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Kündigung, allgemein

Da steh´ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug, als wie zuvor … – Das BAG zum Zugang einer Kündigungserklärung durch Einwurf in den Hausbriefkasten

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An die Beachtung oder die Missachtung von Fristen knüpft das Gesetz häufig gravierende Rechtsfolgen. Insbesondere anlässlich der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist die Beachtung gesetzlicher Fristen vielfach von herausragender Bedeutung. So kann eine fristlose Kündigung von den Vertragsparteien gem. § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung des maßgeblichen Sachverhalts erklärt werden. Nach §§ 4, 7 KSchG verliert ein Arbeitnehmer zudem die Möglichkeit, gegen eine Kündigung vorzugehen, wenn er nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht erhebt. Seit jeher problematisch ist die Frage, wann eine Erklärung dem Empfänger zugeht, wenn diese an dessen Wohnanschrift in den Hausbriefkasten eingeworfen wird. Der Versuch des LAG Baden-Württemberg, hier eine erfreulich klare und rechtssichere Lösung herbeizuführen, ist vorerst am Veto des BAG gescheitert.

Worum ging es?

Ein Arbeitgeber ließ nachweislich am 27. Januar 2017 gegen 13:25 Uhr eine außerordentliche Kündigung in den Briefkasten des betreffenden Arbeitnehmers an dessen Wohnanschrift einwerfen. Gegen diese Kündigung erhob der Arbeitnehmer am 20. Februar 2017 Kündigungsschutzklage. Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, dass die Klageerhebung nach Ablauf der Dreiwochenfrist und damit zu spät erfolgte. Diese Auffassung wäre tatsächlich zutreffend, ginge man davon aus, dass die Kündigung dem Arbeitnehmer noch am 27. Januar 2017 zuging.

Was galt bisher?

Nach allgemeinen Grundsätzen wird eine Willenserklärung (z.B. eine Kündigung), die nicht Face-to-Face gegenüber einer anwesenden Person abgegeben wird, dann wirksam, wenn sie der abwesenden Person zugeht, § 130 Abs. 1 BGB. Der Zugang hat nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zwei Voraussetzungen. Erstens muss der Empfänger die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Erklärung erhalten. Zweitens muss der Empfänger nach den gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit haben, von der Erklärung tatsächlich Kenntnis zu nehmen. Letzteres führt beim Einwurf der Erklärung in einen Briefkasten zu der Frage, wann von einem Zugang, also der Entnahme der Erklärung aus dem Briefkasten durch den Empfänger ausgegangen werden kann.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG soll es darauf ankommen, wann nach der allgemein Verkehrsanschauung mit der nächsten Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Dabei soll es ausdrücklich nicht auf die individuellen Umstände des jeweiligen Empfängers ankommen sondern im Interesse der Rechtssicherheit vielmehr auf eine generalisierende Betrachtung. In der Vergangenheit haben der BGH und das BAG die von Instanzgerichten ermittelte Verkehrsanschauung akzeptiert, wonach unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellungszeiten mit einer Leerung der Hausbriefkästen zu rechnen sei und in diesem Rahmen festgehalten, dass der genaue Zeitpunkt örtlich stark variieren könne. Mit anderen Worten: Ist in Ort A die Postzustellung regelmäßig um 11 Uhr beendet, geht eine Erklärung, die um 13.25 Uhr in den Briefkasten eingelegt wird, erst am Folgetag zu. Wird in Ort B die Postzustellung regelmäßig erst um 14 Uhr abgeschlossen, geht eine Erklärung, die um 13.25 Uhr in den Briefkasten des Empfängers geworfen wird, noch am selben Tag zu.

Warum vertritt das LAG eine abweichende Auffassung?

