Auch noch zwei Jahre nach der Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin beschäftigt deren Abwicklung die Gerichte – ohne Aussicht auf ein baldiges Ende. Während über die Schadensersatzforderung des Insolvenzverwalters gegen den ehemaligen Aktionär Etihad in Höhe von 2 Milliarden Euro gerade vor dem Court of Appeal in London gerungen wird, beschäftigt die Abwicklung der Arbeitsverhältnisse die deutschen Arbeitsgerichte. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun in einem aktuellen Urteil über die Forderungen ehemaliger Flugbegleiterinnen auf Nachteilsausgleich zu entscheiden. Es bestätigte dabei die Vorinstanzen, die die Klagen abgewiesen hatten.
Geschichte einer Abwicklung
Nach der Insolvenzanmeldung im August 2017 und der Einstellung des Flugbetriebs am 27. Oktober 2017 galt es für den Insolvenzverwalter der Airline nicht nur knapp fünf Milliarden an Verbindlichkeiten zu bedienen, sondern auch tausende Arbeitsverhältnisse zu beenden. Denn zu Hochzeiten der ehemals zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft beschäftigte Air Berlin über 8000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Aktuell sind es nur noch knapp 30, die dem Insolvenzverwalter dabei helfen, das Unternehmen abzuwickeln. Dass solche Abbaumaßnahmen nicht ohne Reibungsverluste einhergehen, zeigen die vielen Gerichtsverfahren, die im Nachgang der Air Berlin-Insolvenz die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit beschäftigten (siehe dazu auch unser Blogbeitrag „Flugzeuge als übergangsfähige Betriebsteile?“). Nun sind diese auch beim Bundesarbeitsgericht angekommen. Für Januar und Februar 2020 stehen an drei Terminen allein 17 Verfahren zur Entscheidung in Erfurt an. Während die ersten vier Verfahren mit der Entscheidung des Ersten Senats des BAG vom 21. Januar 2020 abgeschlossen sind, wird der Sechste Senat am heutigen 13. Februar 2020 über die nächsten acht entscheiden (dazu bald mehr hier auf unserem Blog).
Hintergrund der Entscheidung vom 21. Januar 2020
In der Entscheidung vom 21. Januar 2020 (1 AZR 149/19 – und – 1 AZR 295/19 – u.a., bisher nur als Pressemitteilung verfügbar) ging es um einen Anspruch auf Nachteilsausgleich der klagenden Flugbegleiterinnen aus dem mit ver.di geschlossenen Tarifvertrag Personalvertretung (TVPV).
Für das Kabinenpersonal der Air Berlin war auf Grundlage des TVPV die Personalvertretung Kabine errichtet worden, vergleichbar einem Betriebsrat für Flugbegleiter. Der TVPV sieht für die Personalvertretung Beteiligungsrechte vor, die dem Betriebsverfassungsrecht nachgebildet sind. Nach dessen Regelungen ist Arbeitnehmern ein Nachteilsausgleich zu zahlen, wenn eine geplante Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne hierüber zuvor einen Interessenausgleich mit der Personalvertretung versucht zu haben und sie infolge der Betriebsänderung entlassen werden (vgl. § 83 Abs. 3 TVPV).
Anfang Oktober 2017 unterrichtete Air Berlin die Personalvertretung Kabine über die geplante Stilllegung des Geschäftsbetriebs zum 31. Januar 2018. Nachdem die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs erfolgslos blieben, rief Air Berlin die Einigungsstelle an. Diese erklärte sich am 10. Januar 2018 für unzuständig. Ende Januar 2018 kündigte der Insolvenzverwalter den im Kabinenbereich Beschäftigten betriebsbedingt. Mit ihren Klagen haben die vormals als Flugbegleiterinnen tätigen Klägerinnen die Gewährung eines Nachteilsausgleichs verlangt. Sie haben geltend gemacht, die Betriebsänderung in Form der Stilllegung des Flugbetriebs sei bereits mit den Ende November 2017 erfolgten Kündigungen der Piloten durchgeführt worden; zu diesem Zeitpunkt sei der Interessenausgleich mit der Personalvertretung Kabine noch nicht hinreichend versucht gewesen.
Argumentation des BAG
Das BAG überzeugte diese Interpretation des TVPV jedoch nicht und wies – wie die Vorinstanzen – die Klagen ab. Dabei stellt das höchste deutsche Arbeitsgericht, nach der Pressemitteilung zu schließen, auf den persönlichen Geltungsbereich des TVPV ab:
Zwar sanktioniert § 83 Abs. 3 TVPV eine Verletzung des Verhandlungsanspruchs der Personalvertretung. Dieser bezieht sich jedoch ausschließlich auf kabinenpersonalbezogene Maßnahmen. Das folgt aus einem gesetzeskonformen Verständnis des tariflich geregelten Beteiligungsrechts der Personalvertretung Kabine. Der TVPV gilt nach seinem persönlichen Geltungsbereich nur für das Kabinenpersonal. Könnte die für diese Gruppe errichtete Personalvertretung einen Sachverhalt gestalten, der auch das Cockpitpersonal beträfe, widerspräche dies der in § 4 Abs. 1 TVG angeordneten geltungsbereichsbezogenen Wirkung von Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
Kurz zusammengefasst sagt das BAG damit: Flugbegleiter sind keine Piloten. Wenn also Piloten oder Pilotinnen gekündigt wird, wird damit noch keine Betriebsänderung für das Kabinenpersonal, das in einer eigenen Personalvertretung organisiert ist, durchgeführt.
Diese Auslegung des TVPV überzeugt. Nur so können die Zuständigkeiten der jeweiligen Verhandlungspartner voneinander klar abgegrenzt und widersprüchliche sowie systemwidrige Überschneidungen vermieden werden. Die Entscheidung ist daher zu begrüßen und bringt erfreuliche Rechtssicherheit auf Arbeitgeberseite.
Über die heutige Verhandlung der nächsten Air Berlin-Klagen vor dem Sechsten Senat und am 27. Februar 2020 vor dem Achten Senat des BAG berichten wir Ihnen bald an dieser Stelle.