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Bei Anruf krank – das Corona-Virus und die ärztliche Fernbehandlung

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Seit Montag können Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) für bis zu sieben Tage erhalten, ohne eine Arztpraxis aufsuchen zu müssen. Es reicht allein ein Telefonat mit ihrem Arzt. Hierauf haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband aufgrund der bundesweit infolge des Corona-Virus fortbestehenden Ausnahmesituation verständigt. Was gilt im Einzelnen und wie sollten Arbeitgeber mit solchen AUB umgehen? Dazu nachfolgend mehr.

Was genau gilt denn jetzt?

Es handelt sich bei der Telefon-AUB um eine vom Normalfall abweichende Sonderregelung, die überdies nur zeitlich beschränkt gilt. Grundsätzlich genießt die ärztliche Untersuchung im Rahmen eines physischen Arzt-Patienten-Kontaktes, wie es in § 31 des Bundesmanteltarifvertrages – Ärzte (BMV-Ä) von KBV und GKV sowie in § 4 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgesehen ist, weiterhin den Vorrang. Insoweit deklarieren die Berufsordnungen der Ärztekammern und auch die Musterberufsordnung für Ärzte (MBO) die Beratung und Behandlung von Patienten im persönlichen Kontakt unverändert als den Regelfall. Zwar wurde das Fernbehandlungsverbot Ende 2018 gelockert. (Moderne) Kommunikationsmedien sollen jedoch gleichwohl lediglich unterstützend eingesetzt werden; eine ärztliche Behandlung ausschließlich über Kommunikationsmedien ist nur im Einzelfall erlaubt (vgl. § 7 Abs. 4 MBO). Zu denken ist hier etwa an ein über Jahre bestehendes Arzt-Patienten-Verhältnis, in dem der Arzt das Krankenbild und etwaige Vorerkrankungen genau kennt und durch die bloße Angabe der aufgetretenen Symptome auch ohne körperliche Untersuchung imstande ist, eine fundierte Diagnose und einen Behandlungsplan zu erstellen.

Die jetzt eröffnete Möglichkeit einer erstmaligen bzw. ausschließlichen Behandlung über das Telefon ist und bleibt dagegen eine der besonderen Situation geschuldete Ausnahme. Arztpraxen sollen damit entlastet und Ansteckungsrisiken in den Wartezimmern vermieden werden. Die Corona-Sonderregelung gilt daher zunächst nur für vier Wochen und nur bei leichten Erkrankungen der oberen Atemwege. Patienten, die eine schwere Symptomatik vorweisen oder die Kriterien des Robert-Koch-Instituts für den Verdacht auf eine Infektion mit COVID-19 erfüllen, sind hiervon ausgenommen.

Auswirkungen für die Unternehmen und Betriebe

Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen, dass ihre Mitarbeiter – womöglich in erheblichem Ausmaß und mit entsprechenden Auswirkungen auf den Betriebsablauf – von der neuen telefonischen Untersuchungsmöglichkeit Gebrauch machen. Dabei kommt der auf dieser Grundlage zustande gekommenen AUB regelmäßig der hohe Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten AUB zu. Anders als bei der Online-AUB („WhatsApp-AUB“) wird man hier prinzipiell von einer tatsächlich erfolgten ärztlichen Beratung und Befragung ausgehen müssen. Allein durch die „nur“ telefonische Rücksprache mit dem Arzt wird der Beweiswert wohl noch nicht erschüttert sein. Faktisch liegt damit dann doch eine „normale“ AUB vor, die vom Arbeitgeber grundsätzlich entsprechend zu behandeln ist.

Missbrauchsgefahren und Praxistipps für Arbeitgeber

So sehr flexible, unbürokratische Lösungen zum Schutz der Gesundheit in der aktuellen Corona-Situation zu begrüßen sind, so sehr bleibt hier jetzt freilich auch ein erhebliches Missbrauchspotential. Denn der bloße Anruf unterscheidet sich eben doch massiv vom persönlichen Kontakt „Auge in Auge“ mit dem Arzt. Wann immer daher konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch der neuen Möglichkeit bestehen, z.B. weil der Arbeitnehmer deren Nutzung zuvor „angekündigt“ bzw. „angedroht“ hat oder später bei genesungswidrigem Verhalten beobachtet wird, sollten betroffene Arbeitgeber handeln und die Telefon-AUB zurückweisen bzw. arbeitsrechtliche Konsequenzen ergreifen. Ganz wichtig außerdem: Der Arbeitnehmer erhält diese AUB physisch auf dem Postweg und nicht etwa nur mündlich oder digital, so dass Arbeitgeber wie stets auf der Vorlage des Originals bestehen kann und sollte.  

Fazit

Mit der Möglichkeit zur Krankschreibung per Telefon ist (noch) keine dauerhafte Änderung der Rechtslage, insbesondere keine Lockerung des Fernbehandlungsverbots verbunden (siehe auch die Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)). Sie stellt vielmehr eine zeitlich befristete Reaktion zur Bekämpfung des Corona-Virus dar und wahrt damit grundsätzlich auch die Interessen der Arbeitgeber. Missbrauch muss dennoch unter keinen Umständen geduldet und sollte von den Arbeitgebern mit Nachdruck arbeitsrechtlich geahndet werden. Wenden Sie sich bei diesen und weiteren Fragen rund um das Thema „Corona-Virus“ und wie sie als Arbeitgeber im Einzelfall reagieren können, gerne jederzeit an uns.

Isabell Flöter

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Counsel
Isabell Flöter berät Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bereich des Betriebsverfassungs- und Tarifrechts, der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten und Unternehmenstransaktionen sowie in der Erstellung und Gestaltung von Arbeits-, Änderungs- Abwicklungs- und Aufhebungsverträgen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppeen "ESG" und "Unternehmensmitbestimmung".
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