open search
close
Allgemein Betriebsrat

Einsichtnahme des Betriebsrats in Gehaltslisten – ohne Anonymisierung?

Print Friendly, PDF & Email

Seit einigen Jahren ist das Recht des Betriebsrats auf Einsichtnahme in Brutto-Gehaltslisten höchstrichterlich grundsätzlich anerkannt. Unklar war hingegen, ob dieses Einsichtnahmerecht auch in nicht anonymisierter Form besteht. Es verwundert daher nicht, dass diese Frage immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten war. Nunmehr hat das BAG in seiner Entscheidung (v. 7.5.2019, Az. 1 ABR 53/17) für Klarheit gesorgt: Arbeitgeber dürfen die Gehaltslisten nicht aus Anlass der Einsichtnahme des Betriebsrats anonymisieren.

Worum ging es?

Anfang 2017 forderte der vom Betriebsrat gebildete Betriebsausschuss Einblick in die elektronischen Bruttoentgeltlisten, in denen die Arbeitgeberin neben den Angaben zum Gehalt auch die jeweiligen Namen der Arbeitnehmer aufführte. Die Arbeitgeberin bot lediglich die Einsicht einer von ihr anonymisierten Fassung an. Daraufhin klagte der Betriebsrat auf Einblick des Betriebsausschusses in die nicht anonymisierten Bruttoentgeltlisten.

Der Betriebsrat hat die Verfahren erst- und zweitinstanzlich gewonnen – und nun auch vor dem BAG.

Die Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigt die Ergebnisse der Vorinstanzen.

Das Einsichtnahmerecht ergebe sich aus § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Der Betriebsrat müsse dabei keine spezifische Notwendigkeit für eine nicht anonymisierte Fassung darlegen, wenn der Arbeitgeber eine solche Liste bereits führe. Erforderlich i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG müsse nur die Einsicht in die Gehaltsliste an sich, jedoch nicht die Einsichtnahme in einzelne in den Listen enthaltene Angaben sein. Das grundsätzliche Einsichtnahmerecht ergebe sich regelmäßig bereits daraus, dass der Betriebsrat nur so kontrollieren könne, ob die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge eingehalten werden.

Bestimmungen aus dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) stünden dieser Auffassung nicht entgegen. § 13 Abs. 3 EntgTranspG verlange zwar nur die Aufschlüsselung nach Geschlechtern und nicht die Angabe der Klarnamen. Dies sei jedoch nicht von Bedeutung für das betriebsverfassungsrechtliche Einsichtnahmerecht, welches unabhängig vom EntgTranspG bestehe. Dies ergebe sich u.a. bereits aus dem unterschiedlichen Anspruchsumfang. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 EntgTranspG umfasse ggf. auch die Erstellung bzw. Aufbereitung der Listen, während der Anspruch nach § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG begrenzt auf die Einsichtnahme in bereits bestehende Listen sei.

Auch sei das Einsichtnahmerecht mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen vereinbar. Die Verarbeitung personenbezogener Daten sei nach § 26 Abs. 1 BDSG für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erlaubt. Einer Abwägung im Einzelfall zwischen objektiven Informationsinteresse und betroffenen Interessen des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers bedürfe es nicht. Die Abwägung sei bereits durch den Gesetzgeber in Anerkennung des in § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG enthaltenen Erlaubnistatbestands vorgenommen worden.

Schließlich bestünden auch keine unionsrechtlichen Bedenken, da § 26 Abs. 1 BDSG in zulässiger Weise auf der Öffnungsklausel des Art. 88 DS-GVO beruhe. Da somit keine Verstöße gegen Datenschutzrecht bestünden, sei das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt.

Fazit

Die Entscheidung des BAG bildet den Schlusspunkt einer Reihe bereits ergangener LAG Entscheidungen. Spannend bleibt wie sich das Spannungsfeld zwischen dem BetrVG und dem EntgTranspG weiter entwickelt. Hier verfolgt das BAG eine klare Trennung, die angesichts der unterschiedlichen Gesetzeszwecke überzeugt. Zukünftig werden es Arbeitgeber also schwer haben, die Einsichtnahme des Betriebsrates in nicht anonymisierte Brutto-Gehaltslisten zu vermeiden. Die Durchsetzung dieses Anspruchs birgt weiteren Zündstoff im sowieso häufig angespannten Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat; umso mehr, wenn die Betriebsparteien ohnehin „über Kreuz“ liegen.

KLIEMT.Arbeitsrecht




Wir sind Deutsch­lands führende Spe­zi­al­kanz­lei für Arbeits­recht (bereits vier Mal vom JUVE-Handbuch als „Kanzlei des Jahres für Arbeitsrecht“ ausgezeichnet). Rund 90 erst­klas­sige Arbeits­rechts­exper­ten beraten Sie bundesweit von unseren Büros in Düs­sel­dorf, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg aus. Kompetent, persönlich und mit Blick für das Wesent­li­che. Schnell und effektiv sind wir auch bei komplexen und grenz­über­schrei­ten­den Projekten: Als einziges deutsches Mitglied von Ius Laboris, der weltweiten Allianz der führenden Arbeitsrechtskanzleien bieten wir eine erstklassige globale Rechtsberatung in allen HR-relevanten Bereichen.
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung

Wir ziehen um! Zieht ihr mit? – Herausforderungen von Standortwechseln des Arbeitgebers

Das neue Bürogebäude ist fast fertiggestellt. Die Umzugskisten im alten Bürogebäude werden bereits gepackt. Was kann jetzt noch schiefgehen? Ein Umzug stellt auch für Arbeitgeber stets den Beginn eines neuen Abschnitts dar. Wir zeigen auf, woran Arbeitgeber denken sollten, damit auch möglichst alle Arbeitnehmer mitziehen. Verschiedene Gründe bewegen Arbeitgeber zu einem Standortwechsel. So können große Restrukturierungen oder auch nur das bloße Auslaufen des Bürogebäudemietvertrags einen…
Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Prozessrecht Restrukturierung

Betriebsabgrenzung statt Wahlanfechtung: Halbzeit zwischen Betriebsratswahl 2022 und 2026 richtig nutzen

Ist der Betriebsrat erst einmal gewählt, bleibt Arbeitgebern nur noch die Anfechtung der Wahl übrig. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Wahlanfechtungsverfahrens ist faktisch eine mehrjährige Amtszeit eines (ggf. rechtswidrig) gewählten Betriebsrats vorprogrammiert. Der risikobewusste Arbeitgeber sollte bis dahin den Betriebsrat beteiligen und Kosten für Einigungsstellen, Schulungen, Freistellungen für Betriebsratsarbeit etc. einkalkulieren. Arbeitgeber können jedoch vorausschauend unklare Betriebsstrukturen gerichtlich klären lassen und bei zügigem Handeln noch…
Arbeitsrecht 4.0 Digitalisierung in Unternehmen Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge

Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Nutzung privater ChatGPT-Accounts

Künstliche Intelligenz (KI) ist eines der wichtigsten digitalen Zukunftsthemen. Jedes achte Unternehmen in Deutschland setzt die Technologie bereits ein. Der Einsatz von KI soll Arbeitsprozesse beschleunigen und automatisieren, wirft aber auch viele rechtlich komplexe Fragen auf. Nun hat sich erstmals ein deutsches Arbeitsgericht mit der Frage befasst, ob der Betriebsrat beim Einsatz von ChatGPT und vergleichbaren Konkurrenzprodukten ein Mitbestimmungsrecht hat. In einem aktuellen Beschluss vom…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert