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„Wie viel kriegen die anderen?“ – Ist Weniger diskriminierend?

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Seit etwas mehr als zwei Jahren ist das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft. Über die damit verbundenen Verschlimmbesserungen und seine „traurige Bilanz“ haben wir bereits berichtet (Beitrag von Katja Giese LL.M. vom 23.8.2018). Um feststellen zu können, ob der eigene Lohn auf einer gerechten Lohnfindung beruht, hat jeder Beschäftigte nach § 10 EntgTranspG einen Auskunftsanspruch. Die Auskunft umfasst auch die Information über das Vergleichsentgelt. Hierzu ist der auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete statistische Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts sowie der vom Anfragenden benannten Entgeltbestandteile mitzuteilen. Aber was sagt das dann aus? Ist die Differenz zwischen einem höheren Median und einem niedrigeren Gehalt ein Indiz für Entgeltbenachteiligung? Das LAG Niedersachen (5 Sa 196/19) meint: „Nein“ – mit überzeugender Begründung.

Worum ging es?

Die Klägerin – Abteilungsleiterin bei der Beklagten – wurde im Jahr 2017 von einer Gehaltserhöhungsrunde ausgeschlossen. Die Beklagte berief sich auf Mängel im Führungsverhalten der Klägerin. Die Gesamtvergütung der Klägerin verblieb bei 5.885,40 € brutto. Daraufhin beantragte die Klägerin die Erteilung einer Auskunft nach § 11 EntgTranspG. Diese ergab letztlich einen Median beim Vergleichsentgelt der männlichen Abteilungsleiter von 6.892,00 €.

Die Klägerin zögerte nicht lange. Mit ihrer Klage machte sie Vergütungsdifferenzen in Höhe von monatlich 1.006,06 € geltend. Durch die Auskunft ihres Arbeitgebers sei eine erhebliche Gehaltsungleichheit zwischen den weiblichen und männlichen Abteilungsleitern belegt. Die Beklagte entgegnete, die Vergütung der Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter richte sich ausschließlich nach geschlechtsneutralen Kriterien.

In der ersten Instanz hatte die Klägerin noch Erfolg; die zweite Instanz wies ihre Klage ab.

Auskunft nach § 11 EntgTranspG ist kein Indiz i. S. d. § 22 AGG

Nach Auffassung des LAG Niedersachsen waren im vorliegenden Fall keine ausreichenden Indizien gegeben, die unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % für eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechtes sprachen.

  • 22 AGG sieht für den Rechtsschutz gegen Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn eine Seite im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmals vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmung zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhaltes zu berücksichtige.

Eine Auskunft, der zufolge das Gehalt des klagenden Mitarbeiters unter dem Median der Vergleichsgruppe liege, sei nach dem LAG Niedersachsen für sich genommen nicht ausreichend, um eine Beweiserleichterung auszulösen. Denn diese Auskunft enthalte keine Information über die Durchschnittswerte des eigenen oder des anderen Geschlechts.

Irrelevanz der Höhe der Vergütungsdifferenz

Das LAG Niedersachsen verneinte außerdem – entgegen der Vorinstanz – ein erhebliches Gewicht einer solchen Auskunft auch dann, wenn die Vergütungsdifferenz erheblich sei. Zur Erläuterung enthalten die Entscheidungsgründe ein (überzeugendes) Beispiel:

  • Sieben Frauen in der Vergleichsgruppe verdienen jeweils dasselbe wie ihre sieben männlichen Kollegen (zwischen 1.600 € und 2.500 €). Der Median ist dann für beide Geschlechter identisch (bspw. 1.900 €).
  • Fragt dann die in der Vergleichsgruppe mit 1.600 € am wenigsten verdienende weibliche Beschäftigte nach dem Median der männlichen Mitarbeiter, erhält sie die Auskunft, dass dieser bei 1.900 € liege.
  • Darin ein Indiz für eine Entgeltdiskriminierung zu sehen, wäre verfehlt, weil sich die Anspruchstellerin zufällig am unteren Rand des Vergütungsniveaus befindet.

Konsequenzen für die Praxis

Es bleibt damit dabei: Der Median ist kein aussagekräftiges Indiz für eine etwaige Entgeltungleichbehandlung (Beitrag von Kliemt.Arbeitsrecht vom 28.8.2017). Trotzdem wird der Auskunftsanspruch weiter die Gemüter bewegen; Arbeitgeber müssen wachsam bleiben. Quoten und Statistiken können nach der Rechtsprechung durchaus Indizien für eine Diskriminierung darstellen. Dies gilt aber nur dann, wenn sie sich konkret auf den betreffenden Arbeitgeber beziehen und aussagekräftig sind, was sein Verhalten gegenüber der Merkmalsträgergruppe anbelangt. Der Median ist demgegenüber nur der Mittelwert aus vielen Werten. Eine Differenz zum Median kann alleine zur Begründung der Vermutung einer geschlechtsbedingten Unterbezahlung nicht herangezogen werden – und zwar auch unabhängig von der Höhe der Differenz.

Abzuwarten bleibt, wie sich das Bundesarbeitsgericht positionieren wird. Das LAG Niedersachsen hat die grundsätzliche Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bejaht und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Es bleibt also spannend.

Dr. Sebastian Verstege 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Sebastian Verstege legt seinen Fokus in der laufenden arbeitsrechtlichen Begleitung von Unternehmen auf die Betreuung von Kün­di­gungs­schutz­ver­fah­ren.
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