Die COVID-19-Pandemie hält den Gesetzgeber weiterhin auf Trab. Letzte Woche sind mit dem Sozialschutzpaket II (Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie) nun viele Neuerungen zur Abfederung der Folgen der Pandemie in Kraft getreten (einen Überblick aller Maßnahmen bietet das BMAS hier). Wir halten Sie wie gewohnt auf dem Laufenden und stellen ihnen die wichtigsten arbeitsrechtlichen Änderungen vor.
Neuerungen beim Kurzarbeitergeld
7,3 Millionen Beschäftigte sollen nach aktuellsten Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts im Mai in Deutschland in Kurzarbeit gewesen sein. Dabei wurde Kurzarbeit in fast allen Wirtschaftszweigen angeordnet. Dies übersteigt die Zahlen des Konjunkturrückgangs nach der Finanzkrise bei Weitem, was die enormen Auswirkungen der Pandemie für die Betriebe und ihre Beschäftigten verdeutlicht.
Um die Lohneinbußen der vielen Betroffenen bei längerfristiger Kurzarbeit aufzufangen, wird das Kurzarbeitergeld nun befristet bis zum 31. Dezember 2020 erhöht. Dies gilt, wenn Beschäftigte aufgrund der aktuellen Situation 50 Prozent oder weniger ihrer bisherigen Stundenzahl arbeiten. Ab dem vierten Bezugsmonat –gerechnet ab März 2020 – wird das Kurzarbeitergeld dann auf 70 Prozent (bzw. 77 Prozent bei Beschäftigten mit Kindern) des entfallenen Nettoentgelts angehoben. Ab dem siebten Bezugsmonat wird es sogar auf 80 bzw. 87 Prozent erhöht. Zudem wird die Möglichkeit des Hinzuverdienstes vereinfacht: Ebenfalls bis zum 31.12.2020 kann künftig bis zur Höhe des ursprünglichen Einkommens in allen Berufen hinzuverdient werden, ohne dass dies auf das Kurzarbeitergeld angerechnet wird. Zuvor war dies nur in systemrelevanten Bereichen wie der medizinischen Versorgung und bis Ende Oktober 2020 möglich.
Praxistipp
Für Arbeitgeber, die das Kurzarbeitergeld bekanntlich für die Arbeitsagenturen vorstrecken, ergibt sich damit Handlungsbedarf. Nicht nur müssen die Auszahlungsbeträge an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen überprüft und gegebenenfalls entsprechend erhöht werden. Auch etwaige durch den Arbeitgeber geleistete Aufstockungsleistungen sollten einer entsprechenden Prüfung unterzogen und bei Bedarf an die neue Gesetzeslage angepasst werden.
Weitere Informationen zum Thema Kurzarbeit finden Sie auf unserem Blog (ganz aktuell: Beendigung von Arbeitsverhältnissen während Kurzarbeit sowie Kein Vergütungsanspruch des Betriebsrats während Kurzarbeit). Gerne unterstützen wir Sie auch persönlich z.B. bei der Erstellung und Verhandlung von Betriebs- und Individualvereinbarungen zur Kurzarbeit.
Teilnahme an mündlicher Verhandlung auch per Videokonferenz
Auch die Arbeitsgerichte sind von der Pandemie stark betroffen. Monatelang waren sie nur im Notbetrieb tätig: Verhandlungen im Sitzungssaal fanden nur in sehr dringenden Fällen und in möglichst kleinem Teilnehmerkreis statt. Um die Funktionsfähigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit und damit den Justizgewährungsanspruch der Rechtsschutzssuchenden zu gewährleisten, wurde nun § 114 ArbGG neugefasst, um die Nutzung von Bild- und Tonübertragungen im Prozess zu erweitern.
Wer schon einmal das „Vergnügen“ hatte, an einer Verhandlung beim Arbeitsgericht teilzunehmen, kennt es: Das Gericht setzt sich nicht nur aus einem, sondern aus gleich drei Richtern zusammen. Zwei von ihnen sind nur ehrenamtlich tätig und stammen jeweils aus dem Arbeitgeber- bzw. Arbeitnehmerlager. Nur bei der Güteverhandlung sind die ehrenamtlichen Richter nicht anwesend.
Nun wird für die ehrenamtlichen Richter vorübergehend die Möglichkeit geschaffen, an der mündlichen Verhandlung mittels zeitgleicher Übertragung in Bild und Ton von einem anderen Ort aus teilnehmen zu können, wenn ihnen das persönliche Erscheinen unzumutbar ist. Auch die Beratung und Abstimmung unter den Richtern sowie die Verkündung der Entscheidung kann nun mittels einer solchen Videoübertragung erfolgen. Für die Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände gab es diese Möglichkeit grundsätzlich zwar bereits vor der Neuerung, nun „soll“ das Gericht aber von Amts wegen gestatten, an einer mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus per zeitgleicher Bild- und Tonübertragung teilzunehmen. Entsprechendes gilt für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen. Diese Änderungen sind zwar zeitlich unbefristet, sollen aber nur „bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz“ Anwendung finden.
Unsere Einschätzung
Wie diese begrüßenswerten Neuerungen technisch umgesetzt werden sollen, lässt der Gesetzgeber offen. Wie viele Arbeitsgerichte über das nötige notwendigen technische Equipment verfügen, das eine zeitgleiche Bild- und Tonübertragung aus dem Sitzungssaal heraus überhaupt erst ermöglicht, ist jedenfalls nicht bekannt. . Aller Voraussicht nach werden diese Möglichkeiten daher in der Praxis wenig Anwendung finden, sofern die Arbeitsgerichte jetzt nicht schnell und umfassend „nachgerüstet“ werden. Die Anpassungen des Arbeitsgerichtsgesetzes sind daher unserer Meinung nach wenig geeignet, die Arbeit der Gerichte zu effektivieren. Die coronabedingte Einstellung des Sitzungsbetriebs in den meisten Verfahren und der dadurch entstandene „Rückstau“ an Verhandlungsterminen wird die Arbeitsgerichte und die Verfahrensbeteiligten jedenfalls noch eine ganze Weile beschäftigen.