soll. Die Tätigkeit kann auch eine höherwertige Qualifikation erfordern. Zudem können schutzbedürftige Personen Heimarbeitern gleichgestellt werden, § 1 Abs. 2 HAG.
Sind die oben genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt, liegt ein Heimarbeitsverhältnis vor. Damit finden zwingend die Vorschriften des HAG Anwendung, welche auch nicht durch anderweitige Vertragsgestaltung umgangen werden können. Den Unternehmer trifft dabei die Obliegenheit zu prüfen, ob ein Heimarbeitsverhältnis gegeben ist. Insbesondere die Abgrenzung zu einem im Home-Office oder auf einem Telearbeitsplatz tätigen Arbeitnehmer kann im Einzelfall jedoch schwierig sein.
Die neue BAG-Rechtsprechung zur Heimarbeit
In dem vom BAG zu entscheidenden Heimarbeits-Fall machte der Kläger Ansprüche auf Vergütung in nicht unerheblicher Höhe von EUR 171.970,00€ sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von EUR 15.584,94 aus dem Heimarbeitsverhältnis geltend. Der Status des Klägers als Heimarbeiter war dabei in einem vorigen Verfahren vom BAG festgestellt worden (Urteil vom 14.06.2016 – 9 AZR 305/15), so dass nun „nur“ noch die Vergütungsansprüche geklärt werden sollten.
Geklagt hatte ein Bauingenieur/Programmierer, der als Selbstständiger seit 21 Jahren von zuhause aus regelmäßig für die Beklagte tätig war. Ihm oblag die Pflege und Weiterentwicklung der von der Beklagten vertriebenen Statik-Software. Da die Beklagte 2013 beschloss, dass Unternehmen aufzulösen und zu liquidieren, teilte sie dem Kläger mit, er werde zukünftig keine neuen Aufträge mehr erhalten und wies ihm ab Dezember 2013 keine Projekte mehr zu. Das Heimarbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagte zum 30. April 2016. Für den Zeitraum Dezember 2013 bis 30. April 2016 verlangte der Kläger nun Vergütung und Urlaubsabgeltung.
Das BAG erteilte dem Vergütungsanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs oder Schadensersatz wegen Nichtausgabe von Heimarbeit durch die Beklagte eine klare Absage. Neben dem Entgelt, das die Beklagte für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist, während der sie keine Heimarbeit ausgab, schuldete, könne der Kläger keine weitere Vergütung verlangen. Heimarbeiter haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge. Da sie aber auf Aufträge angewiesen seien, sehe das HAG eine Entgeltsicherung vor. Kündigt der Auftraggeber, kann der Heimarbeiter für die Dauer der Kündigungsfrist Fortzahlung des Entgelts verlangen, dass er im Durchschnitt der letzten 24 Wochen vor der Kündigung durch die Heimarbeit erzielt hat, § 29 Abs. 7 HAG. Wenn der Auftraggeber nicht kündigt, jedoch die Arbeitsmenge, die er mindestens ein Jahr regelmäßig an einen Heimarbeiter ausgegeben hat, um mindestens ein Viertel verringert, ist das Entgelt des Heimarbeiters über § 29 Abs. 8 HAG gesichert. Nach dem BAG stehen diese beiden Entgeltsicherungen dem Heimarbeiter jedoch nur alternativ zu. Einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach §12 Nr. 1 BUrlG bejahte es darüber hinaus.
Ob die Heimarbeit seit 2016 nun tatsächlich aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist und sich ihr Anwendungsbereich wie von einigen vermutet wird, ausweiten wird, bleibt abzuwarten. Arbeitgeber sind jedoch gut beraten, weiterhin sorgfältig zu prüfen, ob das HAG auf ihre Beschäftigungsverhältnisse Anwendung findet.