Das LAG Baden-Württemberg war der bisherigen Rechtsprechung nicht gefolgt. Es hat ausdrücklich die Meinung vertreten, dass nach allgemeiner Verkehrsanschauung nicht unmittelbar nach Abschluss der örtlichen Postzustellung mit der Kenntnisnahme einer Erklärung zu rechnen sei. Bereits der Zeitpunkt, zu dem die Postzustellung abgeschlossen werde, sei nicht einheitlich feststellbar. Insoweit widerspreche das Abstellen auf die örtlichen Postzustellungszeiten einer generalisierenden Betrachtungsweise, die für Rechtssicherheit sorge. Es entspreche in vielen Fällen auch nicht der Realität, dass zeitnah nach der Postzustellung bereits der Hausbriefkasten geleert werde. Den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten im Verkehr entspreche es, dass Briefkästen erst nach dem Ende der täglichen Arbeitszeit geleert würden, zumal ein erheblicher Teil der Bevölkerung zu Tagzeiten erwerbstätig sei. Im Interesse der Rechtssicherheit sei es angemessen, an Werktagen den Zeitpunkt 17 Uhr festzulegen, bis zu dem noch am Tag des Einwurfs mit einer Kenntnisnahme der Erklärung gerechnet werden könne. Damit hatte der Kläger im entschiedenen Fall nach Auffassung des LAG die Dreiwochenfrist zur Klageerhebung nicht gewahrt.

Was meint das BAG dazu?

Die Erfurter Richter sind dem LAG nicht gefolgt und haben den Rechtsstreit an das LAG zurückverwiesen. Sie haben dabei weniger das Ergebnis des LAG kritisiert als vielmehr den Weg, auf dem das LAG zu seiner Auffassung gelangt ist. So hat der Senat richtigerweise festgehalten, dass sich eine Verkehrsanschauung im Laufe der Jahre ändern könne und insbesondere das Fortbestehen einer solchen nicht vermutet werde. Das LAG habe es aber unterlassen, zu den tatsächlichen Grundlagen einer gewandelten Verkehrsanschauung hinreichende Feststellungen zu treffen. Allein die Erwerbstätigkeit eines Teils der Bevölkerung lasse keinen Rückschluss darauf zu, wann nach der Verkehrsanschauung mit der Leerung eines Hausbriefkastens am Wohnort des Arbeitnehmers zu rechnen sei. Es fehle bereits an einer Begründung, warum es nach dem LAG für die Begründung einer Verkehrsanschauung auf die erwerbstätige Bevölkerung ankommen solle, zumal diese in Bezug auf die Gesamtbevölkerung eine Minderheit sei. Zudem sei der Zeitpunkt 17 Uhr willkürlich gewählt. Etwaige Verhältnismäßigkeitserwägungen seien nicht geeignet, eine Verkehrsanschauung zu begründen.  

Was bedeutet das für die Praxis?

Für Arbeitgeber bleibt es bei der unbefriedigenden Situation, dass es weiterhin keinen einheitlichen Maßstab gibt, bis wann eine Kündigung am Tag eines Fristablaufs in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen werden muss, damit die Erklärung fristwahrend noch am selben Tag dem Arbeitnehmer zugeht. Hier kann nur geraten werden: Je früher, desto besser. Bestenfalls sollten fristgebundene Erklärungen bereits vor dem Tag des Fristablaufs in den Briefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen werden – falls keine andere Möglichkeit besteht, dem Empfänger die Erklärung ggf. auf anderem Wege rechtzeitig zukommen zu lassen. Interessanterweise hat das BAG die Begründung einer Verkehrsanschauung, die sich auf Erwerbstätige beschränkt, nicht generell abgelehnt. Es bleibt zu hoffen, dass das LAG den Mut hat, dies aufzugreifen und eine realitätsnahe Verkehrsanschauung zu begründen, nach der es bei erwerbstätigen Empfängern für den Zugang von Erklärungen durch Einwurf in den Briefkasten nicht auf den (oft früh am Tag liegenden) Zeitpunkt des üblichen Endes der Postzustellung ankommt.

Thorsten Lammers

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Senior Associate
Thorsten Lammers berät vor allem zu Kündigungsschutzverfahren, in der Gestaltung von Anstellungs-, Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen sowie zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen. Er ist Mitglied der Fokusgruppen "Betriebliche Altersversorgung" und "Aufsichtsratsberatung".
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