Die Geschwindigkeit des digitalen Wandels ist beachtlich. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen die erforderlichen Anpassungen zügig vorantreiben und umsetzen. Die Entscheidung über die Einführung neuer Technologien liegt jedoch nicht allein beim Arbeitgeber. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bietet dem Betriebsrat eine weitreichende Beteiligungsmöglichkeit. Inwiefern vor diesem Hintergrund eine rasche Digitalisierung betrieblicher Abläufe überhaupt möglich ist, beleuchtet unser Beitrag.
Der digitale Wandel – Pflichtprogramm für deutsche Unternehmen
Die immer schnellere Technisierung sämtlicher Wirtschaftsbereiche verlangt Unternehmen einiges ab. Sie müssen sich der rasanten Entwicklung, etwa durch den Einsatz innovativer Hardware, den Ausbau einer digitalen Infrastruktur sowie die Implementierung intelligenter Software, möglichst schnell anpassen. Anderenfalls drohen ihnen Nachteile im internationalen Wettbewerb.
Mit dem digitalen Wandel sind auch erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt verbunden. So können etwa mit Hilfe von 80 % der IT-Anwendungen Rückschlüsse auf Leistungs- oder Verhaltensdaten ihrer Nutzer gezogen werden. Genügt aber schon allein die Eignung zur Überwachung, um ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auszulösen? Die Rechtsprechung sagt: Ja! Begründet wird dies mit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Beschäftigten.
Zur Überwachung „geeignet“ – wie lange soll das noch weiter gehen?
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von technischen Einrichtungen, die dazu „bestimmt“ sind, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Gegen den Wortlaut wird das Mitbestimmungsrecht vom BAG jedoch weit ausgelegt. Es genügt, dass die Einrichtung objektiv zur Überwachung geeignet ist, ohne dass es auf eine Überwachungsabsicht des Arbeitgebers ankommt. Auf dieser Grundlage hat die Rechtsprechung in jüngerer Zeit etwa ein Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Nutzung eines Outlook-Kalenders und einer Excel-Tabelle sowie den Betrieb einer Facebook-Seite und eines Twitter-Accounts angenommen. Wir berichteten hierzu bereits in unserem Blog (z.B. Beitrag von Dr. Oliver Vollstädt vom 21.10.2017 und Stefan Fischer vom 10.12.2018).
Arbeitgeberinteressen und Unmittelbarkeitskriterium – ungenutzte Einschränkungsmöglichkeiten
Das BAG hat aber auch Wege aufgezeigt, die die zu einer Beschränkung des Mitbestimmungsrechts führen können.
In seiner „Facebook-Entscheidung“ betont das BAG, das Mitbestimmungsrecht sei darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind. Eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung von Arbeitgeberbelangen nimmt es jedoch an keiner Stelle vor. Stattdessen geht es in seiner „Excel-Entscheidung“ davon aus, dass es auf das Überschreiten einer Geringfügigkeitsschwelle für das Eingreifen des Mitbestimmungsrechts gar nicht ankomme. Arbeitgeberbelange werden so aber schlicht ignoriert.
In seiner „Google-Maps-Entscheidung“ greift das BAG zur Ablehnung eines Mitbestimmungsrechts auf das sog. Unmittelbarkeitskriterium zurück. Dabei argumentiert es, die Überwachung müsse durch die technische Einrichtung selbst und automatisch bewirkt werden. Obwohl das Gericht dieses Kriterium zu Beginn seiner Facebook-Entscheidung weiterhin als Voraussetzung anführt, kommt es am Ende zu dem Ergebnis, es sei nicht erforderlich, dass die Arbeitnehmerdaten durch die technische Einrichtung selbst und automatisch erhoben werden. Was stimmt denn nun?
Konsequenzen der Rechtsprechung
Die weite und uneinheitliche Rechtsprechung bringt verunsicherte Arbeitgeber dazu, dem Betriebsrat „sicherheitshalber“ sämtliche Angelegenheiten mit technischem Bezug zur Entscheidung vorzulegen. Nicht wenige Betriebsräte stehen dem „Projekt Digitalisierung“ jedoch skeptisch gegenüber, weil sie es mit Arbeitsplatzverlust oder Überwachung in Verbindung bringen. Technische Innovationsprozesse können so verzögert oder gar blockiert werden. Zudem können erhebliche Kosten für Verfahren vor den Arbeitsgerichten und Einigungsstellen entstehen.
„Back to the roots“ – enge Auslegung
Es wäre wünschenswert, dass das BAG zu einer engen Auslegung des Mitbestimmungsrechts gelangt. Das BVerfG stellte unlängst fest, dass richterliche Rechtsfortbildung den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen dürfe. Ob das BVerfG die weite Auslegung des BAG noch akzeptieren würde, ist fraglich. Endgültige Klärung könnte auch der Gesetzgeber durch das Aufgreifen einer noch eindeutigeren Formulierung herbeiführen. Bis es soweit ist, lässt sich das Problem durch die geschickte Gestaltung von Rahmenbetriebsvereinbarungen zur betrieblichen IT-Nutzung zumindest abmildern. Ein Trost bleibt: Derartige Rahmenbetriebsvereinbarungen können zugleich als Erlaubnistatbestand im Sinne der Datenschutzgrundverordnung genutzt werden.