Arbeitszeitkonten sind weit verbreitet. Nach den im Jahr 2018 veröffentlichten offiziellen Zahlen des statistischen Bundesamtes verfügen mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland über ein Arbeitszeitkonto, wobei die Verbreitung in den einzelnen Branchen ganz unterschiedlich ist. Arbeitszeitkonten sind in der Regel Bestandteil flexibler Arbeitszeitmodelle und vielmals von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen geschätzt. Dass bei der Nutzung von Arbeitszeitkonten aber auch Fallstricke für Arbeitgeber lauern, zeigt der kürzlich vom BAG entschiedene Fall einer Sekretärin, die zum Zeitpunkt ihrer außerordentlichen Kündigung noch Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto hatte.
Worum ging es?
Die Arbeitnehmerin erhielt Ende September 2016 die außerordentliche Kündigung. Zu diesem Zeitpunkt wies das Arbeitszeitkonto der Arbeitnehmerin ein Guthaben von 67,1 Stunden auf, was einem Bruttowert in Höhe von 1317,28 € entsprach. Am 15. November 2016 einigte man sich im Gütetermin auf einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Januar 2017 enden werde. Im Vergleich wurde vereinbart, dass die Arbeitnehmerin bis dahin unwiderruflich von ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung offener Urlaubsansprüche freigestellt werde. Eine Abgeltungs- oder Ausgleichsklausel enthielt der Vergleich nicht. Nach dem 31.1.2017 verlangte die Arbeitnehmerin Abgeltung der noch offenen Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto. Sie argumentierte, anders als Urlaubsansprüche seien die aus den Plusstunden resultierenden Freizeitausgleichsansprüche gerade nicht im Vergleich miterledigt worden.
Wie argumentierte die Arbeitgeberseite?
Der Arbeitgeber wandte ein, dass aufgrund der Anforderungen des Urlaubsrechts zur Erfüllung von Urlaubsansprüchen im Gegensatz zu Freizeitausgleichsansprüchen eine ausdrückliche Regelung im Vergleich habe getroffen werden müssen. Freizeitausgleichsansprüche hingegen würden auch ohne gesonderte Regelung durch die Freistellung getilgt.
Wie entschieden die Vorinstanzen?
Das Arbeitsgericht Münster gab der Klage statt. Es hielt fest, dass der gerichtliche Vergleich in Bezug auf die Arbeitspflicht der Arbeitnehmerin einen Erlassvertrag darstelle. Eine Auslegung des Vertrags anhand Wortlaut und Interessenlage ergebe nicht, dass das nicht ausdrücklich erwähnte Arbeitszeitguthaben durch die Freistellung getilgt werden solle. Das sah das LAG Hamm anders und wies die Klage ab. Es erkannte in dem Vergleich das Interesse der Parteien, sämtliche Streitfragen zu antizipieren und einer Lösung zuzuführen. Demnach sei es Wille der Parteien gewesen, das Arbeitszeitguthaben durch die Freistellung zu erledigen. Die Regelung von Urlaubsansprüchen gestatte nicht den Umkehrschluss, dass Freizeitausgleichsansprüche nicht erledigt werden sollten. Vielmehr erforderten es die rechtlichen Anforderungen an die Erfüllung offener Urlaubsansprüche, hierzu eine ausdrückliche Regelung zu treffen (vgl. hierzu auch unser Blog-Beitrag vom 17.4.2019).
Erfurt: Freistellung erfüllt Anspruch auf Freizeitausgleich nur bei ausdrücklicher Regelung
Der fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Urteil des LAG Hamm aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt. In der Entscheidung, zu der bisher lediglich die Pressemitteilung vorliegt, führen die Erfurter Richter aus, dass die Freistellung in einem gerichtlichen Vergleich den Anspruch des Arbeitnehmers auf Freizeitausgleich zum Abbau eines Arbeitszeitkontos nur dann erfülle, wenn in dem Vergleich hinreichend deutlich zum Ausdruck komme, dass mit der Freistellung auch ein Positivsaldo auf dem Arbeitszeitkonto ausgeglichen werden solle. Der Arbeitnehmer müsse erkennen können, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Freizeitausgleich von der Arbeitspflicht freistellen wolle. Eine Klausel, wonach der Arbeitnehmer unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt werde, genüge nicht.
Entgegen anderer Kommentare überzeugt die Entscheidung des BAG, soweit dies anhand der vorliegenden Pressemitteilung beurteilt werden kann. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber Freizeitausgleich zum Abbau von Arbeitszeitguthaben einseitig im Rahmen seines Direktionsrechts gewähren. Insoweit handelt es sich um eine Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit nach § 106 S. 1 GewO. Diese Weisung stellt nach vorherrschender Auffassung eine empfangsbedürftige Willenserklärung dar. Für einen Stundenabbau ist also (nachvollziehbar) stets erforderlich, dass der Arbeitnehmer von dem Willen des Arbeitgebers, Freizeitausgleich zu gewähren, Kenntnis erhält. Insoweit ist es konsequent, dass dem Arbeitnehmer auch bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs der Wille des Arbeitgebers deutlich werden muss, dass mit der unwiderruflichen Freistellung zugleich auch Freizeitausgleichsansprüche getilgt werden sollen. Fehlt es an einer entsprechenden Regelung und lässt sich auch aus den weiteren Umständen nichts herleiten, tilgt die Freistellung ein Arbeitszeitguthaben richtigerweise nicht.
Welche Praxisfolgen hat die Entscheidung?
Arbeitgeber müssen beim Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs Obacht walten lassen, möchten sie keine böse Überraschung erleben. Steht erstmal eine unwiderrufliche Freistellung im Raum, kann der Arbeitgeber nachträglich keinen Freizeitausgleich mehr einseitig anordnen, denn ohne Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung kann diese auch nicht mittels Direktionsrechts bestimmt werden. Damit Arbeitnehmer nach (oftmals wochenlanger) bezahlter Freistellung nicht noch zusätzlich die Abgeltung von Arbeitszeitguthaben verlangen können, ist anlässlich einer gütlichen Einigung hierzu unbedingt eine Regelung zu treffen. Anders als in dem entschiedenen Fall dürfte dies allerdings in der Mehrheit der Fälle schon heute gängige Praxis sein.